Debatte: Ganz verliebt ins Ghetto-Klischee

Gangsta-Rap von Einwandererkids ist populär wie nie. Er hat Erfolg, weil er rassistische Stereotype über Schwarze und Migranten bedient.

Gangsta-Rap in deutscher Sprache ist so erfolgreich wie nie. Mit Stars wie Bushido, Massiv und B-Tight hat das von auffällig vielen Einwandererkindern geprägte Genre inzwischen den "Reihenhaus-Rap" weißer Mittelschichts-Combos wie Freundeskreis, die Massiven Töne oder die Fantastischen Vier von den vorderen Plätzen der Charts verdrängt. Viel Geld lässt sich derzeit mit Geschichten über ehemalige Karrieren als Drogendealer, Kleinkrimineller oder im Knast verdienen. Der Plot vieler Songs ist ähnlich, stets wird auf eine kriminelle Vergangenheit, Sexorgien und hartes Straßenbusiness verwiesen. Die Namen der Rapper ändern sich, doch das Bild des omnipotenten und gefährlichen Gangsta-Rappers bleibt. Bildästhetik und Sprache der Videoclips gleichen sich den Vorbildern aus den USA an. Der eigene Block dient dabei als Kulisse für die Inszenierung als Alphamännchen-Rapper. Nur: Wer katapultiert die Möchtegern-Gangsta eigentlich in die Charts?

Ice-T gilt als einer der Begründer des Gangsta-Rap-Genres in den USA. Auf seinem Album "Home Invasion" von 1993 rückte die Cover-Zeichnung den Konsumenten ins Blickfeld. Ice-T wusste: Es ist vor allem der weiße, pubertäre Junge aus kleinbürgerlichen bis bürgerlichen Verhältnissen, der ihn in die Charts bringt. Diese Logik herrscht auch in Deutschland. Entscheidend für den kommerziellen Erfolg der Gangsta-Rapper ist der Blick der bürgerlichen Mitte auf das Ghetto. Es ist die Faszination, aus der sicheren Distanz heraus den Kampf im Dschungel der Straße zu konsumieren und damit gleichzeitig gegenüber dem eigenen Elternhaus rebellieren zu können. Gangsta-Rap dient dabei als pubertäre Vorlage zur Provokation gegen die bürgerlichen Normvorstellungen der Eltern. Um als Gangsta-Rapper sichtbar zu werden, müssen Stereotype wie "kriminelle Vergangenheit", "Omnipotenz" und "Gewalt" aufgerufen werden. Diese ästhetischen Codes sind aber häufig rassistisch und sexistisch gefärbt.

Als Türöffner in die Kinderzimmer fungiert in Deutschland noch immer die Bravo, die sich eine eigene Hiphop-Ausgabe leistet. In ihrer letzten Ausgabe informiert HipHop-Bravo ihre jugendlichen Leser mit einem großen "Crime Special" über den harten Alltag im Straßenbusiness. Dabei werden die fünf härtesten Real-Gangsters wie Popstars vorgeführt. In Interviews dürfen sie Fragen beantworten wie: Wo ist es schwieriger zu überleben - als Krimineller auf der Straße oder im Musikbusiness? Das Magazin bedient den Ghetto-Exotismus: Es geht um dicke Autos, Drogen, nackte Frauen in pornografischen Posen und Rapper, die ihren Erfolg in der Währung Groupies messen; die kriminelle Vergangenheit der Rapper wird möglichst authentisch in Szene gesetzt.

Das hauptstädtische Hiphop-Label Aggro Berlin hat sich auf die Vermarktung dieses Stereotyps spezialisiert. Die hauseigenen Rapper des Labels werden präzise auf die Marktlogik zugeschnitten. Rassistische, nationalistische und sexistische Images dienen dem Label beim Produktaufbau. In der Rap-Szene wird dies als gelungener Marketingcoup gewürdigt. Doch was als vermeintlicher Tabubruch daherkommt, ist nichts anderes als die Reproduktion rückständiger und reaktionärer Bilder über das vermeintliche Migranten-Ghetto. Die Rapper sind dabei Täter und zugleich Opfer dieser Bilder: Ihren Erfolg verdanken sie der Wirkungsmacht rassistischer Stereotype über den krassen Jungen aus dem Ghetto. Allerdings sind sie auch nur vor diesem Hintergrund denkbar. Selbst US-Stars wie 50 Cent können sich davon nicht frei machen. Darauf angesprochen, warum er stets so einen grimmigen und gefährlichen Blick spazieren trägt, antwortete er: Die Leute erwarten das von mir.

