Sechs Jahre 9/11: Bedrängt, aber nicht besiegt

Nach sechs Jahren War on Terror ist al-Qaida weiterhin handlungsfähig. Doch das islamistische Terrornetzwerk hat viele seiner Sympathisanten verloren.

Sechs Jahre nach den Anschlägen auf das WTC: Eine Bilanz Bild: dpa

Der Prophet Mohammed war nicht gut zu sprechen auf Leute, die sich den Bart schwarz färben. "Sie werden der Wohlgerüche des Paradieses nicht teilhaftig", warnt ein Hadith, denn Schwarz ist die Farbe der Insassen der Hölle. Ussama Bin Laden scheint diesen Teil der Überlieferung nicht gelesen zu haben, denn in dem kurz vor dem sechsten Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 veröffentlichten Video ist sein einst ergrauter Bart wieder schwarz. Dass er die Amerikaner dazu auffordert, den Islam anzunehmen, gegen das "kapitalistische System" wettert und einige Kommentare zum Irak abgibt, ist zweitrangig. Wichtiger als der Inhalt ist die Botschaft selbst: Nach sechs Jahren War on Terror lebt Bin Laden noch und kann sich öffentlich äußern.

11. September 2001: Anschläge auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington.

20. September 2001: US-Präsidenten George W. Bush spricht in seiner Rede vor dem Kongress zum ersten Mal von einem "Krieg gegen Terrorismus".

7. Oktober 2001: US-amerikanische und britische Truppen beginnen mit der Operation "Enduring Freedom". Am selben Tag sendet al-Dschasira eine Videobotschaft von Ussama Bin Laden.

13. November 2001: Truppen der "Nordallianz" erobern Kabul.

11. Januar 2002: Die USA eröffnen das erste Gefangenenlager auf ihrem kubanischen Militärstützpunkt Guantánamo.

29. Januar 2002: Bush spricht in seiner Rede zur Lage der Nation

von einer "Achse des Bösen".

Nordkorea, Iran und Irak würden Terroristen unterstützen.

12. Oktober 2002: Bei Anschlägen auf Diskotheken in Bali (Indonesien) sterben 202 Menschen.

20. März 2003: US-amerikanische und britische Truppen beginnen den Angriff auf den Irak, am 7. April nehmen sie Bagdad ein.

15./20. November 2003: Bei vier Anschlägen in Istanbul auf jüdische und britische Einrichtungen sterben insgesamt 57 Menschen.

11. März 2004: Bei Anschlägen auf Pendlerzüge in Madrid werden 191 Menschen ermordet.

29. April 2004: Es wird bekannt, dass amerikanische Soldaten im Gefängnis Abu Ghraib irakische Gefangene misshandelt haben.

7. Juli 2005: Bei Anschlägen

auf die Londoner U-Bahn werden 56 Menschen getötet.

7. Juni 2006: US-Truppen töten den Führer von al-Qaida im Irak, Abu Mussab Sarkawi.

14. August 2007: Bei einem der schwersten Anschläge seit dem US-Einmarsch sterben im Nordirak 220 Menschen. TAZ

Das Video sei "eine Erinnerung daran, dass wir in einer gefährlichen Welt leben", kommentierte US-Präsident George W. Bush. In den kommenden Tagen muss er sich vor dem Kongress für den Irakkrieg rechtfertigen, und die Abgeordneten der Opposition werden ihn daran erinnern, dass er für eine weniger gefährliche Welt sorgen wollte. Auch in Afghanistan stehen die Dinge nicht zum Besten, und in islamischen wie westlichen Ländern tauchen immer wieder terroristische Gruppen auf, die sich an al-Qaida orientieren.

Der Kampf gegen die Dschihadisten wurde eher improvisiert. Ein umfassendes Konzept hat Bush nie vorgelegt. Doch auch al-Qaida hat ihre Ziele nicht erreicht. Das Netzwerk ist heute isolierter als unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September. Das aber ist weniger ein Erfolg des War on Terror als eine Folge der Brutalität des Terrors, die selbst islamistische Sympathisanten abschreckt.

