Siegburger Häftlingsmord-Prozess: Aus Spaß getötet

Am Donnerstag verkündet das Landgericht Bonn das Urteil gegen drei junge Männer, die einen Mitgefangenen gefoltert, dann getötet haben. Eine schlüssige Erklärung für die Tat haben sie nicht.

"Das macht doch an, wenn einer stirbt", erklärte einer der Angeklagten zur Tat. Bild: ap

Ein Holzkreuz ist das Einzige, was an ihn erinnert. Ansonsten ist das Ambiente um das Urnengrab im Feld 17 des Friedhofs im Leverkusener Stadtteil Manfort so trostlos wie das kurze Leben Hermann Heibachs, das vor nicht einmal einem Jahr in der Justizvollzugsanstalt Siegburg endete. Heute verkündet die 8. Große Strafkammer des Bonner Landgerichts die Urteile gegen seine Mörder.

Der Fall: In der Gemeinschaftszelle AE 1.04 im Haus 2 der Justizvollzugsanstalt Siegburg haben ein Jugendlicher und zwei Heranwachsende am 11. November 2006 einen Mithäftling erst stundenlang gefoltert und dann durch Erhängen ums Leben gebracht. Das Verbrechen hat bundesweit eine heftige Debatte über die Zustände in deutschen Gefängnissen ausgelöst.

Die Anklage: Die Staatsanwaltschaft wirft den geständigen Danny K. (18), Pascal I. (20) und Ralf A. (21) vor, ihr Opfer Hermann Heibach (20) auf grausame Weise, aus Mordlust, aus niedrigen Beweggründen sowie zur Verdeckung von Straftaten getötet zu haben.

Das Strafmaß: Das Jugendstrafrecht sieht für die den Angeklagten vorgeworfene Tat eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren vor. Falls das Erwachsenenstrafrecht Anwendung findet, droht lebenslange Haft. PAB

Dabei ist klar, dass die zur Tatzeit 17, 19 und 20 Jahre alten Angeklagten hohe Haftstrafen erhalten werden. Sie sind überführt und geständig. Eine schlüssige Erklärung für ihre monströse Tat aber hat die seit Anfang Juli laufende Hauptverhandlung nicht liefern können. Was aus den drei Heranwachsenden drei derart enthemmte, völlig erbarmungslose Folterer hat werden lassen, ist bis heute unklar.

Fast zwölf Stunden lang haben seine Zellengenossen Hermann Heibach erniedrigt und gequält. "Aus Spaß", wie Danny K. später aussagte. Sie schlugen, traten und vergewaltigten ihn. Sie zwangen ihn, Salzwasser, Zahnpasta, Urin und sein eigenes Erbrochenes zu schlucken. Bis sein Lebensmut endgültig erloschen war. Und er auf ihre Frage, was er denn davon halte, wenn sie ihn jetzt "weghängen" würden, nur noch antwortete: "Wenn ihr mich dann in Ruhe lasst."

Dann gewährten sie ihm eine letzte Zigarette und lasen ihm aus der Bibel vor. "Das macht man doch, wenn einer stirbt", gab Ralf A. bei der Vernehmung an. "Lässig und cool" habe man sich gefühlt. Sogar noch während des "Weghängens" habe unter ihnen eine ausgelassene Stimmung geherrscht. Insgesamt sechs Anläufe benötigten sie. Immer wieder rissen die Elektrokabel. Dann verwendeten sie zusammengeknotete Bettlakenstreifen. Die hielten.

Staatsanwalt Robin Faßbender will bei Pascal I. und Ralf A. das Erwachsenenstrafrecht angewendet sehen. Es handele sich um "durchaus ausgereifte Persönlichkeiten". Damit folgt er den Gutachten des vom Gericht bestellten Psychiaters Wolfgang Schwachula, der beiden eine verfestigte dissoziale Persönlichkeitsstörungen attestiert, "die keine Nachreifung erwarten lässt".

Zwei Täter, ein Mittäter

Gleichwohl hat Fassbender in seinem Schlussplädoyer beantragt, bei Ralf A. von einer besonderen Möglichkeit des Gesetzes Gebrauch zu machen: Statt des für Mord vorgesehenen Lebenslänglich soll er eine begrenzte Haft bis 15 Jahre erhalten. Der alkohol- und drogenkranke junge Mann sei nicht wegen Gewaltdelikten vorbestraft, sondern wegen diverser Wohnungseinbrüche, Diebstähle und unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln. Zudem habe er sich bei den sexuellen Übergriffen zurückgezogen. Ralf A. sei "im wahrsten Sinne des Wortes ein Mittäter" gewesen, habe das "Pech" gehabt, mit "zwei initiativ tätig gewordenen Tätern" die Zelle zu teilen.

