New Wave-Queen: Schwanensee in Schwarz

Elf Jahre nach dem Ende der Banshees ist Siouxsie Sioux zurück: Cool wie gehabt lässt sie sich auf ihrem Soloalbum nicht von Pop-Moden kirre machen.

"Ich bin ein Eremit", behauptet Siouxsie Sioux. Bild: fiona freund/universal

Im Speisesaal des Hotels sitzt sie am Fenster, mit Blick auf die Spree, und belegt eine Minibrotscheibe akkurat mit Käse. Sie ist englisch klein, trägt einen schwarzen Blazer, schwarze, eventuell unwirklich schwarze Haare, schwarzes Augen-Make-up und dezente Lippenfarbe - kein Vergleich mit dem Farbtopf, in den sie damals regelmäßig sprang. Ihre Vergangenheit sieht man eigentlich am ehesten den Ohrläppchen an: Die mussten früher, in den Achtzigern, einige Gewichte tragen, so dass sie jetzt, obwohl nur noch popelige Kreolen durchgepiekt sind, ein wenig ausgeleiert wirken. Sympathisch ausgeleiert.

Siouxsie Siouxs Ohrläppchen sprechen Bände. "Mantaray" heißt die neue Soloplatte der Ex-Siouxsie-&-the-Banshees-Frontfrau, bei deren Erwähnung in einer bestimmten Generation unisono geseufzt wird, und zwar sehnsuchtsvoll: Siouxsie war damals mit ihrer tiefen, unterkühlten und wandelbaren Stimme, dem Lack-und-Leder-Bürgerschreck-Outfit und ihrer scheinbar angeborenen Eleganz das New-Wave-Pin-up par excellence. Sie war die queen of the goth scene, die damals noch gar nicht so hieß und auch noch nicht im Mainstream angekommen war, sondern sich - genau wie Punk, nur poppiger und schnieker gekleidet - als Antibewegung zu hippieskem Hair Peace, Barfüßigkeit und Artrock-Gitarrensoli in den späten Siebzigern geformt hatte.

Die 1957 im Londoner Vorort Bromley geborene Susan Dallion hatte sich nach dem legendären "Punk Fest" im ebenso legendären Londoner "100 Club" 1976 von der Fan- auf die Bühnenseite geschlagen und mit den Banshees 1978 einen ersten Top-Ten-Hit in Großbritannien geschafft: "Hong Kong Garden" traf die merkwürdige, pop-ironische, New Wave und Rockriffs gleichzeitig streifende Post-Punk-Stimmung genau, die von Siouxsie ausging - nah und cool zugleich.

Die Banshees folgten dann dem Werdegang vieler Bands dieser Tage, erspielten sich eine extrem loyale Fanbasis und kletterten in den Achtzigern ab und an in niedrigere Chartpositionen, vor allem mit Coverversionen (dem Beatles-Song "Dear Prudence" und Iggy Pops "The Passenger"). Ihren eigenen Songs fehlte, was man auch als Pluspunkt sehen kann, dann doch oft der Popeffekt. Der damals nur halb so aufgeschwemmte Robert Smith zupfte eine Weile die verzerrte Banshees-Gitarre, doch Querelen zwischen ihm und der Sängerin, die, wie man munkelt, vor allem haarmodischer Art waren, vereitelten die weitere Zusammenarbeit. Offiziell lösten sich die Banshees 1996 auf.

Wo Siouxie denn also war in den letzten elf Jahren? Informationsbrosamen gab es: Sie habe eine Werbekampagne für einen japanischen Kosmetikhersteller gemacht, dessen Zutaten angeblich ultrageheime Pflanzenstoffe aus den dunklen Tiefen der Weltmeere sind. Ohnehin sei sie nur noch in Japan, der anerkannten Hochburg für verkleidungsreiche Jugendszenen, bekannt. "1995 haben sich Siouxsie & the Banshees aufgelöst", erzählt sie, nach 13 Alben, "und 2002 hatten wir das verflixte siebente Jahr und tourten wieder zusammen. Aber irgendwie habe ich da gemerkt: Das ist wirklich das Ende. Es hätte auch anders kommen können, man hätte ein paar alte Wunden heilen können …, doch sie blieben offen. Schade. Cest la vie. Haha." So ein Lachen nennt man "kehlig".

