Kommentar: Ein Prozess ist keine Talkshow

Der Angriff auf Ermyas war sicher schrecklich. Die Angeklagten aber wurden zu recht freigesprochen. Schließlich ließ sich der Verdacht nicht erhärten. Leider sehen das viele nicht so

In Potsdam ist ein ganz normaler Strafprozess zu Ende gegangen. Der Verdacht gegen zwei Angeklagte, aus rassistischen Motiven einen schwarzen Deutschen lebensgefährlich verletzt zu haben, ließ sich nicht erhärten. Deshalb wurden sie freigesprochen. Das muss in einem Rechtsstaat selbstverständlich sein, unabhängig davon, wie groß das Aufsehen war, das eine Tat erregte. Ebenso, wie es selbstverständlich sein muss, dass gegen Verdächtige ermittelt wird. Es lohnte kaum, über all das ein Wort zu verlieren - wenn denn nicht der fatale Eindruck entstünde, dass Teile der veröffentlichten Meinung all das überhaupt nicht selbstverständlich finden.

Was ist den Ermittlungsbehörden in den letzten Tagen nicht alles vorgeworfen worden! Hysterie, Alarmismus, Manipulation. Reflexhafte Reaktionen, Aufbauschen von Nichtigkeiten, der Aufbau eines Popanzes. Wenn es irgendeinen Anlass zu Besorgnis gibt, dann sind es diese öffentlichen Urteile. Nicht etwa der Verlauf des Verfahrens. Der Verdacht einer rassistischen Tat ist übrigens nicht etwa widerlegt. Er konnte nur nicht bewiesen werden. Aber selbst wenn er widerlegt wäre: Hätte deshalb gar nicht erst ermittelt werden sollen?

Ein Prozess ist keine Talkshow, und ein Urteil soll keine politische oder gesellschaftliche Signalwirkung haben. Sondern sich mit der Frage nach konkreter, individueller Schuld auseinander setzen. Auch ein überführter Täter hat einen Anspruch darauf, dass er nicht wegen der Abschreckungswirkung auf andere zu einer besonders harten Strafe verurteilt wird. Oder dass mildernde Umstände nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil die Gesellschaft bestimmte Verbrechen besonders abscheulich findet. Ob Sexualmord, Ausländerhatz oder Kindesmisshandlung: Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit werden in der Berichterstattung über spektakuläre Verfahren - vor allem von Boulevardmedien - immer häufiger ignoriert.

Was vor 14 Monaten in Potsdam tatsächlich passiert ist, wird sich vermutlich niemals aufklären lassen. Leider. Aber es ist gut, dass das Urteil dem Rechnung trägt. Und es ist gut, dass die Ermittlungsbehörden getan haben, was in ihren Möglichkeiten stand.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.