Wider die Fernsehversuppung

Eltern, Nebenjobs, Filmstiftung: Es gibt zahllose Möglichkeiten, Kinofilme zu finanzieren. Das beweisen die jungen Regisseure auf der Berlinale. Unabhängigkeit ist den meisten von ihnen wichtig. Ein Streifzug durch die „Perspektive Deutsches Kino“

Bevor die erste Klappe fällt, unterschreibt man meist einen Rückstellungsvertrag

VON ANDREAS RESCH

Als Filmemacher bedarf es eines hohen Maßes an Eigeninitiative. Man muss ja nicht gleich so weit gehen wie Robert Rodriguez, der das Budget für sein Debüt „El Mariachi“ zusammenbekam, indem er seinen Körper für Medikamententests zur Verfügung stellte. Setzt man sich mit den Entstehungsgeschichten jener Filme auseinander, die in diesem Jahr in der „Perspektive Deutsches Kino“ zu sehen sind, fällt aber auf, dass auch in Deutschland junge Filmemacher sehr einfallsreich sein müssen, um ihre Filme realisieren zu können.

Iris Janssen etwa hat die Dreharbeiten zu ihrem Abschlussfilm „Die Dinge zwischen uns“ in ihre niederrheinische Heimatstadt verlegt, wo sich die Möglichkeit bot, ohne großen bürokratischen Aufwand zu drehen: Das Rathaus im Film ist das Rathaus von Kevelaer, das Haus, in dem ihre Protagonisten leben, gehört Bekannten. Die Einrichtung wurde zum Nulltarif von einem ortsansässigen Möbelhaus gestellt.

Nur so konnte sie das Wagnis eingehen, mit einem Budget von 79.000 Euro einen Neunzigminüter zu drehen. Die Hochschule stellte 4.000 Euro zur Verfügung, die restlichen 75.000 kamen von der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen. „Das war mein Glück“, sagt Janssen. „Als Studentin einen Fernsehsender ins Boot zu holen, ist aufgrund der langen Vorlaufzeiten eher schwierig.“

Herausgekommen ist ein ungewöhnlicher Film über eine Frau, die entdeckt, dass ihr Mann regelmäßig zu Prostituierten geht. Anstatt ihn zur Rede zu stellen, beginnt Myriam (Daniela Wutte), in einem Bordell zu kellnern, und verliert sich allmählich selbst in einer seltsamen Zwischenwelt. Ursprünglich, so Iris Janssen, hatte aus dem Stoff ein Kurzfilm werden sollen. „Doch mein Betreuer an der Kunsthochschule für Medien in Köln meinte, die Geschichte habe Spielfilmformat.“

Ihren Lebensunterhalt bestreitet Iris Janssen hauptsächlich durch ihre Arbeit als freie Grafikerin. Wer als unabhängiger Filmemacher kein zweites Standbein hat oder regelmäßig an Auftragsarbeiten – Imagefilme, Cutter- oder Kamerajobs – herankommt, steht vor der Frage, wovon er oder sie eigentlich leben soll. Aus diesem Grund ist Jovan Arsenic, Regisseur der schrägen Komödie „Die Helden aus der Nachbarschaft“, schon einmal von Berlin zurück nach Köln gezogen: In der Hauptstadt fehlten ihm schlichtweg die Möglichkeiten, nebenher noch Geld zu verdienen.

Arsenics Situation ist nicht ungewöhnlich. Auch Jakob Ziemnicki, Carsten Ludwig und Jan-Christoph Glaser, Koregisseure von „Berlin – 1. Mai“, können vom Filmemachen noch nicht leben. Einzig Sven Taddicken, der Vierte im Bunde, hat 2006 mit „Emmas Glück“ einen kleinen Kinoerfolg gefeiert. Viele Filmemacher sind, zumindest vorübergehend, auf Hartz IV angewiesen.

Dass aller Voraussicht nach niemand etwas an der Auftragsarbeit „Berlin – 1. Mai“ verdienen wird, hängt mit der branchenüblichen Praxis der Rückstellungsverträge zusammen: Um einen Dreh zu ermöglichen, erklären sich Crew und Schauspieler bereit, für kein oder ein sehr geringes Gehalt zu arbeiten. Erst wenn ein Film eine bestimmte Summe eingespielt hat, werden die vollen Löhne ausbezahlt. „Allerdings“, so Carsten Ludwig, „geht man in der Regel schon vorher davon aus, nie etwas herauszubekommen.“

So hangelt man sich von Projekt zu Projekt – wenn man nicht wie David und Marlene Assmann das Glück hat, von den eigenen Eltern 50.000 Euro vorgestreckt zu bekommen. Gemeinsam mit dem aus Teheran stammenden Regisseur Ayat Najafi haben die beiden von dem Geld ein Fußballspiel zwischen Marlenes Kreuzberger Fußballklub und der iranischen Frauennationalmannschaft organisiert – und das Ganze gefilmt. Herausgekommen ist die Dokumentation „Football Under Cover“.

Spricht man die Filmemacher der „Perspektive Deutsches Kino“ auf ihre Erfahrungen mit Fernsehsendern an, werden trotz überwiegend positiver Erlebnisse auch kritische Töne laut. Einer spricht von „einer Tendenz zur Fernsehversuppung“, ein anderer erzählt, wie ihm von einem Redakteur nahegelegt wurde, „den Abschaltimpuls in den ersten zehn Filmminuten zu reduzieren“. Um sich künstlerischen Zwängen gar nicht erst unterordnen zu müssen, hat Sebastian Heidinger „Drifter“ seinen Abschlussfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin komplett unabhängig finanziert, indem er mit seinem Kommilitonen Nils Boekamp eine eigene Produktionsgesellschaft gegründet hat. Die entstandenen Freiräume haben es ihm „ermöglicht, ohne Druck zu arbeiten“, was bei einem Film, der im Strichermilieu angesiedelt ist, wohl auch unerlässlich ist. Die Akribie hat sich ausgezahlt: „Drifter“ hat eine ganz besondere Ästhetik, die sich meilenweit von der einer durchschnittlichen TV-Reportage unterscheidet.