Protest: "Steine in Rostock waren falsch"

G8, Demos und Gewalt - Aktivist Olaf Bernau und Attac-Mitglied Sven Giegold im Streitgespräch.

Steinewerfer in Rostock - darf man so protestieren? Bild: dpa

taz: Herr Giegold, gibt es einen Punkt, an dem Sie Steine schmeißen würden?

Sven Giegold: Einen Stein zu schmeißen, kann ich mir nicht vorstellen. Unter halbwegs demokratischen Verhältnissen ist Gewalt ein ineffektives und unmoralisches Mittel.

Olaf Bernau: Unter bestimmten Umständen können Steine eine symbolisch aussagekräftige Antwort sein.

Giegold: Einspruch! Wir sind in einer Situation, in der ein Großteil der Bevölkerung die Globalisierung des Kapitalismus sehr skeptisch sieht. Gleichzeitig ist die massive Dominanz von Massenmedien Realität. In dieser Situation hilft uns das Bild fliegender Steine nicht, die unzufriedenen Leute von unseren Alternativen zu überzeugen.

Bernau: Man muss sich die konkrete Situation anschauen: Was ist unter welcher Bedingung das richtige Vorgehen? Wie bringt man die Wut über die Verhältnisse angemessen zum Ausdruck? Du hast eben die Massenmedien erwähnt. Protest, der sich in friedlichen Bahnen bewegt, ist grundsätzlich mit dem Problem konfrontiert, entweder gar nicht zur Kenntnis genommen oder vereinnahmt zu werden. Es ist nicht so einfach, mit unseren Inhalten in die Offensive zu gehen.

taz: Wenn die Aufmerksamkeit fehlt, schlägt man zu?

Giegold: Ich bin einverstanden mit Aktionsformen, die unserer Wut entsprechen. Aber: Es gibt viele Methoden, ungehorsam zu sein, ohne sich die Sympathien der Mehrheit zu verscherzen. Gewaltfreie Blockaden gehören dazu. Die Steine in Rostock dagegen waren ein riesiger Rückschritt für die Bewegung.

Bernau: Es gibt Situationen, wo Steine eine Antwort sein können, etwa um brutale Übergriffe bepanzerter Polizisten abzuwehren. Aber am 2. Juni in Rostock waren Steine definitiv das falsche Mittel. In den darauffolgenden Tagen wurde nur noch über die Gewalt berichtet. Der landwirtschaftspolitische Aktionstag fand so gut wie keine Erwähnung. Zudem war eine breite Bündnisdemonstration verabredet, und dieses Ziel wurde massiv torpediert. Was ich aber eigentlich sagen will: Hinter der Massenmilitanz steckt ein großes Feld der Auseinandersetzungsformen. Hierzu gehören auch Massenblockaden. Pauschale Distanzierung von Gewalt führt deshalb nicht weiter. Zäune sind zum Beispiel Ausdruck von Isolation und Ausgrenzung. Wenn Zäune von einem Flüchtlingslager demontiert werden, finde ich das legitim. Kontrollierte Grenzüberschreitung kann dem Anliegen Aufmerksamkeit verleihen, die es mit einer Latschdemo nicht gibt.

Giegold: Die Frage war aber nach Steinwurf. Was ich mir von dir wünsche - dass du meine Erschütterung nachvollziehen kannst: Aus einer Demonstration heraus, die wir mitorganisiert haben, wurden die Scheiben eines Polizeiwagens eingeschmissen, in dem Polizisten ohne Helme saßen. Anschließend wurden Steine hinterhergeworfen, um die Leute auch richtig zu treffen. Ich empfinde das als menschenverachtend.

Bernau: Ja, das stimmt. Die Polizei hat aber auch massiv Unbeteiligte angegriffen. Und sie hat es aus einer Position von Rundumpanzerung gemacht. Ich kritisiere an Attac, dass ihr zu schnell die offizielle Lesart übernommen habt, inklusive der bewusst lancierten Falschmeldungen der Polizei: "Die schlimmsten Auseinandersetzungen seit 20 Jahren." Das ist Stuss. Wenn ihr von Anfang an klarer die Polizeigewalt benannt und die Behauptungen von vielen schwer verletzten Polizisten unter einen gewissen Vorbehalt gestellt hättet, dann wäre es nicht zu der Schärfe seitens der Linksradikalen gegenüber Attac gekommen. Plötzlich schien es so, als ob die globalen Gewalt- und Herrschaftsverhältnisse im Licht dieser letztlich nicht so dramatischen Straßenmilitanz verblassen. Das sorgt für Misstrauen.

Giegold: Rauch über angezündeten Autos, Steinhagel, abziehenden Polizisten wurde noch nachgesetzt, dazu die prügelnden Greiftrupps und Wasserwerfer der Polizei - solche Bilder knüpfen an existenzielle Gewalterfahrungen an. Dass die strukturelle Gewalt viel schlimmer ist, stimmt, schafft aber die direkte Wahrnehmung von Gewalt nicht aus der Welt. Einverstanden aber, dass die Kritik von Attac an den diversen Grundrechtsverletzungen der Polizei zu spät kam. Zur Aufarbeitung der Bürgerrechtsverletzungen sind wir Ko-Organisator eines großen Hearings.

Bernau: Das von dir beschriebene Bürgerkriegsszenario ist nicht zuletzt das Produkt manipulativer Bildauswahl durch die Medien gewesen. Du berücksichtigst zu wenig, dass Wirklichkeit immer auch das Ergebnis der entsprechenden Auseinandersetzung mit ihr ist. Man muss die Kirche im Dorf lassen.

Giegold: Anscheinend war ich auf einer anderen Veranstaltung als du. Diese Bilder kann man durch Umkommentierung nicht verändern.