Die Verteidiger von Pascal I. forderten für den Fall, dass ihr Mandant nicht als Jugendlicher verurteilt werde, eine Haftstrafe von 13 Jahren. Faßbender hat hingegen die Höchststrafe beantragt: Der wegen Drogenhandels Vorbestrafte sei trotz seiner erst 20 Jahre eine "ausgereifte hochkriminelle Persönlichkeit" und habe "kaltblütig gehandelt". Pascal I. habe die Tat zunächst geleugnet, dann die Schuld auf die beiden anderen schieben wollen, mit dem Staatsanwalt zu handeln versucht und selbst im Prozess noch gelogen. Der Bottroper habe "sich verhalten wie ein erwachsener Schwerkrimineller." Deshalb komme nur lebenslange Haft in Frage - mit besonderer Schwere der Schuld.

Für den inzwischen 18-jährigen Danny K. beantragte Faßbender 10 Jahre Gefängnis - die Höchststrafe im Jugendstrafrecht. Der in Helmstedt Geborene sei "der maßgebliche Ideengeber" gewesen, von ihm habe auch der Vorschlag mit dem "Weghängen" gestammt. Er war ursprünglich wegen eines brutalen Raubüberfalls auf einen Rentner hinter Gitter gekommen. Erst am nächsten Tag war der alte Mann in seiner Wohnung gefunden worden - fast tot. Danny K. habe "die Gnade der späten Geburt", kommentierte einer der Anwälte der Nebenklage das geforderte Strafmaß.

Einen unmittelbaren Anlass für ihren Gewaltexzess hatte Heibach seinen Henkern nach deren Aussagen nicht gegeben. Seine pure Anwesenheit war genug Einladung zu ihrem Tun. Der introvertierte, drogenabhängige junge Mann sei, so formulierte es ein JVA-Bediensteter, ein klassischer "Opfertyp" gewesen. Psychiater Schwachula bezeichnete Heibach als eine ideale "Projektionsfigur" für das Tätertrio, um ihre eigenen Ängste zu bekämpfen - und sich selbst dadurch zu stabilisieren. Dass sich "Sancho", wie die anderen ihn nannten, klaglos in sein Schicksal ergab, hätte seine Mörder noch aggressiver gemacht. "Hätte er sich gewehrt, wäre es vielleicht nicht so weit gekommen", so Pascal I.

Opfer wie Täter waren zum ersten Mal im Knast. Es war ihr erstes gemeinsames Wochenende in der 15 Quadratmeter großen Zelle. Erst fünf Tage zuvor waren Pascal I. und Danny K. zu Hermann Heibach und Ralf A. verlegt worden. "Ich kann mir gar nicht vorstellen, welches pädagogische Konzept dahintersteckt, vier Häftlinge 48 Stunden zusammenzusperren und noch zu glauben, das könne ihnen guttun", empörte sich Schwachula im Prozess. In einer Gruppe würden zwangsläufig dynamische Prozesse in Gang gesetzt, die für jeden enormen Stress bedeuteten. "Eine Gruppensituation ist umso angsterfüllter, je weniger Aufgaben es gibt." Es gab gar keine. Die jugendlichen Häftlinge wurden einfach sich selbst überlassen - und ihrer mörderischen Langeweile.

Wie und wann aus dem vermeintlichen "Spaß", den sich die Angeklagten nach ihren übereinstimmenden Aussagen mit ihrem Opfer machen wollten, tödlicher Ernst wurde, konnte der Chefarzt der Rheinischen Landesklinik Langenfeld nicht mehr exakt herausfinden. Aber er hat zumindest eine These, warum an jenem 11. November 2006 die Situation immer weiter eskalierte: Fatal sei gewesen, dass es keinen eindeutigen Anführer gab, der die Autorität gehabt hätte, dem fürchterlichen Treiben Einhalt zu gebieten. Das Fehlen einer Leitfigur habe paradoxerweise zu noch mehr Gewalt geführt. So wollte jeder seine eigene Stärke demonstrieren, keiner als "Weichei" oder gar "Mädchen" dastehen. "Wir müssen das durchziehen" war die Parole. Laut Danny K. hat im Laufe des Tages jeder einmal gefunden, dass das, was sie taten, "Scheiße" sei. Dann aber sei ein anderer auf einen "neuen Gedanken" gekommen. Sie machten weiter.

