Kriegsverbrechen: Vorwürfe gegen Westen im Fall Karadzic

Aufsehen um ein Buch einer Ex-Sprecherin des UN-Tribunals in Den Haag: Russland soll den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Karadzic 1997 nach Weißrussland gebracht haben.

Kohl soll gegen seine Verhaftung gewesen sein: Ex-Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic Bild: dpa

SPLIT taz Auch der Westen habe die mutmaßlichen bosnischen Kriegsverbrecher geschützt und nicht die Interessen der Opfer vertreten - das ist die Kernaussage des kürzlich in Frankreich erschienen Buches "Frieden und Strafe". Die Autorin, Florence Hartmann, 38, weiß, wovon sie redet. Denn die ehemalige Kriegsberichterstatterin war lange Jahre Sprecherin der Chefanklägerin des UN-Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag, Carla del Ponte. Und als solche bekam sie hautnah das diplomatische Gezerre um die Verhaftung des ehemaligen politischen Führers der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, und dessen Militärchef, Ratko Mladic, mit.

1997 hätte der französische Präsident Jacques Chirac auf einer Konferenz im Elysee-Palast im Beisein von Bill Clinton, Helmut Kohl und Tony Blair die Verhaftung der beiden gefordert. Bill Clinton habe jedoch mit dem Hinweis auf Russland die Diskussion darüber unterbunden. Auch Kohl und Blair seien gegen die Verhaftung gewesen. Chirac habe dann seine Forderung fallengelassen, schreibt Hartmann.

Mehr noch: Um Karadzic aus der Schusslinie zu nehmen, habe Russland im November 1997 ein Flugzeug nach Bosnien entsandt und Karadzic für einige Monate nach Weißrußland verfrachtet. Später sei er dann zurückgekehrt und habe im Untergrund in dem serbischen Teilstaat Republika Srpska in Bosnien und Herzegowina gelebt, schreibt Hartmann. Carla del Ponte selbst erklärte erst vor wenigen Tagen, Karadzic halte sich auch heute noch in Bosnien auf.

Hartmann widerspricht zudem den hartnäckigen Gerüchten nicht, die USA in Gestalt des damaligen Chefunterhändlers Richard Holbrooke hätten bei den Friedensverhandlungen in Dayton 1995 dem damaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic einen Deal angeboten. Im Gegenteil: Für sie verdichten sich die Hinweise für die Existenz eines Deals. Danach sollte Karadzic aus der Politik ausscheiden, dafür jedoch würde er nicht nach Den Haag ausgeliefert.

Noch vor zwei Jahren erklärte Holbrooke auf eine diesbezügliche Frage des Autors dieses Artikels in Srebrenica, diese Gerüchte seien "Unsinn". Doch für Hartmann sprechen die darauffolgenden Taten eine klarere Sprache. So sei im Jahr 2000 eine Aktion der Nato an der Grenze zu Montenegro in dem Dorf Celebici, in dem sich Karadzic aufgehalten haben soll, gestoppt worden. Die USA seien gegen eine Verhaftung gewesen. Eine groß angelegte Militäraktion im Februar 2002 war ebenfalls ein Schlag ins Wasser, weil viel zu auffällig angelegt, Hubschrauber überflogen das Gebiet und warnten den Gesuchten. Ein letzter Versuch 2004 verlief ebenfalls im Sande.

Seither fordert die Internationale Gemeinschaft halbherzig von serbischer Seite, die beiden selbst zu verhaften. Ratko Mladic hält sich seit Kriegsende in vor allem in Serbien, aber auch in Bosnien auf. Der Skandal über die Behandlung der bosnischen Kriegsverbrecher ist auch Thema des Hollywood-Filmes "The Hunting Party" mit Richard Gere in der Hauptrolle, der vor wenigen Tagen bei den Filmfestspielen in Venedig außerhalb des Wettbewerbs vorgestellt worden ist. Gere spielt einen Journalisten, der Karadzic finden will und in das Gestrüpp der Geheimdienste gerät.

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