#meTwo-Debatte: Jammern auf hohem Niveau

#meTwo ist ein Elitendiskurs, geführt aus einer privilegierten Position heraus. Verteilungsfragen werden einfach ignoriert.

Die vermoderte Brüstung eines Balkons in einem tristen Wohnviertel

Armut ist, was viele Diskriminierte tatsächlich verbindet Foto: Unsplash/ Mad House

Ja, ich habe einen deutlich sichtbaren Migrationshintergrund. Nein, ich habe nicht mitgetwittert, als unter dem Hashtag #meTwo Menschen mit Zuwanderungsgeschichte ihre Diskriminierungserfahrungen schilderten. Hunderte Twitter-Nutzer berichteten in den vergangenen Wochen von rassistischen Sprüchen, Racial Profiling durch die Polizei und Diskriminierung bei der Wohnungssuche. Diese Schilderungen haben auch mich bewegt und zeigen die Realität eines ebenso verbreiteten wie alltäglichen Rassismus in diesem Land.

Aber dann gibt es noch die zahlreichen anderen Äußerungen, die bei allem Verständnis für die persönliche Kränkung eher trivial anmuten und die Frage aufwerfen, ob der Kampagne nicht etwas mehr Differenzierung und etwas weniger moralisches Pathos guttun würden.

Mehrere Nutzer beschweren sich etwa darüber, für ihr gutes Deutsch Komplimente zu bekommen oder nach der „wahren“ Herkunft gefragt worden zu sein. In solchen Schilderungen zeigt sich – wie bereits bei der #meToo-Debatte um sexuelle Belästigung – ein stellenweise bedenkliches Unvermögen zur kritischen Bewertung und Einordnung der eigenen Erfahrung.

Ein ignorantes „Kompliment“ der oben beschriebenen Art ist nicht notwendigerweise Ausdruck eines oppressiven gesellschaftlichen Rassismus. Trotzdem trendeten Beiträge, die bestenfalls Banalitäten beschreiben. Wer auf solche Unterschiede hinweist, wird mit dem Argument abgebügelt, als Weißer könne man nicht wissen, was Migranten erdulden müssten. Bei #meToo lief die Debatte ähnlich. Damals hieß es, Männer sollten sich nicht äußern.

Bestenfalls banal

Doch wenn die subjektive Wahrnehmung zum alleinigen Maßstab für tatsächliche oder nur gefühlte Diskriminierung wird, ist nicht nur jegliche sachliche Differenzierung, sondern letztlich der Diskurs selbst gescheitert. Worüber soll man noch reden, wenn das subjektive Erfahrene nicht mehr in Frage gestellt werden darf? Und was sind dann #meToo und #meTwo: Beiträge zu einer echten Debatte oder trotzig in die Welt hinausgeschrie(b)ene Abrechnungen mit jedem, der einem einmal unrecht tat?

Linke verlangen von „alten weißen Männern“, ihre Vorrechte zu hinterfragen, ohne dass sie selbst das täten

Wie auch immer man zu diesen Fragen stehen mag, der immanenten Logik von #meTwo folgend darf ich mich zum Thema Diskriminierung äußern. Denn, wie bereits erwähnt: ich habe einen deutlich sichtbaren Migrationshintergrund. Mein Vater stammt aus Sri Lanka und hat mir schwarze Haare und einen entsprechenden Teint vererbt. Auch ich habe Erfahrungen mit Rassismus gemacht. In der Schule nannten mich Mitschüler „Affe“, Racial Profiling habe ich mehrfach erlebt. Joviale Komplimente für mein gutes Deutsch kenne ich, den schon fast klassischen Sprengstoff-Test am Flughafen, dem ich mich (Security: „Zufallsprinzip“) bei fast jeder Reise unterziehen muss, auch.

Dennoch habe ich nicht das Bedürfnis, mich darüber öffentlich zu beschweren. Denn all diese Erfahrungen haben mich nicht daran gehindert, mein Leben so zu leben, wie ich es möchte. Es würde mir nicht plausibel erscheinen, mich selbst per Twitter als „Opfer“ zu stilisieren, und sei es „nur“ als Opfer von Rassismus, denn das bin ich nicht und das möchte ich auch nicht sein.

Kleiner Zirkel, gut vernetzt

Ich verdiene zwar (wie alle taz-Mitarbeiter) wenig Geld, aber habe das Privileg, Redakteur einer überregionalen Tageszeitung zu sein. Ich kann selbstbestimmt arbeiten, komme mit vielen interessanten Menschen in Kontakt, habe schon in Ländern auf mehreren Kontinenten recherchiert und bekomme ständig kostenlose Bücher zugeschickt. Kurz gesagt: Mir geht es eigentlich ziemlich gut. Den meisten Menschen, die mich in meinem Leben rassistisch beleidigt haben, bin ich in meiner gesellschaftlichen Stellung sowie mit Blick auf die mir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, meine Kritik zu artikulieren, vermutlich deutlich überlegen. Und das gilt, zumindest dem Anschein nach, auch für die meisten Menschen, die sich unter #meTwo äußern. Es sind Journalisten, Buch­autoren, Politiker – Menschen, die zu einem erheblichen Teil über Privilegien verfügen, von denen viele der „alten weißen Männer“, denen sie mangelnde Empathie für Rassismuserfahrungen vorwerfen, nur träumen können.