Bernau: Es gab auf beiden Seiten das Interesse, die friedliche Demo platzen zu lassen - auch von Seiten der Polizei, um die massiven Grundrechtseingriffe vor und während des Gipfels zu rechtfertigen. Wenn es tatsächlich Angriffe der Polizei gibt, dann muss man damit rechnen, dass Leute sich wehren.

Giegold: Deswegen habe ich mit Teilen der linksradikalen Szene Probleme: Es geht immer um die Eskalation der Polizei. Hier ging die Eskalation von Demonstrationsteilnehmern aus.

Bernau: Wenn man nur den Samstag nimmt, würde ich sagen: Der Anfang wurde in der Tat von Seiten der DemonstrantInnen gesetzt. Aber was ist mit den Razzien in den Wochen zuvor, den Demoverboten, den ständig rotierenden Hubschraubern?

taz: Herr Bernau, können Sie nachvollziehen, warum nach der Randale am Samstag einige Veranstalter mit der gewaltbereiten Autonomenszene nichts mehr zu tun haben wollen?

Bernau: Nein. Hier wird versucht, mit dem Rohrstock ein Problem zu beheben, das politisch diskutiert werden muss. Es sind auch organisierte AktivistInnen gewesen, die in Rostock gezielt die Auseinandersetzung gesucht haben.

Giegold: Das weißt du?

Bernau: Ja, das ist im Netz nachzulesen. Es gibt einen klar positiven Bezug von politischen Gruppen, die sagen, dass die Riots eine richtige Intervention waren. Dem kommt man nicht bei, indem man nach Ausschluss ruft. An dem Punkt, an dem die Linke anfängt, über Ausschlüsse zu diskutieren, begibt sie sich auf ein Feld, das nur dem Gegner hilft. Die vergleichsweise immer noch harmlose Gewalt der Linken tritt in den Mittelpunkt, die eigentlichen Gewaltverhältnisse werden nicht mehr thematisiert.

taz: Warum sollen hinterher Gespräche geführt werden, wenn es sie vorher gegeben hat, sich aber nicht daran gehalten wird?

Bernau: Die Absprachen haben vielleicht 50 Leute getroffen, die, wenn es gut läuft, für ein paar tausend sprechen. Aber auf der Demo waren mehrere zehntausende. Die meisten, die auf den Putz gehauen haben, waren zu keinem Zeitpunkt in den Vorbereitungsprozess eingebunden. Man muss realistisch sein: Zur Demo hat man keine hierarchisch strukturierte Organisation, die Einfluss auf alle TeilnehmerInnen hat.

Giegold: Niemand bei Attac will etwa mit postautonomen Gruppen nicht mehr zusammenarbeiten. Sie haben sich ja an die Absprachen gehalten. Es geht um diejenigen, die sich um Absprachen einen Teufel geschert haben. Die will ich in der Tat auf Demonstrationen mit Attac nicht mehr sehen.

taz: Wie wollen Sie das durchsetzen?

Giegold: Große Bündnisdemonstrationen kann ich mir künftig nur mit eigenen OrdnerInnen vorstellen, die demokratisch vereinbarte Regeln der Veranstalter durchsetzen.

Bernau: Damit habe ich Bauchschmerzen, allein die Rede von OrdnerInnen oder Ordnungsdiensten, wie es neulich hieß, ist fragwürdig. Die Leute, die Steine geworfen haben, sind Teil eines größeren politischen Milieus. Sie sind nicht identifizierbar nach dem Motto: Die wollen wir nicht mehr dabeihaben. Ich glaube nicht, dass man das technisch lösen kann und soll. Viel notwendiger finde ich die politische Debatte.

taz: Herr Bernau, warum haben die Absprachen am Samstag nicht geklappt, auf der migrationspolitischen Demo am Montag, die überwiegend von Linksradikalen organisiert wurde, aber schon? Nehmen die Linksradikalen die gemäßigteren Bündnispartner nicht ernst?

Bernau: Eine Großdemo mit 80.000 TeilnehmerInnen hat eine andere Dynamik als eine mit 10.000. Außerdem wussten bei der Demo am Montag alle TeilnehmerInnen ganz genau, um was es geht. Da war der Identifikationsgrad ungleich höher als bei der auf Breite und Kompromiss getrimmten Samstagdemo. Ich würde behaupten, dort, wo man inhaltlich was will, ist man viel weniger bereit, das Ganze über den Jordan gehen zu lassen, indem man es mal kräftig krachen lässt.

Giegold: Ich kenne die Logik der Leute nicht, warum manche Absprachen ernst genommen werden und andere nicht. Ich fand den Aufruf zur Großdemo politisch sehr klar. Ich kann mir kaum vorstellen, dass mehr Deutlichkeit die Polithooligans abgehalten hätte.

taz: Wenn man jetzt in die Zukunft blickt: Brauchen Sie einander weiterhin für politische Bündnisse?

Giegold: Das ist für mich gar nicht die Frage.

taz: Es kommt auch nur auf die Antwort an.

Giegold: Alle, die mit gewaltfreien Mitteln gegen die Globalisierung von Menschenrechtsverletzungen und Naturzerstörung vorgehen wollen, mit denen finde ich es richtig, zusammenzuarbeiten. Leute, die die Absprachen brechen, brauchen wir nicht. Die erschweren uns unsere politische Arbeit nur.

taz: Braucht die linksradikale Szene Attac?

Bernau: Das Entscheidende dieses breiten Bündnisses war, dass wir gesagt haben: Allein schafft es niemand von uns, gesamtgesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu verschieben. Auch künftig sind wir aufeinander angewiesen. Ich würde das eher an diesem Organisierungskonsens festmachen und nicht so sehr an der Gewaltfrage.

INTERVIEW: HEIKE HAARHOFF UND FELIX LEE

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