Vattenfall: Absturz eines Energiekonzerns

Vom sympathischen Energieunternehmen zum Buhmann der Nation: Mit Heimlichtuerei und Falschinformationen ruiniert Vattenfall sein Image.

Ein Fall ohne Gleichen: Energiekonzern Vattenfall Bild: dpa

BERLIN taz "Polizei durchsucht Vattenfall-AKW", meldet dpa. "Kernkraftwerk Krümmel: Leckage im Turbinenbereich festgestellt", berichtet Schleswigs-Holsteins Sozialministerin. "Strafanzeige gegen Vattenfall gestellt", informiert der BUND. "Vattenfall-Kunden sollten Anbieter wechseln", fordern die Grünen. "Vattenfall-Kohlekraftwerk in Hamburg in Frage gestellt", erklärt Hamburgs CDU-Umweltsenator. "Hochmut kommt vor dem (Vatten-)Fall", lästert Die Linke.

Vattenfall Europe, nach Eon und RWE Deutschlands drittgrößter Stomproduzent, entstand Anfang des Jahrtausends aus einer politisch initiierten Fusion der Unternehmen HEW, Laubag, Bewag und Veag. 2006 konnte die 100-prozentige Tochter der schwedischen Staatskonzerns Vattenfall AB ihren Umsatz gegenüber 2005 um 5,7 Prozent auf 11,1 Milliarden Euro steigern. Der Gewinn stieg auf 1,35 Milliarden Euro. Mit 7,8 Milliarden Euro trug die Stromproduktion - überwiegend aus Braunkohle - den größten Anteil. Vattenfall betreibt mit Krümmel und Brunsbüttel nur zwei AKWs, so wenig wie sonst kein anderer deutscher Konzern. 21.300 Mitarbeiter versorgen 3 Millionen Stromkunden sowie 1,2 Millionen Haushalte mit Fernwärme.

Die Agenturmeldungen und Pressemitteilungen über Vattenfall, die binnen weniger Stunden in der Redaktion einlaufen, belegen den Absturz eines Unternehmens, der seinesgleichen sucht. Dabei waren alle Beteiligten erleichtert, als Vattenfall im Jahr 2000 nach Deutschland kam und die regionalen Stromversorger von Berlin (Bewag), Hamburg (HEW) und Ostdeutschland (Veag) sowie die Lausitzer Braunkohle AG (Laubag) übernahm. Zunächst war nämlich der umstrittene US-Stromriese Southern Energy als neuer Eigentümer im Gespräch. Gerade die (West-)Berliner, denen "ihre" Bewag als zuverlässiger Versorger der isolierten Stadt ans Herz gewachsen war, sahen den schwedischen Staatskonzern mit dem umweltfreundlichen Namen (schwedisch: Wasserfall) als geringeres Übel an.

Diese Einschätzung hat sich inzwischen gründlich geändert. Selbst Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust, dem als CDUler keine ausgeprägte Atom- oder Konzerngegnerschaft unterstellt werden muss, hält den HEW-Verkauf an Vattenfall inzwischen für einen Fehler. Schon vor dem aktuellen Krümmel-Desaster hat sich der Wind gegen Vattenfall gedreht. Der Konzern steht heute für Unzuverlässigkeit, Fehleinschätzungen und Vertuschungen. Ein Überblick:

Die Knallgasexplosion: Im Dezember 2001 explodierten im AKW Brunsbüttel mehrere Meter einer Leitung, die zum Sicherheitssystem des Reaktorkerns gehörten. Zwar signalisierten Messinstrumente und Rechner einen steigenden Druck, und das Ultraschall-Überwachungssystem schlug an. Das Bedienpersonal schrieb dies aber - ohne genau zu prüfen - einer "unbedeutenden Leckage" zu und ließ das Atomkraftwerk unter Volllast weiter laufen. Tagelang. Kontrollen ergeben später: Wichtige Sicherheitseinrichtungen standen während des Weiterbetriebes nicht zur Verfügung. Ein Leck im sensibelsten Reaktorteil wurde nur knapp vermieden.