Ständig verlangen progressive Linke (mit und ohne Migrationshintergrund) von diesen „alten weißen Männern“, die eigenen Vorrechte zu hinterfragen, ohne dass sie selbst das täten. Stattdessen wird der Diskurs bei Twitter vor allem von der Verabsolutierung der eigenen – tatsächlichen oder vermeintlichen – Diskriminierungserfahrungen geprägt. Dabei lohnt ein Blick auf das Netzwerk selbst, um die soziale Exklusivität der Nutzer zu verdeutlichen. Fast zwei Drittel der deutschen Twitter-Nutzer hatte laut einer Umfrage 2017 Abitur oder sogar studiert. Ein großer Teil ist in der Medienbranche, der Politik oder im PR-Bereich tätig und besitzt bereits aus diesem Grunde eine hohe öffentliche Artikulationsfähigkeit. Unter #meToo und #meTwo twittern nicht etwa Menschen, die im Diskurs nicht zu Wort kommen: es sind Menschen, denen man ohnehin schon zuhört.

Es ist mit wenigen Ausnahmen eben nicht der arabischstämmige Jugendliche, der wegen Diskriminierung durch Lehrer mit Hauptschulabschluss in die Leiharbeit gedrängt wird, der seine Erfahrungen schildert – sondern vornehmlich ein kleiner Zirkel gut artikulierter und vernetzter Medienmenschen. Was als breite gesellschaftliche Kampagne verkauft wird, ist tatsächlich zu erheblichen Teilen ein Elitendiskurs, dessen Bedeutung jenseits von Twitter vermutlich gering ist – zumal ohnehin nur etwa 5,7 Prozent der deutschen Bevölkerung auf Twitter unterwegs sind und sich nicht einmal dort alle Nutzer mit #meTwo beschäftigen.

Anstatt sich auf die Suche nach den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft zu machen und ihre Geschichten zu erzählen, verbreiten viele #MeTwo-ler lieber ihre eigenen vermeintlichen Traumata. Ist das wirklich die Aufgabe von Personen des öffentlichen Lebens, speziell von Journalisten? Oder wäre es nicht vielmehr vonnöten, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken und auch denjenigen Gehör zu verschaffen, die sich nicht auf Twitter äußern können oder möchten?

Überhöhter Opferstatus

Womöglich würden sie von ärmeren Menschen mit Migrationshintergrund auch ganz andere Klagen zu hören bekommen als die über peinliche „Komplimente“. Etwa über die Aussicht auf schmale Rente (über 40 Prozent der Migranten waren 2013 von Altersarmut bedroht), niedrige Löhne (35 Prozent arbeiten im Niedriglohnsektor) und Hartz IV (die Hälfte der ALG-II-Empfänger hat einen Migrationshintergrund). Doch für solche Verteilungsfragen interessiert sich die Twitter-Elite kaum – etwa weil sie selbst nicht betroffen ist? Ist das der Grund dafür, warum sich Linke für Menschen mit Migrationshintergrund stets nur als Opfer von Rassismus interessieren und nur selten als Opfer der herrschenden Wirtschaftsverhältnisse? Womöglich auch deshalb, weil sie selbst Nutznießer dieser Verhältnisse sind?

Die Überhöhung des Opferstatus bestimmter Minderheiten sorgt jedenfalls nicht dafür, dass antirassistische Forderungen gesellschaftlich anschlussfähig werden – höchstens bei einer vermeintlich progressiven wohlsituierten Mittelschicht, die sich längst von Verteilungsfragen abgewendet hat und ihren Wohlstandsscham affirmativ auf Minderheiten projiziert, anstatt gegen Hartz IV und für gerechtere Löhne ins Feld zu ziehen. Die Leiharbeiter jeglicher Hautfarbe fragen sich vielleicht, warum man in den Altbauvierteln deutscher Großstädte über die Ausbeutung Afrikas durch Westeuropa diskutiert, dabei aber die Verteilungsfragen weitgehend ignoriert, die Schwarze und Menschen ohne sichtbaren Migrationshintergrund vor der eigenen Tür gleichermaßen betreffen.

Nicht weiße Männer, die migrantische Perspektiven nicht verstehen, sind das hervorstechendste Problem dieser Gesellschaft, sondern dass viele wenig und wenige viel besitzen. Die gemeinsame Erfahrung, sich die Miete nicht mehr leisten zu können und keine Rente, von der man leben könnte, erwarten zu dürfen, verbindet Millionen Menschen – Schwarze und Weiße, Homos und Heteros, Männer und Frauen. Es ist Zeit, wieder stärker Verteilungsfragen in den Mittelpunkt zu stellen, anstatt lediglich die identitäts­politische Anerkennung des eigenen Leids einzufordern. #allOfUs

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.