Aber warum empfand keiner zu keinem Zeitpunkt Mitleid mit ihrem Opfer? Die Antwort Schwachulas: "Empathie ist nicht angeboren, Empathie muss gelernt werden." Sie haben sie nicht gelernt, ebenso wenig wie andere Grundvoraussetzungen dafür, dass Menschen menschlich miteinander umgehen. Ein Blick auf die Lebensläufe der Täter - und den des Opfers - bedeutet vielmehr Reisen in die Abgründe der bundesdeutschen Gesellschaft, hinein in jene Sphären, wo die leben, die früher Lumpenproletariat, heute Prekariat genannt werden. Dorthin, wo familiäre Verhältnisse herrschen, die als zerrüttet zu bezeichnen ein Euphemismus wäre.

Empathie wurde nicht gelernt

Niemand kann den drei Tätern die Verantwortung für ihre Tat abnehmen. Aber sie wurden nicht alleine so, wie sie wurden: alkoholkranke und prügelnde Väter; mit ihrer Lebenssituation völlig überforderte Mütter; brutalste Gewalterfahrungen schon in frühester Kindheit; Einweisungen in die Kinder- und Jugendpsychiatrie; wechselnde und erfolglose Heimaufenthalte; gescheiterte Schulkarrieren; massiver Alkohol- und Drogenkonsum noch vor der Pubertät; unzählige kriminelle Handlungen bereits vor der Strafmündigkeit. Dann folgen die ersten Verurteilungen. Eine nicht enden wollende Abwärtsspirale. Psychiater Schwachula spricht von "schicksalsmäßigen Verknüpfungen".

Diese Grundkonstellation war auch bei Hermann Heibach nicht viel anders. Seine Eltern, die sich früh trennten, sind beide vorbestraft: er wegen sexuellen Missbrauchs, sie wegen Beihilfe. Ihr am 7. März 1986 per Kaiserschnitt in Leverkusen-Rheindorf auf die Welt gekommener Sohn wuchs erst bei der Mutter, dann beim Vater und schließlich in Heimen auf. Später lebte er auf der Straße, klaute, was er zum Leben brauchte. Mal ein paar Flaschen Bier, mal etwas zum Essen. Bei der Polizei war er bald als Kleinkrimineller bekannt.

Irgendwann überfiel er mit einem Kumpel einen Kiosk in Leverkusen, erbeutete drei Flaschen Schnaps und Zigaretten. Das Urteil: 80 Sozialstunden im Krankenhaus. Nach dem dritten Tag hatte er keine Lust mehr. Ein Haftbefehl folgte. Anfang Oktober 2006 wurde Hermann Heibach am Kölner Hauptbahnhof festgenommen: Auf der Suche nach einem Klo hatte er ausgerechnet einen Polizisten um Hilfe gebeten. Erst kommt er nach Köln-Ossendorf, zwei Wochen später nach Siegburg. Insgesamt sechs Monate sollte er hinter Gittern verbringen. Doch er sah die Freiheit nie wieder.

Seine Hinterbliebenen sind untereinander tief zerstritten. Vater, Mutter, Schwester und Bruder haben jeweils einen eigenen Anwalt als Nebenklagevertreter in den Prozess gegen Hermann Heibachs Mörder geschickt. Doch nur sein Bruder Martin wohnte der gesamten Hauptverhandlung auch persönlich bei. Zum Abschluss ließ er unter Tränen von seinem Anwalt Wolfram Jesse einen an die Angeklagten gerichteten Brief verlesen. "Wir wurden mit diesem grausamen Mord an meinem kleinen Bruder brutal aus dem Leben gerissen", heißt es darin. "Wie würdet ihr euch fühlen, wenn man euer Kind, euren Bruder so aus dem Leben reißen würde?" Die Frage nach der gerechten Strafe könne es für ihn nicht geben, "da niemand uns unseren Bruder zurückgeben kann". Er appellierte an die Angeklagten: "Wenn ihr wirklich Reue empfindet, dann akzeptiert die Strafe, die ihr bekommt."

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