Exemplarisch lässt sich diese Entwicklung in Deutschland an den beiden Rappern B-Tight und Massiv verdeutlichen. B-Tight, der eine afrodeutsche Herkunft aufweist, wird von seinem Label Aggro Berlin als krasser "Neger" und großer Ficker vermarktet. Seine Ästhetik erinnert dabei stark an die Minstrel-Shows aus den Zeiten der Rassentrennung in den USA: Damals malte sich der weiße Komiker Thomas D. Rice schwarz an, um einem weißen Publikum den "Neger" als fröhlichen, singenden und dummen Sklaven vorzuführen. Diese Shows waren erfolgreich, und auch Schwarze spielten diese demütigenden Figuren nach, um Geld zu verdienen. Nun malt sich B-Tight auf seinen Plattencovern schwarz an, um seine Inszenierung als notgeiler, sexbesessener und fröhlicher Partyrocker zu unterstreichen. B-Tight bedient das rassistische Klischee vom Schwarzen, der nur seinem Trieb folgt und mit einem extragroßen Schwanz ausgestattet ist. Entsprechend tief lässt auch die HipHop-Bravo den pubertären Leser in das Sexleben von B-Tight blicken. Auf seine Kritiker antwortet B-Tight: "Wir haben den Neger-Bonus! Also, lasst das Rumgejammer und macht Party." Dies rät er auch dem antirassistischen Künstlerkollektiv Brothers Keepers, das ihn heftig kritisiert hat.

Auf der anderen Seite steht Massiv, ein Rapper, den SonyBMG unter Vertrag genommen hat. Dem Major-Label waren seine Straßenstories 250.000 Euro wert, der Rapper zog dafür eigens aus seiner Heimatstadt Pirmasens nach Berlin. Doch anscheinend fällt ihm die Inszenierung als Gangsta-Rapper auf den Straßen der Kleinstadt leichter als im rauen Alltag Berlins. Auch Massiv muss seine gesamte Vergangenheit als Drogendealer und Messerstecher in die Waagschale legen, um aufzufallen. Gespart wird auch nicht mit Vergewaltigungsfantasien. "Ich nehme mir egal welche Frau in den Wald. Ich mach, was ich will, mir ist egal, was ihr denkt", rappt Massiv auf seinem Album "Blut gegen Blut". Damit dockt er am Stereotyp des "kriminellen Ausländers" an, der Drogen dealt und brutal gewalttätig ist.

Beide Rapper brechen keine Tabus, sondern bedienen vielmehr eine rassistische Wahrnehmung, in der schon im Voraus festgelegt ist, wie der "Neger" oder der "Kanake" zu sein hat. Es sind rückständige Bilder, die ungebrochen in die Unterhaltungsindustrie eingespeist werden. Die Frage ist nur: Was macht dies mit dem pubertären Jungen aus der Mittelschicht, der sie konsumiert? Untersuchungen hierzu fehlen. Es darf aber vermutet werden, dass rassistische und sexistische Stereotype dadurch verfestigt werden.

Bezeichnenderweise geht der Erfolg von Gangsta-Rappern mit einer Verschärfung des Jugendstrafvollzugs einher. Auf der einen Seite wird das Drogendealer-Dasein von der Unterhaltungsindustrie ästhetisch glorifiziert. Andererseits verschärft der Staat die Kontrolle über klandestine Jugendgruppen. Dabei tragen die rückständigen Bilder, die vom vermeintlichen Ghetto reproduziert werden, nur dazu bei, die wahren sozialen Probleme in vielen Einwanderervierteln zu verdecken: von Arbeitslosigkeit, fehlenden Bildungschancen, Ausgrenzung von Frauen und Schwulen, repressiven Ausländergesetzen bis zu den schwierigen ökonomischen Bedingungen, unter denen viele Familien leiden müssen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.