Menschheitsgeschichte: Homo erectus erregt christliche Eiferer

Der kenianischer Paläontologe Frederick Manthi schreibt nach neuen Hominidenfunden den Stammbaum des Menschen um: Die "Wiege der Menschheit" stehe doch in Kenia.

Frederick Manthis Geburtstagsgeschenk: der Schädel eines Homo erectus Bild: dpa

NAIROBI taz Es ist das schönste Geburtstagsgeschenk, das Frederick Manthi je bekommen hat. "Ich bin wie jeden Morgen früh aufgestanden und bin dann mit meinen Kollegen über unsere Ausgrabungsstätte in Ileret gelaufen", erinnert sich der kenianische Paläontologe. "Auf einmal sah ich ein Stück Knochen, und wir begannen den Fund Stück für Stück freizulegen." Das war vor sieben Jahren. Dass wegen des Schädels, den Manthi entdeckte, ein Teil der Menschheitsgeschichte neu geschrieben würde, hat er sich damals nicht in seinen wildesten Träumen vorgestellt. Doch heute ist er sich dessen sicher.

Insgesamt zwei Funde sind es, die - miteinander in Verbindung gesetzt - den bisher akzeptierten Stammbaum des Menschen infrage stellen. Da ist der Schädel des Homo erectus, den Manthi an seinem Geburtstag fand - 1,55 Millionen Jahre alt und der kleinste Schädel seiner Art. Trotz der geringen Größe hat Manthi aufgrund bestimmter Ausprägungen keinen Zweifel daran, dass es sich um den Schädel eines "aufrecht gehenden Menschen", des direkten Vorfahren des heutigen Menschen (Homo sapiens), gehandelt hat.

Stattdessen vermuten die Paläontologen um Frederick Manthi, dass die Größe auf das Geschlecht hinweist. "Dass Homo erectus womöglich körperbauliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern aufwies, ist alleine schon eine neue Entdeckung", so Manthi.

Das zweite Fundstück ist ein Oberkiefer aus der gleichen geologischen Epoche, dem Pleistozän - 1,44 Millionen Jahre alt. Doch der Oberkiefer stammt nicht von einem weiteren Homo erectus, sondern - so Manthi - von einem Homo habilis.

Der 1960 erstmals im nahen Tansania entdeckte Homo habilis galt bislang als direkter Vorfahr des Homo erectus. Doch Manthi hält diese Lehrbuchmeinung für widerlegt. "Die beiden Fossilien zeigen, dass wir den Stammbaum umschreiben müssen: Homo habilis und Homo erectus haben im Turkanabecken gemeinsam gelebt, sie waren praktisch Schwestern."

Freilich hat Manthi nicht nur mit anderen Hypothesen zu kämpfen: Der Forschungsstandort Kenia hat derzeit viel fundamentalere Kritikern aus dem eigenen Land, deren Einfluss wächst.

"Die angeblichen Fossilien dürfen nicht im Museum ausgestellt werden", fordert Bischof Boniface Adoyo von Nairobis Pfingstkirche, der zugleich einem Bündnis der evangelikalen Kirchen in Kenia mit etwa sechs Millionen Gläubigen vorsteht. "Ich mache mir Sorgen, dass Kinder sie sehen und denken, wir würden von Affen abstammen. Dabei steht in der Bibel, dass Gott uns nach seinem Ebenbild erschaffen hat, das ist die Wahrheit."

Derzeit wird Kenias Nationalmuseum umgebaut, finanziert von der Europäischen Union. Wenn es in einigen Jahren wieder eröffnet wird, sollen 13 Gallerien die Highlights der humanen Evolution zeigen. Doch wenn es nach Adoyo und der ständig wachsenden Zahl von Kreationisten in Kenia geht, muss das verhindert werden. Ausgerechnet die katholische Kirche und ihr Erzbischof Ndingi Mwanaa Nzeki betätigen sich derzeit als Vermittler. "Wir müssen die Geschichte respektieren, weglaufen vor ihr können wir nicht."

Dabei hat Manthi eine spannende Geschichte des Menschen zu erzählen: Unterschiedliche ökologische Nischen hätten der Homo erectus und der Homo habilis besetzt, meint Manthi. Die beiden Spezies hätten sich keine direkte Konkurrenz gemacht. "Das kann man vergleichen mit Gorillas und Schimpansen, die ja auch nebeneinanderher existieren." Immerhin eine halbe Million Jahre lang soll diese Koexistenz gedauert haben.

Der Homo erectus, der erst vor etwa 40.000 Jahren ausstarb, war Jäger und Sammler. Paläoanthropologen leiten aus Abnutzungsspuren von Zähnen her, dass der Homo erectus sich gleichermaßen von Fleisch und Früchten ernährte. Er konnte Feuer machen und stellte Steinwerkzeuge her; bei den jüngsten Funden wird sogar die Fähigkeit zur Sprache vermutet.

Der Homo habilis lebte hingegen in den geschätzten eine Million Jahren seiner Existenz deutlich einfacher: Er ernährte sich von Früchten und Aas, jagen konnte er vermutlich noch nicht. Steine nutzte er, bearbeitete sie aber nicht zu Werkzeugen wie der Homo erectus.

Über den neuen Fund im Norden Kenias freut sich Idle Farah, Direktor der Nationalen Museen Kenias, mindestens so sehr wie Manthi. Während die Region rund um den Turkanasee früher unbestritten als die "Wiege der Menschheit" galt, kamen die letzten Sensationsfunde aus Georgien oder dem Nachbarland Äthiopien, wovon - am berühmtesten - "Lucy" (ein rund 3,2 Millionen Jahre altes Skelett) gerade auf US-Tournee ist.

"Dieser Fund ist der letzte in der Reihe von einmaligen Fossilien, die beweisen, dass Kenia zu Recht den Titel Wiege der Menschheit trägt", trotzt Idle der Konkurrenz. Im Hinterkopf plant er bereits eine Tournee von Schädel und Oberkiefer, die im Übrigen keine Spitznamen erhalten haben. "Ausstellungen im Ausland bringen das dringend benötigte Geld, das solche Forschungen kosten."

Dass der aufsehenerregende Fund von Frederick Manthi präsentiert wurde, ist für Idle und viele andere Kenianer zudem ein Akt der Emanzipation. "Wenn Kenianer in der Vergangenheit Fossilien gefunden haben, ist ihr Name selten genannt worden - wir ändern das jetzt", kündigt der Museumsdirektor an.

Damit wendet er sich vor allem gegen Kenias berühmteste Paläontologendynastie mit britischen Wurzeln: die Leakeys. Es waren Mary und Louis Leakey, die 1960 den Homo habilis fanden. Obwohl Manthi in Ileret im Team von Meave Leakey arbeitet, war die Frau mit dem berühmten Nachnamen bei der Pressekonferenz auffällig abwesend. Als ihr Mann und Marys Sohn Richard Leakey 1984 den "Turkana Boy" der Presse vorstellten, war das noch anders. Erst später kam heraus, dass tatsächlich nicht Leakey, sondern ein Teamkollege, ein Kenianer namens Kamoya Kimeu, das Homo-erectus-Skelett gefunden hatte.

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