Energiegipfel: Kampf um die Reaktoren

Die Energiekonzerne werben für ihre alten Meiler. Der Brand im AKW Krümmel liefert ihren Gegnern gute Argumente.

Viel beworben, wenig geliebt: Das AKW Brunsbüttel. Bild: dpa

"Deutschlands ungeliebte Klimaschützer: Kernkraftwerk Brunsbüttel". Mit derartigen Werbe-Slogans bereitet die Atomlobby seit Wochen den heute ins Kanzleramt einberufenen Energiegipfel vor. Es ist der dritte Gipfel seiner Art, der entscheidende. Denn bislang verabredeten die Kontrahenten immer Arbeitsgruppen, die Vorlagen auszuarbeiten hatten. Wenn die Gipfeldiplomatie Ergebnisse bringen soll, dann ist heute die letzte Gelegenheit: Es ist der voraussichtlich letzte Gipfel. Die Ergebnisse werden zur langfristigen Planungssicherheit für Versorger und Verbraucher beitragen, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Deshalb werden unsere Szenarien bis zum Jahre 2020 reichen."

Zum dritten Mal hat Angela Merkel ins Kanzleramt zum Energiegipfel geladen. Diese Einrichtung hatte sich die Regierungschefin ausgedacht, um die schwarz-roten Koalitionsverhandlungen nicht am Thema Atomausstieg scheitern zu lassen, der bis zuletzt äußerst strittig war. Thema ist die Zukunft der Energieversorgung in Deutschland.

Teilnehmer des Gipfels am Dienstagvormittag sind neben den Konzernchefs der vier großen Energieriesen Deutschlands - Eon, RWE, Vattenfall, EnBW - Kanzleramtschef Thomas de Maizière (CDU), Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU), Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD), Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU), dazu Vertreter der Erneuerbare-Energien-Branche, Gewerkschafter, die Vorsitzende der Verbraucherzentrale Bundesverband Edda Müller, die Industriechefs von DaimlerChrysler, BP, ThyssenKrupp und BASF sowie Klaus Töpfer und dena-Chef Stephan Kohler. RENI

Heftig wird deshalb auch über "Deutschlands ungeliebte Klimaschützer" debattiert: Die vier großen Atomkonzerne wollen keinesfalls akzeptieren, dass sie ihre Gelddruckmaschinen - die abgeschriebenen AKWs - nach dem rot-grünen Atomkonsens bis 2023 stilllegen müssen. Vattenfall zum Beispiel hat das Bundesumweltministerium letzte Woche verklagt, um so zu erreichen, dass Strommengen des AKW Mülheim-Kärlich auf das AKW Brunsbüttel übertragen werden.

Dummerweise passierte nun die Sache mit Brunsbüttel: Bei der Schnellabschaltung am vergangenen Donnerstag war ein Steuerstab nicht richtig eingefahren worden, wie Vattenfall bestätigte. "Ein gravierender technischer Störfall" urteilt der energiepolitische Sprecher der Bündnisgrünen, Hans-Josef Fell. Die Stäbe seien die zentrale Einrichtung zur Steuerung des Reaktors, sie unterbrechen bei einer Schnellabschaltung den Neutronenfluss der Brennstäbe. Und obwohl nach Fells Darstellung der technische Störfall noch nicht endgültig aufgeklärt ist, wurde das AKW am Wochenende wieder angefahren.

"Das ist typisch für die Sicherheitsauffassung von Vattenfall", urteilt Fell: "Der Konzern ist selbst zum Sicherheitsrisiko geworden." Die Untersuchung der Vorgänge im schwedischen Reaktor Forsmark, der ebenfalls von Vattenfall betrieben wird, hatte vor Jahresfrist Schlamperei als Ursache benannt. Über die Sicherheitsvorkehrungen im baugleichen AKW Brunsbüttel war fehlerhaft unterrichtet worden. Und dann war am Donnerstag auch noch ein Transformator im Vattenfall-AKW Krümmel abgebrannt - was vergangenen Herbst schon im schwedischen Vattenfall-AKW Ringhals passiert war - aber nicht "zu einer Überprüfung der Gefahr an anderen Vattenfall-Kraftwerken geführt hat", so Fell. Konzernchef Lars G. Josefsson solle, statt die Bundesregierung in Sachen Klimaschutz zu beraten, "lieber erst einmal seine desolates Sicherheitsmanagement auf den Stand der Zeit und Technik bringen". Dass Vattenfall trotz des Problems mit dem Steuerstab die Genehmigung zum Weiterbetrieb von Brunsbüttel vom zuständigem Schleswig-Holsteiner Sozialministerium bekam, sei ein Skandal.

Ein Sprecher des Sozialministeriums bestätigte gegenüber der taz: "Die bei der Schnellabschaltung aufgetretene Auffälligkeit bestand in einer um rund eine Sekunde verlängerten Einschießzeit des Steuerstabs." In der Folge des "Ereignisses Reaktorschnellabschaltung und der Abhilfemaßnahmen" sei der Steuerstab in den Reaktorkern eingefahren und dort "sicherheitsgerichtet arretiert" worden. Bedeutet: Im nächsten Fall einer Schnellabschaltung steht der Steuerstab nicht mehr zur Verfügung, andere müssen den Job mit übernehmen. "Im Rahmen der nächsten Revision wird das Problem untersucht", so der Sprecher. Weil die letzte Revision gerade vorbei ist, steht die nächste erst im kommenden Jahr an. Da sollte Brunsbüttel laut Atomkonsens eigentlich abgeschaltete werden. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert das Anfahren von Brunsbüttel als übereilt. "Ob vergleichbare Probleme auch bei anderen Abschaltstäben auftreten können, wurde nicht geprüft", so Gerd Rosenkranz von der DUH.

Auch die Untersuchungen zu dem Schwelbrand im Bereich der Turbine, der im Verlauf der Reaktor- und Turbinenschnellabschaltung aufgetreten war, hätten noch kein Ergebnis erbracht. In der deutschen Pannenstatistik lag das AKW Krümmel bei Geesthacht mit 15 "meldepflichtigen Ereignisse" auf Platz 1. Auf Platz 2 folgt das AKW Biblis B in Hessen mit 14 Meldungen, das ebenfalls laut Atomkonsens bald vom Netz soll. Platz 3 belegt Brunsbüttel mit 11 meldepflichtigen Pannen.

Gute Karten also für den Bundesumweltminster. Sigmar Gabriel (SPD) hatte stets den rot-grünen Atomausstieg als unantastbar erklärt. Dank der Vorgänge in Krümmel und Brunsbüttel hat er beim heutigen Gipfel wieder bessere Karten. Gabriel sagt: "Je länger ein Kraftwerk läuft, desto höher ist die Störanfälligkeit." Teilen der Union schmeckt diese politische Haltung der Sozialdemokraten überhaupt nicht. Im neuen Grundsatzprogramm plädiert die CDU für längere Laufzeiten "sicherer deutscher Atomkraftwerke".

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