Singing Chens "God Man Dog": Buddha und die Unterschenkelprothese

"God Man Dog" zeichnet ein eigenwilliges Bild von Taiwan. Mütter sortieren Babys zu Tode, Hunde verursachen Karambolagen, und Gott lässt auf sich warten.

Der Mensch im Einzelnen und die Menschheit im Ganzen bringen alles durcheinander. Bild: berlinale

Die Welt ist aus den Fugen, und dabei gliedert sich der Titel des Films so wohlgeordnet in drei Teile, deren erstes und letztes Drittel hübsch symmetrisch als Palindrom konstruiert sind, vorwärts wie rückwärts gelesen kommt dasselbe heraus: "God"/"Dog". Aber die Mitte! Der Mensch im Einzelnen und die Menschheit im Ganzen bringen alles durcheinander: "Man" gibt sich nicht mit seiner mittleren Position zufrieden, er will hoch hinaus zur Allmacht, und es zieht ihn immer wieder hinab zum Tierischen. Und so wirken denn auch seine Versuche, Ordnung zu schaffen, verzweifelt oder bestenfalls lächerlich. Eine Frau kommt nach Hause in ihre noble Designerwohnung, richtet penibel Kalender und Merkhefte, Zeichenblocks, Bleistift und Kugelschreiber geradlinig und rechtwinklig aus. Und nach dem Schreibtisch kommt das Baby dran, die Decke muss genau parallel zum Bett liegen. Der kleine Körper soll die richtige Haltung einnehmen. Kein Wunder, dass es wenig später das Atmen gleich ganz aufgibt und stirbt, wie in stillem Protest gegen die unsinnigen Zwänge seiner Umgebung. Die Mutter fällt in eine Art Schockstarre. Der Vater predigt: "Beruhige dich doch!"

So also geht es in einer wohlsituierten Familie zu, am anderen Ende der sozialen Leiter kriegt ein Mann überhaupt nichts mehr geregelt, alles dreht sich im Kreise von zu viel Alkohol und zu wenig Widerstand. Seine Frau putzt und sortiert ergeben ihre Plastik-Nudelsuppen-Becher, und das sieht noch trauriger aus als bei einem Ökofreak hierzulande, weil sie die schiere Not treibt. Ihre Tochter wird in die Stadt geschickt, damit sie dort für eine Karriere als Boxerin trainiert.

Frei von solchen Sorgen taucht immer wieder ein Bürschchen auf, das sich in Bussen und Lastwagen im Kofferraum versteckt, weil es auf diese Art "weit herumkommt"; die Nahrungszufuhr erledigt es auf ähnlich unkonventionelle Weise: Es gewinnt alle Fresswettbewerbe, indem es stoisch zehn Nudeltopfportionen in sich hineinstopft. Ein Lebenskünstler, der sich als Luftgeist fühlt, aber "cool".

Mit den Abfallprodukten der Wegwerfgesellschaft schlägt sich ein Truckfahrer durch, an einem Bein hat er eine Unterschenkelprothese, die ihm nicht nur beim Gehen hilft, sondern auch auf geheimnisvolle Art beim Aufspüren von Buddha-Statuen, die er repariert und wieder verkauft. Inzwischen ist ihm die Prothese mehr ans Herz gewachsen als ans Bein angepasst, und der Orthopäde rät heftig dazu, sie durch ein neues Modell zu ersetzen.

Vorerst reist er mit seinem voll gepackten Wagen durch die Landschaft und setzt seiner Umgebung und dem ganzen Film besondere Lichter auf - bildlich gesprochen. Denn wenn er die Flitter-Beleuchtung mit bunten Neonröhren auf volle Kraft schaltet, ergibt das eine Mischung aus Jahrmarkt und Kathedrale, aus Kitsch und Heiligtum, und das tut seine Wirkung in den tristen Vorstädten genauso wie auf den einsamen Landstraßen.

Ein Bild Taiwans, das natürlich auch vom filmischen Großmeister des Landes, Hou Hsiao-Hsien, beeinflusst ist. Einer seiner Schauspieler, bei ihm öfter in Gangsterrollen zu sehen, gibt hier den (trickmäßig) beinamputierten Reliquiensammler. Musik, Humor und eigenwillige Überraschungen im Erzählfluss machen "God Man Dog" dennoch zu einem ganz persönlichen Werk der Regisseurin Singing Chen. Wann immer wir denken, Personen und Gesellschaft zu verstehen, kommt eine neue Dimension hinzu: zum Beispiel bei den dritten Titelhelden, den streunenden Hunden, die selten, dann aber wirkungsvoll ins Spiel kommen. Als einer von ihnen einen Verkehrsunfall verursacht, schürzt sich der Knoten und bringt alle Handlungsstränge zusammen. Zu einem vorsichtig optimistischen Ausblick - wenn auch niemand kommt, die Welt, die aus den Fugen ist, wieder einzurichten. HELMUT MERKER

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