Arbeitskampf: Kleine Gewerkschaften, ganz groß

Lokführer-Gewerkschafter werden von Kollegen als Spalter beschimpft. Doch kleine Fachgewerkschaften werden immer erfolgreicher - was Unternehmer wie Gewerkschaftslinke freut.

Schön wär's: GdL-Anführer Manfred Schell vor bestreikter Lok im Juli. Bild: ap

Die Stimmung in den Zügen der Deutschen Bahn AG ist derzeit kaum zu retten. Zu der Ungewissheit, wie es weitergeht, sind die Anfeindungen der Kollegen gekommen. "Spalter nennen sie uns und Egoisten", sagt ein Lokführer, der Mitglied der GDL ist, aber seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Tatsächlich schimpft der bei Transnet organisierte Schaffner draußen darüber, dass "die uns in eine beschissene Situation bringen". Angeheizt hat dieses Klima der raue Umgangston, den Transnet-Chef Norbert Hansen und GDL-Chef Manfred Schell pflegen. Und erst recht die Unterschriftenaktion, die Hansen gegen die Urabstimmung der GDL organisiert hatte. Auch in der war nicht nur von einem "tarifpolitischen Crashkurs der GDL", sondern auch von "Spaltung der Belegschaft" die Rede.

Ähnlich harsch wird auch in der Öffentlichkeit über Sinn und Unsinn des eigenständigen GDL-Wegs diskutiert. Dabei geht es nicht mehr nur um die beiden - oder mit der GDBA drei - Bahn-Gewerkschaften, sondern um einen vermeintlichen oder tatsächlichen "Boom der Fachgewerkschaften", wie das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln frohlockt. Denn der wäre ein herber Schlag für den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), der damit geschwächt würde und Tarifmacht abgeben müsste. Erstaunlich nur: Nicht nur die Wirtschaft freut sich über den zwischengewerkschaftlichen Konflikt, auch die Gewerkschaftslinke unterstützt die GDL-Linie.

Um das zu verstehen, lohnt ein Blick auf die Gewerkschaftslandschaft: Rund 115 Gewerkschaften gibt es in Deutschland, 75 davon sind in den Dachverbänden DGB, Beamtenbund und Tarifunion (dbb) sowie Christlicher Gewerkschaftsbund (CGB) organisiert. Dabei zählen die DGB-Gewerkschaften 6,5 Millionen Mitglieder, die dbb-Organisationen 1,2 Millionen und die christlichen 300.000. Während Transnet zum DGB gehört, sind GDL und GDBA Mitglied im dbb.

Branchengewerkschaften wie die acht DGB-Gewerkschaften organisieren alle Beschäftigten einer Branche, unabhängig von ihrem Berufsstand. Die Idee: Von der größeren Verhandlungsmacht können auch schwächere Berufsgruppen profitieren. Berufsständische oder Fachgewerkschaften wie die GDL, Cockpit, der Marburger Bund, die Organisation der Fluglotsen und etliche andere vertreten eine enger begrenzte Gruppe. Sie treten meist in Tarifgemeinschaften mit den DGB-Gewerkschaften an.

Echte Konflikte gab es bislang selten - und dann mit unterschiedlichen Ergebnissen. 1999 unterschrieb die christliche Gewerkschaft CGM in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie das Vertragswerk "Phoenix", das den bisherigen Verhandlungspartner IG Metall entsetzte: Es verzichtete auf Weihnachts- und Urlaubsgeld und nahm längere Arbeitszeiten in Kauf.

Erfolgreicher verliefen die Alleingänge der Piloten und der Flugsicherung. Sie setzten 2001 und 2007 mit Streiks dicke Gehaltserhöhungen durch, auf die Ver.di nur noch neidisch sein konnte. Der Pilotenjob ist einer der bestbezahlten in Deutschland, auch ein Fluglotse verdient bis zu 110.000 Euro im Jahr. Vergleichbares schaffte nur die Ärztevereinigung Marburger Bund, als sie sich 2005 von ihrem Tarifpartner Ver.di trennte.

Dass diese Fach- oder berufsständischen Gewerkschaften per se durchsetzungsfähiger wären als die großen Branchengewerkschaften, glaubt man bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung aber nicht. "Es gibt nicht viele Infrastrukturschnittstellen, an denen sich so viel Druck entwickeln lässt", meint Sprecher Rainer Jung.

Für die Gewerkschaftslinke ist das ohnehin nicht der Punkt. "Wenn es darum geht, wie sich die Gewerkschaften in Zukunft entwickeln, kommt es mehr darauf an, für wen sie stehen und was sie tun", sagt Tom Adler, Mitglied des kritischen Stuttgarter Metallerforums. Da ist die GDL ein Sonderfall gegenüber Cockpit oder den Fluglotsen. Die Gewerkschaft hat sich schon vor Jahren für Fahrpersonal geöffnet, betreibt also keine rein ständische Politik. Vor allem aber vertritt sie mit den Lokführern eine eher schlecht bezahlte Klientel. Adler: "Man kann nicht sagen, dass die GDL die Durchsetzungsmacht einer privilegierten Gruppe zu Lasten anderer ausnutzt."

Tatsächlich verschwimmen inhaltlich die Grenzen zu den großen DGB-Gewerkschaften, die ihre Rolle in den letzten Jahren auch neu definiert haben: Sie suchen neue Mitglieder vor allem im höherqualifizierten Angestelltenmilieu, das sich selbst stark mit den Unternehmenszielen identifiziert.

Auf diese Weise ist auch die Transnet vielen Kollegen fremd geworden. "Eine Gewerkschaft der Eisenbahner müsste doch im ureigenen Interesse ihrer Mitglieder einen pointierten Standpunkt gegen Streckenstilllegungen, den Privatisierungskurs und eine Börsenbahn einnehmen", sagt Adler. Das tut die kleine Gewerkschaft GDL. Die Transnet stützt den Kurs des Bahn-Vorstands.

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