Grafikdesign: Glaube an die reine Form

Seine Zeichen kennt jeder. Doch der Mann der Logos wurde selbst nie zu einem Logo: Die Retrospektive des Grafikdesigners und Fotografen Anton Stankowksi in Berlin.

Den Mann dahinter nicht - doch den Mann davor, den kannte man Bild: ap

Eine Neujahrskarte. Ein ozeanblaues Quadrat, aus dem sich im rechten oberen Eck ein kleineres Quadrat löst, aus dem sich im rechten oberen Eck ein kleineres Quadrat löst, aus dem sich im rechten oberen Eck ein kleineres Quadrat löst. Die vier Quadrate stehen für ein Jahr, einen Monat, eine Woche, einen Tag. Und sie stehen für den unbedingten Glauben des Anton Stankowski an die reine Form. Daran, komplexe Dinge mit wenigen Strichen begreifbar zu machen. Und verkäuflich - "Maler bekommt für fünf Striche 100.000 Mark", hatte eine Boulevardzeitung 1973 getitelt.

Und damit das Logo der Deutschen Bank gemeint, wie Stankowski überhaupt die Normierung und Logoisierung der deutschen Nachkriegsmoderne maßgeblich gestaltet hat. Das Oeuvre des 1906 in Gelsenkirchen geborenen, ab 1926 an der Essener Folkwang-Schule ausgebildeten Grafikers lässt sich als ein ziemlich großer Stapel von Briefköpfen darstellen. Als einige dutzend Litfaßsäulen voller Reklameplakate. Als eine raumgreifende Fassade mit illuminierten Markenzeichen. Das Oeuvre Anton Stankowskis ist mithin der Stadtraum einer prosperierenden Warendemokratie. Iduna, Deutscher Ring, Münchner Rück, Victoria, Bayern Versicherung, Vereinte Versicherungen: Es mag auch Indiz einer unter diesen designten Oberflächen zutiefst verunsicherten Moderne sein, dass ab den Siebzigerjahren so viele Versicherungen zu den Kunden von Stankowskis Stuttgarter Grafikbüro gehörten.

Dabei - auch das erzählt die Ausstellung, die nun in Berlin im Internationalen Design Zentrum und im Mies van der Rohe Haus zu sehen ist - war Anton Stankowski hin und wieder selbst ein Verunsicherer, ein Bricoleur der Sehgewohnheiten und Erwartungshaltungen. Am 27. August 1935 platzierte er einen grünen Reifenabdruck quer über der Titelseite der in Basel erscheinenden National-Zeitung. Sogar der Leitartikel wurde von ihm überfahren. Es ist die Spur eines Firestone-Pneus, wie sich ein paar Seiten später aus einer ganzseitigen Anzeigenwerbung erschließt. Guerilla-Marketing? Ausweitungen der Kampfzone? Anton Stankowski selbst hat das Werben, ganz im Sinne von Werkbund und Bauhaus, immer als kulturelle Geste und als künstlerische Disziplin verstanden.

Der Mann der Logos ist indes selbst nicht zum Logo geworden. Seine Entwürfe sind ganz und gar im Alltag aufgegangen. Max Bills Junghans-Armbanduhr, die Suhrkamp-Bücher von Willy Fleckhaus oder ein Braun-Plattenspieler von Dieter Rams sind immer auch Dinge der Distinktion. Ein Viessmann-Heizkessel allerdings bleibt ein Viessmann-Heizkessel. Mag auch Stankowskis Idee noch so brillant gewesen sein, das gedoppelte S im Firmennamen als stilisierten Heizkörper zu interpretieren.

Mit dem nordhessischen Wärmetechnikunternehmen verband Anton Stankowski eine in mehrerer Hinsicht programmatische Beziehung. Die Freunde Hans Viessmann und Anton Stankowski stehen für die Idee einer sozial und deshalb notwendigerweise ästhetisch gestalteten Marktwirtschaft. Für eine Corporate Identity, die mehr meint als nur die bedingungslose Anbindung des Konsumenten an eine Marke oder eine Produktfamilie. Noch heute kann man in Allendorf/Eder in der konstruktivistischen Kunst Stankowskis baden gehen - im von ihm gestalteten Betriebsschwimmbad der Viessmann-Werke.

Und doch bleibt da ein Unbehagen an der Moderne. Bleibt das Irrationale des allzu Rationalen, das im Design Zentrum in der Reinhardtstraße ein zeitgenössischer Fernsehbeitrag über das neue Erscheinungsbild der Deutschen Bank artikuliert: Die Mitarbeiter füllen das abstrakte, ihnen unverständliche Signet plötzlich mit ihren eigenen Erzählungen. "Keiner verlässt das Büro vor fünf nach sieben" ist nur eine der angebotenen Interpretationen. Ein Bankangestellter lacht. Der Versuch, im Fremden heimisch zu werden. Vielleicht war es tatsächlich eines der Probleme der Moderne, die Welt im buchstäblichen Sinne überformt zu haben. Vielleicht hat sich aber auch die Wirklichkeit irgendwann von den Formen und Figuren des 1998 in Esslingen gestorbenen Künstlers und Grafikers entfernt.

Betrachtet man die überwiegend chronologisch gegliederte Ausstellung von Raum zu Raum, drängt sich eine weitere Lesart auf: Plötzlich reißt der Zweite Weltkrieg eine Lücke in das Werk, in das künstlerische mehr noch als in die Gebrauchsgrafiken. Immer seltener ist Anton Stankowski nun der Fotograf, zu dem er an der Folkwang-Schule ebenfalls ausgebildet worden war und als der er 1929 in Zürich seine erste Anstellung gefunden hatte. Neun Jahre blieb Anton Stankowski in der Schweiz, zuletzt ohne Arbeitserlaubnis. Dann kehrt er nach Deutschland zurück und wird 1940 zur Wehrmacht eingezogen. Eine Neujahrskarte bleibt seine vorerst letzte Arbeit. Hände formen einen Schneeball, ein beklemmend unschuldiges Motiv in Zeiten des Krieges. 1948 kehrt Anton Stankowski aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft nach Stuttgart zurück.

Fast verschwunden ist nun diese listige Poesie des Augenblicks, das Lachen der Skifahrer auf einer Fotografie, die nassen Handschuhe in der Alpensonne auf einer anderen. Statt dieses Besondere zu suchen, ist das beeindruckende Werk Anton Stankowskis nun zur fortwährenden Suche nach dem Allgemeinen geworden, der Reduktion auf das Wesentliche, auf das Zeichen.

Bis 12. August, Internationales Design Zentrum Berlin; bis 19. August, Mies van der Rohe Haus Berlin, Katalaog (Verlag Hatje Cantz) 58 Euro

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