Elektro: Bei Tregaskins unterm Sofa

Der sagenumwobene Aphex Twin hat eine neue Platte gemacht. Wahrscheinlich. Und sich für das Pseudonym The Tuss ein Ehepaar aus Cornwall verwandelt.

Das Ehepaar Tregaskin? Nein, von dem gibt's keine Fotos. Wir behalfen uns, knickknack, mit der Abbildung "AFX+Wife" (2006) Bild: analord promo

Landschaftsbilder von den sanft geschwungenen Hügeln der Grafschaft Devon sollen Karen Tregaskins Spezialität sein. Die Wasserfarben mischt ihr treu sorgender Ehemann Brian. Ansonsten produziert das Paar unter dem Namen The Tuss noch temperamentvolle Braindance-Musik. Angeblich. Denn: The Tuss hört sich täuschend echt nach Aphex Twin an. Das fiel bereits einigen auf. "Rushup Edge", das Debütalbum der Tregaskins, wurde vom hysterischen Gemurmel des Internets flugs zum neuen Werk des elektronischen Pranksters Richard D. James deklariert. Für die Tregaskins gleichzeitig Existenzfluch und Aufmerksamkeitssegen.

Erst mal musste der Waschzettel wieder umgeschrieben werden. In Version zwei steht da jetzt etwa über das "Debütalbum vom inzwischen nicht mehr ganz so mysteriösen Signing The Tuss". Sieht man mal ab von den Acid-Tracks, die der Engländer unter dem Alias Analord zwischenzeitlich veröffentlichte, könnte "Rushup Edge" also sein erstes Lebenszeichen seit dem Aphex-Twin-Opus-magnum "Drukqs" von 2001 sein. "Wenn du wüsstest, für wen ich schon alles Musik komponiert habe", gestand Richard D. James einmal einer Journalistin. "Manche Menschen glauben, ich sei ganz allein für alle elektronische Musik verantwortlich. Ich bin jedermann und gleichzeitig niemand." Nun ja, jetzt ist Aphex Twin ein Ehepaar.

"Tuss", will uns der Waschzettel Glauben machen, sei Cornwall-Slang und heiße "erigiertes Glied". Wenn es um Promotion ging, war Richard D. James nie verlegen. So begründete er Mitte der Neunziger die "heilige Dreifaltigkeit der spirituellen Cornwall-Musik". Mit seinen Produzentenkumpels Luke Vibert und Mike Paradinas erklärte er die verschlafene Gegend im Süden Englands neben Düsseldorf und Detroit zum dritten Mississippidelta der elektronischen Musik. In Wahrheit lebten alle längst in Ostlondon.

Ihr Techno-Auteur-Image basiert auf Nichtidentität. Alle Markenzeichen werden so lange verschleiert, bis sie überdeutlich werden. Vieles hat aber auch mit "Korruption und Schwachsinn auf engstem Raum" zu tun, wie eine alte Luke-Vibert-Bio verrät. Korruption ist bei Aphex Twin gleichbedeutend mit korrupten Dateien. Gerne nannte er Tracks nach Windows-Viren - "orban cq trx4" etwa oder "atx237v.7". Und der Irrsinn geht jetzt unvermindert weiter: Für The Tuss werben gleich zwei MySpace-Seiten. Außer der Plattform der Tregaskins tummelt sich auch noch ein Technokollektiv gleichen Namens im Netz. Die Personenfahndung nach Reid William Dunn, Robbie Martin und Mike Podolak, die klingen wollen "wie Richard D. James, der Drachen jagt", verläuft allerdings im virtuellen Sand. Auf "Rushup Edge" benutzte Sounds lassen sich hingegen zweifelsfrei identifizieren - zum Beispiel die "Dream-Machine" als Klangquelle, ein Kosename für den mehrgeschossigen GX-1-Synthesizer von Yamaha.

Weltweit existieren noch circa sieben Exemplare dieses Analogungetüms, eines davon in einem umgebauten Bankgebäude nahe der Londoner U-Bahn-Station Elephant & Castle, in dem Na-wer-wohl residiert. Die Dream-Machine passt zu einem Elektronikproduzenten, der behauptet, all seine Musik entstünde im Traum. "Die besten Ideen kommen, wenn ich gar nicht bewusst Musik mache." Mag James noch so unbewusst in die Tasten hauen und die Knöpfchen als Somnambuler drehen, die Publicityschachzüge des passionierten Schachspielers werden immer gewiefter. Man weiß es einfach nicht so genau - man soll es wohl auch nicht wissen -, ob Richard D. James in direktem Kontakt mit Stonehenge steht, ob er Heeresgerät für musikalische Zwecke missbraucht oder doch nur ein weiterer mangelernährter Ü-40-Heimjunge ist, der seit dem Discozeitalter keine Clubnacht mehr versäumt hat.

Die sechs Tracks auf "Rushup Edge" nehmen den Faden der schroffen Aphex-Twin-Tracks aus den Neunzigern wieder auf, um ihn dann zu zerreißen. Alles, was bei "Drukqs" noch wie elegisch-romantischer Ambient anmutete, ist einem zerschredderten Bewegungsdrang gewichen. Aus 1001 Echokammern dringt der Elektro nach wie vor düster, aber die Energie brennt Löcher in den Datenfluss. "Shizko" nennt sich eines dieser richtungslos taumelnden Unruhekissen. Erstaunlich: Der Doubletime-Drum-n-Bass-Schüttelfrost ist wieder da. Diese "Death Fuck Mental Beats", wie die Plattenfirma die knarzenden Rhythmusmuster von The Tuss nennt, sind so lebenslustig wie eine Bande frisch geschlüpfter Körperfresser. Dazu spuckt die Dream-Machine Fensterputzgeräusche aus, bei denen sogar Dario Argento Gänsehaut bekommen würde. "Lehnstuhl-Techno" hat man die Soundscapes von Aphex Twin einmal genannt. Für "Rushup Edge" müsste man sich am Ohrensessel festbinden oder gleich verkriechen: bei Tregaskins unterm Sofa.

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