Watts ist der Coolste

Sympathiepunkte gibt’s, wenn Keith Richards die Mutter von Hillary Clinton herzt. Ansonsten ist Martin Scorseses Rolling-Stones-Film „Shine a Light“ sehr langweilig

Nicht nur das Sehnsuchts-Close-up auf die Finger bei „Jumpin‘ Jack Flash“ fehlt

Damit hat sich Martin Scorsese wohl einen ganz großen Traum erfüllt. Einen Altherrentraum. Ein Film über die Musiker, die ihn so inspiriert haben, dass sich ihr Sound seit Jahrzehnten durch seine Filme zieht. Legenden, sicher. Auch coole Säcke. Beweglich in den Hüften. Dauergewellt und kajalumringelt. Unsäglich reich, freundlich durchgeknallt und immer noch passioniert. Jeden für Fans liebevoll geschaffenen Konzertmitschnitt wert. Solange die Fans sich diesen Mitschnitt – sagen wir, er sei wuchtige 122 Minuten lang und fasste zwei Konzerte in New York im Herbst 2006 zusammen – auf DVD bei Amazon bestellen können. Als Auftaktfilm für ein großes Festival ist „Shine a Light“ eine bedauernswerte Wahl, als Entscheidung nur zu rechtfertigen, wenn die Stones am Donnerstagabend richtig lange auf dem roten Teppich herumtänzeln und bei der Premierenparty noch irgendwas direkt vor Boulevardreporterkameras kaputtschlagen bzw. abschleppen.

Das aber wird nicht passieren. Das Musikerdurchschnittsalter liegt immerhin bei 64 Jahren. Und deswegen bleiben: die ersten schönen zehn Minuten des Films. Wo man im Schnitt-Gegenschnitt-Verfahren (mal Scorsese, mal die Stones, irgendwo auf der Welt) etwas über das Zustandekommen des Films erfährt. Wie Scorsese versucht, Absprachen zu treffen über die Bühnengestaltung. Wünsche zu äußern bezüglich der Songauswahl. Wenigstens zu wissen, wie die Setlist aussehen soll. Jagger aber gibt die Diva. Man sieht Scorsese in Verzweiflung. Die Setlist wird ihm schließlich zwei Sekunden, bevor im jugendstilplüschigen Theater der Vorhang aufgeht, reingereicht. Da rauft Scorsese sich kurz das Haar. Und hat nicht mehr genug Zeit, um den 16 zum Großteil oscarprämierten Kamerafrauen- und männern konkrete Anweisung zu geben. Deswegen fehlt sein Sehnsuchts-Close-up auf die Finger des Gitarristen, der das erste Riff spielt. Es wäre bei „Jumpin’ Jack Flash“ Keith Richards gewesen.

Kurz vorher noch hatte man Bill Clinton gesehen, wie er samt Großfamilie und Polens Expräsi Kwaśniewski zum Shakehands auf die Bühne stürmt und Richards liebreizend Hillarys Mutter begrüßt. Das gibt ordentlich Sympathiepunkte. Die ab dem Moment, in dem das Konzert losgeht, nur von Scorsese wieder verspielt werden. Er bringt zu viel Livemitschnitt, lässt jeden Song voll durchlaufen und begreift nicht, dass man nach spätestens 90 Minuten gern entlassen wäre aus all der Kameravernarrtheit in Jaggers goldenes Mundinnenleben und Jaggers wilde Strecksprünge.

Klar, es ist beeindruckend, die vier in derart freudiger Aktion zu sehen. Ja, sie sind alle toll schlank geblieben, haben auch noch recht sehnige Arme. Und Charlie Watts ist immer noch der Coolste. Aber den Stones zwei Stunden beim Bluesrocken zuzusehen, ist, bei aller Sympathie und Ehrfurcht vor dem Alter, doch einfach sehr langweilig. So hangelt man sich durch „Shine a Light“, indem man auf die rar gesäten Einspieler von recht bekanntem Archivmaterial wartet. Zum Beispiel, als Mick Jagger 1971 – das ist der Höhepunkt des Films – auf die Frage, ob er sich auch als 60-Jähriger noch als Rocker imaginieren könne, antwortet: „Oh yeah, easily.“

KIRSTEN RIESSELMANN

„Shine a Light“. Regie: Martin Scorsese. Mit Mick Jagger, Keith Richards. USA, 2008, 122 min. Heute, Urania, 15 Uhr und 18.30 Uhr