Einen schnellen Sieg hat Bush allerdings nie versprochen. Dies sei "ein Konflikt mit Gegnern, die glauben, sie seien unsichtbar", sagte er am 15. September 2001. Erforderlich seien "Aktionen gegen terroristische Organisationen und gegen jene, die sie beherbergen und unterstützen". Welche Aktionen dies sein sollten, ließ er offen. Dennoch erlaubte ihm der Kongress fast einstimmig, im "Krieg gegen den Terror" alle "erforderlichen und angemessenen Mittel" einzusetzen.

Bush, der im Folgenden mehrfach klarstellte, dass er sich als "Präsident in Kriegszeiten" nicht an Kongressentscheidungen und Gesetze gebunden fühle, nutzte die Gelegenheit, um die Macht der Exekutive zu erweitern. Dass seine Aussagen vage blieben, lag auch an der im Weißen Haus herrschenden Unsicherheit darüber, wo sich das Terrornetzwerk überall eingenistet hatte. Klar war nur, dass sich der erste Schlag gegen al-Qaida und deren Gastgeber, die von Mullah Omar geführten Taliban in Afghanistan, richten würde.

Die Gegenseite wähnte sich besser vorbereitet und plante, die USA in einen Zermürbungskrieg zu verwickeln. Man hoffte sogar, dies werde zum Zusammenbruch der letzten verbliebenen Weltmacht führen. Denn unter den Dschihadisten hatte sich der Mythos verbreitet, allein der Kampf der afghanischen Mudschaheddin habe die Sowjetunion zu Fall gebracht. "Unsere Schlacht mit den Vereinigten Staaten ist leicht, verglichen mit den Schlachten, die wir in Afghanistan geschlagen haben", sagte Bin Laden bereits 1996 der Tageszeitung al-Kuds al-Arabi.

Doch in Afghanistan hatte er sich verkalkuliert. Das Taliban-Regime brach nur wenige Wochen nach dem Beginn der Bombardierungen am 7. Oktober 2001 zusammen. Nun mussten die Dschihadisten improvisieren. Der Führungszirkel konnte sich ins pakistanisch-afghanische Grenzgebiet zurückziehen. Doch viele Kader waren getötet worden, und auch in anderen Ländern gerieten die Zweigstellen von al-Qaida unter Druck.

In den folgenden Jahren war die Führung von al-Qaida immer weniger dazu in der Lage, selbst Anschläge zu planen und durchzuführen. In den pakistanischen Bergen waren einfachste Dinge wie die Kommunikation ein Problem. Zudem bemühte sich die US-Regierung, die Finanzquellen - Überweisungen reicher Gönner aus den Golfmonarchien und einige islamische Wohlfahrtsorganisationen - auszutrocknen. Dank ihres sagenumwobenen Rufes konnte al-Qaida dennoch die symbolische Führung in einem globalen Dschihad übernehmen, den nun unabhängig agierende Gruppen übernahmen. Nun trat der Ägypter Aiman al-Sawahiri in den Vordergrund, der eigentliche Ideologe und Stratege von al-Qaida. Er benannte die Ziele und die politischen Leitlinien, die über das Internet bekannt gegeben wurden.

Bush hatte unterdessen ein neues Kriegsziel gefunden. Der Einmarsch in den Irak wurde der Öffentlichkeit als Teil des War on Terror präsentiert, obwohl Saddam Hussein mit den Anschlägen vom 11. September nichts zu tun hatte. Die Debatten über einen Irakkrieg hatten bereits unter Präsident Bill Clinton begonnen. Man fürchtete eine schleichende Rehabilitierung des irakischen Regimes, die den Einfluss der USA im Nahen und Mittleren Osten stark gemindert hätte.

Im Irak hatten sich die USA verkalkuliert. Die Fehleinschätzung, es werde keinen nennenswerten Widerstand geben, sowie das unberechenbare Durcheinander in der Politik gegenüber den Sunniten, die mal hofiert, dann wieder massakriert wurden, erleichterten es ausländischen Islamisten, sich im Irak festzusetzen. Für einige Jahre wurde das Land zur wichtigsten Basis des globalen Dschihad, sodass Abu Mussab al-Sarkawi, der Führer der "al-Qaida im Zweistromland", sogar den Führungsanspruch Bin Ladens in Frage stellen konnte. Ende April 2006 erklärte er in einem Video, er werde künftig auch außerhalb des Landes tätig werden, obwohl Bin Laden ihn nur als "Emir" für den Irak anerkannt hatte. Ob Sarkawis größere street credibility der alten Führung hätte gefährlich werden können, blieb ungeklärt. Denn im Juni 2006 wurde er von der US-Luftwaffe mit zwei 500-Pfund-Bomben getötet.