Die Mängelliste: Das AKW Brunsbüttel wird in der Folge gründlich untersucht. Dabei wird eine Mängelliste erstellt, die nach Angaben der Deutschen Umwelthilfe "mehrere hundert technische Sicherheitsdefizite oder Sicherheitsnachweise" auflistet. Ob und wie viele der Mängel abgestellt worden sind, darüber schweigt Vattenfall, als der Reaktor wieder angefahren wird. Die Deutsche Umwelthilfe verlangt daraufhin auf der Grundlage der EU-Umweltinformationsrichtlinie von Sozialministerin Gitta Trauernicht (SPD) die Herausgabe der Liste. Die für die Reaktorsicherheit Zuständige sagt dazu: Sie sei ihrerseits durch eine Klage von Vattenfall "daran gehindert, die Liste der offenen Punkte aus der Sicherheitsanalyse von Brunsbüttel zu veröffentlichen".

Der Horno-GAU: 15 Jahre lang kämpfte eine ganze Region gegen die Abbaggerung des sorbischen Dorfes in der Niederlausitz. Die Sorben hatte der DDR getrotzt genauso wie der früheren Laubag. Dann übernimmt Vattenfall diese und macht Horno platt - obwohl in Schweden für nationale Minderheiten ein besonderer Gesetzesschutz gilt.

Das Forsmark-Debakel: Vor Jahresfrist kam es im schwedischen Vattenfall-AKW Forsmark zur zweitschwersten Atomenergie-Panne in Europa - nach Tschernobyl. Daraufhin ordnet die deutsche Atomaufsicht eine Untersuchung an, die klären soll, ob die Forsmark-Vorfälle sich auch bei einem Reaktor in Deutschland wiederholen können. Das Ergebnis der betriebseigenen Prüfung von Vattenfall lautet: "Unmöglich: Unsere Kraftwerke sind ganz anders gebaut." Die Überprüfung dieser Aussage durch die Atomaufsicht ergibt aber: Brunsbüttel und Forsmark sind baugleich. Augenscheinlich vermochten die Vattenfall-Spezialisten die Pläne der Vattenfall-Reaktoren Brunsbüttel und Forsmark nicht richtig zu lesen - oder sie haben schlichtweg gelogen.

Die Strompreis-Treiberei: Ende letzten Jahres tauchen Unterlagen über die Leipziger Strombörse EEX auf, die Preisabsprachen der vier Stromkonzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW belegen wollen. Daraufhin lässt die EU-Kommission auch die Geschäftsräume von Vattenfall durchsuchen. Das Bundeskartellamt sei an der Durchsuchung beteiligt gewesen, hieß es, bislang gebe es nur einen Verdacht, die Schuld der durchsuchten Unternehmen sei noch nicht bewiesen.

Der Laufzeitskandal: Bundesumweltminister Sigmar Gabriel sagt: "Seit 30 Jahren gibt es jetzt das AKW Brunsbüttel. 10 Jahre davon stand es wegen Pannen still." Gemäß Atomkonsens soll einer der pannenanfälligsten Reaktoren 2008 vom Netz gehen. Vattenfall will von diesem Konsens nichts mehr wissen: Beim Bundesumweltministerium beantragte der Konzern, Laufzeit des jüngeren AKW Krümmel auf das ältere AKW Brunsbüttel zu übertragen. Gabriel nennt diesen Antrag "abenteuerlich".

Der Braunkohle-Kampf: Um seine Braunkohle weiterhin zu Strom und sicheren Gewinnen zu verwandeln, kämpft Vattenfall gemeinsam mit RWE dafür, dass Braunkohlekraftwerke beim CO2-Emissionshandel weiter bevorzugt werden. Doch trotz der Proteste beschneidet die Regierung die Privilegien der Klimakiller, so dass die Kraftwerke künftig weniger rentabel sind. Falls die von Vattenfall propagierte CO2-Abscheidung nicht funktioniert - was viele Experten erwarten -, werden sich die Probleme verschärfen. Zudem kommt Widerstand gegen den Bau neuer Kohlekraftwerke auf, in Hamburg wie in Berlin, wo Pläne für ein Werk auf Eis liegen.

Das Preisdebakel: Nachdem Anfang Juli die Genehmigungspflicht für Strompreise entfällt, nutzt auch Vattenfall die Gelegenheit für eine neue "Tarifstruktur". In einem Brief an die Kunden stellte der Versorger seine Kunden vor die Wahl zwischen teurer und noch teurer - und verschwieg die preiswerteren Tarife. Trotz einer späteren Entschuldigung kündigten daraufhin zehntausende Kunden ihre Verträge.

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