Danach ließ Siouxsie die Creatures wieder auferstehen, ein uraltes Prä-Banshees-Projekt. "Wir hatten 2004 eine Show in der Royal Festival Hall, mit großem Orchester, Bläsern, Streichern. Die DVD kam 2005 raus und kam auf Platz 1 der englischen Charts." Siouxsies Heimat ist freundlich zu ihren Helden, so wie man hier unerklärlicherweise freundlich zu Nena ist. Jetzt, inmitten des Achtziger-Revivals und dennoch völlig unbeleckt davon, sitzt Siouxsie im Hotelspeisesaal, zeigt kaum Falten und erzählt, mit dem Timbre einer wohlerzogenen Diva.

Dass sie seit 15 Jahren in Frankreich wohnt, irgendwo in der Nähe von Bordeaux, zusammen mit ein paar Katzen. Laut der BBC trennten sich Siouxsie und ihr langjähriger Partner und Ehemann Budgie, der Banshees-Schlagzeuger, vor ein paar Monaten. Für ihre neue Platte, plaudert sie trotzdem gut gelaunt weiter, habe sie sich vor allem von ihrer eigenen Musik inspirieren lassen, neue Bands höre sie erst gar nicht. "Fragen Sie mich nicht, ich kriege überhaupt nichts mit. Ich bin ein Eremit!" Für ihr erstes Soloalbum habe sie also einfach die alten Alben noch mal durchgehört und versucht, die damalige Stimmung mit dem Heute kollidieren zu lassen. Diese künstlerische Horizontverengung steht für die unbestimmte Ablehnung der Modernität, die sich durch ihr Leben zieht. Dass sie sich jüngst erst einen Computer angeschafft hat und immer noch ungern E-Mails schreibt, erzählt sie wenig später.

Die Lieder auf "Mantaray" hat sie alle selbst getextet, die Gesangsmelodien komponiert, teilweise auch die Begleitmusik. Der Einfluss ihrer Produzenten Steve Evans, der für Robert Plant arbeitete, und Goldfrapp-Bassist Charlie Jones ist dennoch hörbar: "Mantaray" ist eine erstaunlich anachronistische, der Allgegenwärtigkeit des Achtziger-Sounds geschuldete Platte geworden, die trotzdem aktuell ist und überhaupt nicht oberflächlich. Der man höchstens ihre Nähe zu den New-Wave-Helden, dem Sound von Fad Gadget, Talk Talk, den Sisters of Mercy, The Cure und natürlich Siouxsie selbst vorwerfen könnte.

Aber man kann sie auch einfach genießen. Manche Songs klingen nach Triphop, langsame Dreiviertel-Loops liegen unter Siouxsies eigenwilligem Gesang, dann geht es weiter mit modernem, bombastischen Industrial-Disco und Electro-Glam. Im nachdenklichen "Heaven and Alchemy" bekommt ein Klavier einen Hall, der normalerweise kitschig wäre, aber durch einen tiefen Background-Chor davor bewahrt wird. Überhaupt werden die Songs oft durch ungewöhnliche Breaks gebrochen und vor dem Abrutschen in einen Beliebigkeitsmatsch beschützt. "Into The Swan", die erste Single-Auskopplung, ist ein klassisches New-Wave-Stück mit rockigem Riff, programmierten Drumbeats, mächtiger Hallfahne und Popqualitäten.

Die Texte driften hin und wieder ins altmodisch Spirituelle ab, sind Verschlüsselungen des privaten Erfahrungsschatzes: "I feel a force I never felt before, I burst out, Im transformed … into a swan." Stimmungsbeschreibungen wie in "About to happen" setzen dann aber gleich wieder die Tradition der allgemeingültigen Popaussagen fort, die sich prima mitsingen und von jedem subjektiv interpretieren lassen. "Songtexte", sagt Siouxsie, "sind wie Schnappschüsse, teilweise Sound und teilweise visuell." Zum Abschied hält sie freundlich eine kühle Hand hin. Ganz Diva, oldschool. Vielleicht ist New Wave gar nicht mal die schlechteste Musikrichtung, um in ihr zu altern. Schwarz steht jedenfalls jeder Generation.

Siouxsie: "Mantaray" (Universal)

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