Robert-Redford-Film: Wenn Lämmer regieren

Als Kommentar zur Lage der US-amerikanischen Nation taugt der Spielfilm "Von Löwen und Lämmern" nicht. Sein zentrales Thema ist das Engagement des Einzelnen.

Filmszene mit Meryl Streep, Tom Cruise und Regisseur Robert Redford. Bild: 20th century fox

Es ist 10 Uhr morgens in Washington, DC. Ein aufstrebender republikanischer Senator hat eine eher liberale Journalistin zu einer Audienz bestellt. Zur selben Zeit in Kalifornien. Ein im Sinne der US-amerikanischen Polit-Topografie vermutlich ähnlich liberaler Hochschullehrer (Politologie) hat einen begabten, aber untermotivierten Studenten zu einem frühen Sprechstundentermin geladen. Und auch in Afghanistan - hier ist es noch Nacht - werden Befehle an eine Hubschrauberpatrouille ausgegeben. Sie stellt die Verbindung zwischen den beiden Gesprächen da: Ihr Einsatz findet nämlich im Rahmen einer neuen Strategie statt, die der Senator gerade der Journalistin zu verklickern sucht, und zwei der dort im Hubschrauber sitzenden Soldaten sind ehemalige Studenten des besagten Professors. Ihr freiwilliges Engagement beim "Krieg gegen den Terror" ist der Ausgangspunkt der Predigt, die der 68er dem unterengagierten Kurzhosenträger hält.

Während die beiden Gespräche ihren Lauf nehmen und mehr oder weniger offen enden, vollendet sich das Schicksal der beiden Freiwilligen auf einem stark an die Bad Segeberger Karl-May-Festspiele erinnernden Hochplateau unter Taliban-Beschuss und einer diesen in jeder Hinsicht übertönenden New-Age-Sinfonik. An allen drei Schauplätzen ist die gleiche Menge Zeit vergangen. Die Regie hat nach Art einer Bundesligakonferenzschaltung zwischen den Schauplätzen hin- und hergewechselt.

Dass eine der drei aristotelischen Einheiten gewahrt wird, ist nicht das Einzige, was "Von Löwen und Lämmern" mit einem erbaulich-didaktischen Theaterstück, wie man es in den 50er-Jahren gespielt hätte, gemeinsam hat - irgendwo zwischen "Die zwölf Geschworenen", "An Inspector Calls" und "Biedermann und die Brandstifter". Die Dialoge, an denen ja nun alles hängt, sind mit zarter Laubsäge ausgefräste Sätze zum engagierten Aufsagen, wobei wenigstens die beiden Nichtliberalen noch ein paar Chancen haben, auch ihre Körpersprache einzusetzen. Tom Cruise als Senator hat einen gewissen Schauwert, weil der Zuschauer geneigt ist, die einstudierten Körperkorrekturen, das knirschende Grinsen und die ruckartigen Verbindlichkeitsanstrengungen abwechselnd seiner Rolle, seiner Person und sinistren Scientology-Trainingslagern zuzuschreiben. Und der schlaffe Jungmann aus Kalifornien kann wenigstens seinen unengagierten Körper etwas ausschlenkern lassen. Robert Redford als Prof und Meryl Streep als Journalistin bleiben hingegen ganz hochgespannte Aufsagemaschinen, unabhängig von Streeps passiver und Redfords eher aktiver Variante.

Es ist ein bisschen rätselhaft, warum mit ein paar Wochen Vorlauf erst der bekannte Sonderfilmkritiker Frank Schirrmacher in Frankfurt und dann noch eine Herrenrunde mit Ex-Außenminister Fischer, Historiker Heinrich August Winkler und dem Regisseur Redford hochselbst an zentralem Ort in Berlin diesem hölzernen Rhetorikseminar so viel künstlerisch unverdiente Aufmerksamkeit zollen. Nun, es geht natürlich nicht um Kunst. Schirrmacher brachte den Streifen auf das Paradox, zugleich "einen Moment vollständiger Offenheit" herzustellen und doch ein "Antikriegsfilm" zu sein, der ohne Gut und Böse auskomme. Auch Fischer war bewegt. In Wirklichkeit weiß natürlich jeder die ganze Zeit, wer in diesem Film die Guten sind, nur ist die Begründung für europäische Verhältnisse ungewöhnlich. Vielleicht herrscht hierzulande aber gerade an dieser Mischung aus moralischem Absolutismus und zivilisationsverzweifelter Panikrhetorik ein gewisser Nachholbedarf.

Sein zentrales Thema findet Redford weniger in der Frage, was die amerikanische Außenpolitik jetzt tun sollte. Das bleibt unentscheidbar im Hintergrund. Die eigentliche Krisendiagnose betrifft weniger die empirischen Vereinigten Staaten von Amerika als den ethischen Kern des gleichnamigen utopischen Projekts. "Rom steht in Flammen", darüber herrscht hier Einigkeit. Gesucht wird nach der verloren gegangenen inneren Einstellung. Der Senator ist engagiert, aber nur für sich selbst. Er steht ganz unten auf der Engagement-LeiHorst Eberhard Richterter. Der begabte Schlaffi ist nicht engagiert, aber wenigstens auch kein Egoist: Er ist Präsident einer studentischen Verbindung (immerhin!). Der Professor ist engagiert, aber mit seiner letzten Predigt hat er dazu beigetragen, dass sich zwei seiner besten Leute in Afghanistan verheizen lassen. Die Journalistin ist engagiert: Sie glaubt dem Senator seine Propaganda nicht, kann aber nicht verhindern, dass der Sender sie trotzdem sendet.