Mittlerweile scheint al-Qaida im Irak sehr isoliert und geschwächt zu sein. Die ausländischen Dschihadisten hatten durch ihre extreme Brutalität selbst irakische Islamisten gegen sich aufgebracht. Das hat es dem US-Militär ermöglicht, Bündnisse mit zuvor regierungsfeindlichen sunnitischen Milizen, überwiegend bewaffneten Einheiten von Stammesführern, zu schließen. Ähnliche Probleme hat al-Qaida in Pakistan.

Das vielleicht wirksamste Mittel im Kampf gegen al-Qaida ist al-Qaida selbst. Anfangs profitierte Bin Laden von antiamerikanischen Ressentiments, doch die Brutalität des Terrors hat viele Sympathisanten in den islamischen Ländern ernüchtert. Angesichts spektakulärer Anschläge in westlichen Ländern gerät leicht in Vergessenheit, dass weit mehr als 90 Prozent der Opfer des Dschihadismus Muslime sind. Wer der Islaminterpretation von al-Qaida nicht folgen mag, gilt als Feind. Es genügt, an einer Feier teilzunehmen, bei der Musik gespielt wird, um zum Ziel eines Attentats zu werden. Am 9. November 2005 sprengte sich ein Attentäter in der jordanischen Hauptstadt Amman inmitten einer Hochzeitsgesellschaft in die Luft und tötete 38 Menschen. Zwei Jahre zuvor hatten 60 Prozent der Jordanier bei einer Umfrage "Vertrauen" zu Bin Laden bekundet, nach dem Anschlag hielten 87 Prozent al-Qaida für eine Terrororganisation.

Dennoch fehlt es nicht an Rekruten. Al-Qaida ist es gelungen, eine globale Subkultur zu schaffen. Es gibt Selbstmordattentäter, die dem Klischeebild entsprechen und in einem Flüchtlingslager aufgewachsen sind. Doch die meisten Kader sind Akademiker aus der Mittel- und Oberschicht, die das geschlossene Weltbild einer hierarchischen, korporatistischen Gesellschaftsordnung mit einem strikten Moralcode anzieht. Über das Internet verbreitete Videos, die Angriffe auf US-Truppen oder die Opfer westlicher Militäraktionen zeigen, bieten eine moralische Rechtfertigung, militaristischen Männlichkeitswahn ungehemmt auszuleben. In manchen Fällen scheint die Religion nur noch eine oberflächliche Rechtfertigung für die Gewalt zu sein. Menschen, die noch wenige Monate zuvor säkular gelebt haben, werden zu Selbstmordattentätern, ohne eine Religionsschule besucht oder einem "Hassprediger" gelauscht zu haben.

Immer wieder tauchen neue Täter auf, die homegrown terrorists in Großbritannien und jüngst die Konvertiten in Deutschland, was die Ermittlungsbehörden vor große Probleme stellt. Doch wer bereit ist, Bürgerrechte für mehr Sicherheit preiszugeben, wird feststellen, dass er sich von den Terroristen treiben lässt. Moscheen, in denen Extremisten predigen, kann man schließen. Die Selbstmordattentäter, die sich am 7. Juli 2005 in London in die Luft sprengten, trafen sich aber in Fitnessstudios. Sollen auch sie geschlossen oder lückenlos überwacht werden?

Schnelle Lösungen gibt es nicht. Es ist leicht, Bushs Fehler aufzuzählen, die den Dschihadisten die Arbeit erleichtert haben: die Folterung von Gefangenen, die Bombardierung von Zivilisten, die trotz der Demokratisierungsrhetorik wohlwollende Behandlung mancher islamischen Diktatur und vieles mehr. Es wäre aber ein Irrtum, anzunehmen, die Dschihadisten würden zu friedlichen Muslimen mutieren, wenn man sie nicht mehr bekämpfte. Wie alle Rechtsextremisten betrachten sie Nachgiebigkeit als Schwäche und als Aufforderung zu weiteren Angriffen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.