Kommentar Pestizide: Der Deutsche frisst einfach alles

Auch wenn einige Pestizide in Deutschland verboten sind - der Widerstand gegen gespritztes Obst und Gemüse hält sich hierzulande in Grenzen.

"Die Seuche töten" heißt das lateinische Wort "Pestizid" ins Deutsche übersetzt. Für die Entwicklung des ersten synthetischen Pestizids, DDT, erhielt der Schweizer Paul Hermann Müller 1948 den Nobelpreis. Aus damaliger Perspektive völlig zu Recht: Dank seiner Entdeckung konnte man hoffen, dass die Landwirtschaft revolutioniert wird. Und zwar so, dass der Hunger wirkungsvoll bekämpft werden kann.

60 Jahre später ist der Hunger in Europa tatsächlich zu 99,9 Prozent ausgerottet. Was bleibt, sind die Pestizide: Einmal in der Umwelt freigesetzt, wird man sie und ihre gesundheitsbedenklichen Wirkungen nicht mehr los. Das ist der Fluch des Segens: Zu wenig wurde einst nach den Risiken und Nebenwirkungen gefragt, die die anvisierte "Lösung eines Menschheitsproblems" eventuell nach sich ziehen werde.

60 Jahre später ist das noch ganz genauso: Wenn die Bauern in sechs Wochen ihre Felder bestellen, werden so viele wie noch nie gentechnisch verändertes Saatgut ausbringen. Mit gutem Recht: Ihnen wurde erklärt, auf diese Weise marktfähig zu bleiben. Dass sachkundige Kritiker vor zu wenig Kenntnis der Risiken und Nebenwirkungen warnen, scheint egal. So werden wir in spätestens 60 Jahren wieder da sein, wo wir heute mit den Pestiziden sind: bei einem neuen Problem.

Erstaunlicherweise interessiert sich hierzulande kaum jemand dafür: Der Deutsche frisst, was ihm aufgetischt wird. Nirgendwo sonst in Westeuropa ist der Lebensmittelmarkt so billig wie in bei uns. Vorhandene Kontrollmechanismen wie das Lebensmittelinformationsgesetz werden in Deutschland von weit weniger Akteuren auf den Weg gebracht als beispielsweise in Großbritannien. Und Großdemos gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel hat es auch keine gegeben.

DDT wurde 1971 verboten, die Bundesrepublik hatte 35 Jahre Zeit, auch andere Pestizide zu verbieten. Grundlegendes ist nicht passiert. Dass hier verbotene Spritzmittel per asiatische Papaya zurück nach Deutschland kommen, darf deshalb nicht verwundern: Wenn Eliten hierzulande glauben, Nahrungsmittelprobleme nur durch neue Technologien beheben zu können, werden Eliten anderswo diesem Glauben auch nicht abschwören.

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Seit 1998 bei der taz (mit Unterbrechungen), zunächst als Korrespondent in Dresden, dann als Wirtschaftsredakteur mit Schwerpunkt Energie, Klima und Landwirtschaft, heute Autor im Zukunftsressort.

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