Bleiben die beiden Soldaten. Sie geben nicht nur mehr als die anderen, ihr Leben nämlich. Verwundet inmitten des Pappmachégebirges geben sie ein leuchtendes Beispiel für Mannesmut und Freundesliebe, schlagen Möglichkeiten der individuellen Rettung aus, um einander beistehen zu können, und ziehen den Tod der Gefangenschaft vor. Diese Männer sind die Löwen aus dem Titel des Films, wie der Prof ihn erklärt. Leider seien ihre Führer nur Lämmer. Ungediente zumal! Der Senator hat keine Fronterfahrung, erfahren wir, sondern sich nur in Geheimdienstkunde ausgezeichnet. Von dem Rest der Bande will der Film gar nicht erst reden; wir kennen sie ja. Ihre Gesichter sind auf den Fotos hinterm Schreibtisch zu erkennen, die den Senator im Kollegenkreis des Kabinetts Bush zeigen.

Filme, die ihre Betrachter motivieren, nach ihrer Botschaft zu suchen, haben ohnehin ein Problem. Dieser Film ist so einer. Er möchte die Welt mit ihren individualistischen Lärm, ihren wirren Lifestyles, die Demokratie im Zeitalter maximaler Unterwerfung unter die Privatwirtschaft und die ganze USA mit ihrem durchgeknallten Mix aus Glauben, Ideologie, Lethargie und Skepsis herauskürzen, um auf eine klare Formel zu kommen, mit der man anschreiben kann, was schief läuft. Die Bilder, die er sich von Dialogen und Unterrichtssituationen holt, täuschen darüber hinweg, dass ihn gerade die Offenheit des Gesprächs wenig interessiert: Das ist eher eine bewährte therapeutische Maßnahme, um auf den einen kranken Kern zu kommen. Tun wir ihm also den Gefallen, den er von uns Rezipienten erwartet, und präparieren seine Botschaft heraus. Sie liegt ziemlich offen zutage.

Die Offenheit der politischen Frage ist nicht diese Botschaft, sondern die, dass man inmitten einer komplexen Wirklichkeit von verrannten Wahnsinnsfeldzügen und vergeblichen politischen Engagiertheiten in Wirklichkeit sehr genau zwischen Gut und Böse unterscheiden kann. Die Guten sind die couragierten Altruisten, die Bösen die bequemen Egoisten. Amerika aber sind zweierlei Dinge: ein real existierender Staat, der im Schlamassel steckt und da auch bleiben wird, und eine spirituell-utopische Gemeinschaft der Guten. Die aber lässt sich reparieren.

Besonders brisant an dieser schlichten Ablösung der Tugenden von den Absichten und Ideen des je Tugendhaften ist, wie "68" hier zum Modell für ein soziales oder bürgerschaftliches Engagement wird, das auch die freiwillige Meldung zum Auslandseinsatz einschließt. Vielleicht ist das auch der Grund, warum Joschka Fischer dieser Film bei der Diskussion mit Regisseur Redford so ausnehmend gut gefallen hat. Schließlich ist auch er dafür bekannt, einen Kriegseinsatz mit antifaschistischem Engagement begründet zu haben. Nun lässt sich 68 zwar in der Tat nicht auf Pazifismus um jeden Preis reduzieren, und der Afghanistan-Einsatz ist auch nicht dasselbe wie der Russland-Feldzug der Nazis, wie Horst-Eberhard Richter neulich in dieser Zeitung suggerierte. Aber die totale Flexibilisierung der Tugend "Einsatz" und "Courage" für alles und jeden, solange es nur altruistisch ist, schustert ungewollt nicht zuletzt dem ganz normalen Selbstmordattentäter die besten Argumente zu. Da zöge man, würde man so tugendabsolutistisch diskutieren, doch schlaffe, skeptische Kalifornier vor.

Die Redford-Figur kennt zwar das Dilemma ihrer Position, mit der der Film so eindeutig sympathisiert: Er hätte nicht zu dem Freiwilligeneinsatz geraten. Aber ihr Problem ist, dass sie, solange sie keine anderen Kriterien hinzuzieht, auch keine Gegenargumente weiß. Dies trägt der Film nicht aus, er lässt es allenfalls als persönliche Tragödie des Profs ahnen, der darauf besteht, am wichtigsten sei, dass man sagen könne, man habe etwas versucht. Die von ihren feigen Führern missbrauchten tapferen Frontsoldaten bleiben als mythisches Bild bestehen, das man ja nicht zum ersten Mal in der Dämmerung eines verloren gehenden Krieges zu sehen bekommt. Was hingegen völlig fehlt, ist jede politische Qualifizierung des je tugendhaften Aktes. Welches Demokratiedefizit soll er kompensieren, welches politische Kalkül trägt ihn, nicht zuletzt: In welche ökonomische Formation ist er eingetragen? Denn schließlich sind hitzige Opferbereitschaft und jugendliche Selbstverausgabung begehrte Rohstoffe nicht nur buchstäblich Menschen verheizender Kriege oder unauthentisch gewordener Politik: Sie sind auch die Hefe, aus der man erfolgreiche, neoliberale Unternehmen zusammenbraut.

"Von Löwen und Lämmern". Regie Robert Redford. Mit Meryl Streep, Tom Cruise und Robert Redford u.a., USA 2007, 95 Minuten

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