Croissant-Biografie: Wütende Jakobiner

Peter O. Chotjewitz hat den Roman "Mein Freund Klaus" dem RAF-Anwalt Klaus Croissant gewidmet. Das Buch ist eine Zeitreise durch ein linkes Milieu der frühen Bundesrepublik.

Baader-Meinhof-Anwalt Klaus Croissant (l) mit Jean-Paul Sartre (m) und Daniel Cohn-Bendit (r) 1974 in Stuttgart. Bild: dpa

Das gibt Ärger. Peter O. Chotjewitz hat ein Buch über Klaus Croissant geschrieben, neben Andreas Baader eine der meistgehassten Figuren innerhalb der deutschen Linken. Einer, den man auch in der taz einen "Kotzbrocken" nennen darf. "Mein Freund Klaus" heißt das Buch. "Ja, der Titel ist Provokation", sagt Chotjewitz. Croissant war RAF-Anwalt, saß wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in Haft und versorgte als "IM Thaler" über zehn Jahre lang die Stasi mit Informationen über die westdeutsche Linke. Warum ist Freund Klaus bei vielen (Ex-)Linken so verhasst? "Weil er von seinen Überzeugungen nicht Abstand genommen hat, weil er nicht aufgehört hat." Das sagt Freund Chotjewitz, Schriftsteller und früher ebenfalls Wahlverteidiger von Andreas Baader im Stammheimer Prozess.

Chotjewitz ist Jahrgang 1934 und damit drei Jahre jünger als sein 2002 verstorbener Freund Klaus. Der hatte sich von einem Schlaganfall nicht mehr erholt. Auch Chotjewitz hat ein "Schlägle" hinter sich, so steht es in diesem Buch. Mit 73 bleibt vielleicht nicht mehr viel Zeit. Und so kommt der 576-Seiten-Brocken wie eine letzte große Kraftanstrengung daher: Denen zeig ichs noch mal. Vor allem denen, die mit Klaus nichts mehr zu tun haben wollen. Und mit ihrer eigenen revolutionären Vergangenheit. An die Revolution "glaubten damals viele", so Chotjewitz. "Das große Vorbild war Marighela: Wenn es in Uruguay möglich ist, den Staat zu attackieren, Polizeibüros zu überfallen, warum nicht auch in Deutschland?"

Mit dem Starrsinn des Alters schreibt Chotjewitz gegen die linke Amnesie an. Seine Croissant-Biografie ist zugleich Chotjewitz-Autobiografie. Gegen Verleumdungsklagen hilft die Gattungsbezeichnung "Roman" - in dubio pro Fiction. Chotjewitz ist jahrelang quer durch Europa gereist, um alte Weggefährten zu befragen. Freunde und Freundinnen von Klaus, Familie, Mandanten, Anwaltskollegen, Vermieter, Nachbarn, RAF-Kämpfer, Kollegen aus dem Europäischen Parlament. Und Geliebte.

"Er wechselte die Frauen wie das Hemd", heißt es mehr als einmal. Akribisch beschreibt Chotjewitz die Begegnungen mit den Zeitzeugen. Bis auf wenige Ausnahmen treten sie mit ihren Realnamen auf. "Roman" hin oder her, de facto ist das Buch eine äußerst aufschlussreiche oral history of germany, egal, wie ärgerlich, abstoßend oder peinlich die Lektüre manchmal ist.

Chotjewitz ist unsympathisch. Croissant ist unsympathisch. "Wir sind uns ähnlich. Narzisstische Typen, ein bisschen oberflächlich, Lustmenschen, unangepasst, unsympathisch." Chotjewitz sagt dies mit dem ihm eigenen Pathos der Selbstmarginalisierung. Im Schulterschluss mit dem toten Freund genießt er die Rolle des linken Kotzbrocken. Er insistiert und insistiert, er nervt und nervt. Wie war das mit den Haftbedingungen? Was ist sensorische Deprivation? Isolationsfolter? Zwangsernährung? White Noise & White Lies. Nein, was Stammheim angeht, so glaubt er nicht, dass die RAF-Gefangenen ermordet wurden. Dass der von der RAF ermordete Generalbundesanwalt Siegfried Buback seit 1940 NSDAP-Mitglied war, ist dem Schriftsteller Chotjewitz mehr als eine kleine Erwähnung wert. Ebenso die NS-Karriere des 1977 von der RAF erschossenen Hanns Martin Schleyer.

Einer eher schlichten dichotomischen Logik folgt Chotjewitz Verteidigung von Croissants Stasi-Engagement. "Wir hatten für die DDR was übrig, weil wir für die BRD so wenig übrig hatten. Unser Hass auf die kapitalistische Gesellschaft im Westen war der Grund für unsere Toleranz gegenüber der DDR." An diese wie im Schraubstock fixierte Frontstellung erinnert das Buch auf manchmal quälende Weise, denn es erzählt von einer aus heutiger Sicht ziemlich bleiernen Zeit. Dann wird "Mein Freund Klaus" zum Geschichtsbuch der BRD-Linken vor 1968, oder, wie der Autor es in aller Bescheidenheit nennt: "Eine Recherche nach der verlorenen Zeit."

Er recherchiert, dass Croissant in den Sechzigern im Cave 54, einem Jazzlokal in der Stuttgarter Altstadt, als Türsteher tätig war. Allerdings beurteilte er die Leute nicht nach ihrem Aussehen, sondern nach ihren literarischen Kenntnissen. Wie darf man sich das vorstellen? "Roman von Sartre?" "Der Ekel!" "Allez!" "Roman von Camus?" "Der Fremde!" "Bon Soir!"

Die Franzosen hatten es dem Türsteher Croissant angetan. "Existenzialismus, Agnostizismus und Antifaschismus sollten die Grundlagen sein. Linke Gesinnung war kein Muss." Der Kabarettist Hanns-Dieter Hüsch, auch kein Ahnungsloser in Sachen eitler Selbstmarginalisierung, fand für Croissant und seinesgleichen (inklusive Hüsch selbst) einen hübschen Ausdruck: "Frankophile Käselutscher". Die treffen sich in Jazzkellern, Republikanischen Clubs und Club Voltaires, manchmal kommt Geld aus der DDR. Geredet wird unter Männern.

Frauen kommen hier nur als Genussmittel und Dekor vor, als "Mädchen" oder "hübsche Mädchen". Linke Blätter wie Konkret, Spontan und das da locken ihre männlichen Leser mit Fotos von "nackten Mädchen". In diese linke Herrenwelt tritt plötzlich eine junge, gutbürgerliche, attraktive Frau, die denken, reden und schreiben kann! Ulrike Meinhof, eine Sensation! Auch Croissant ist fasziniert.

"Er war ein geradezu barocker Mensch. Mit einer großen Freude an schönen Dingen und schönen Menschen", zitiert Chotjewitz einen Anwaltskollegen, gemeint sind vor allem weibliche Menschen. So oder ähnlich äußern sich viele Zeitzeugen: "Beide - Heldmann und Croissant - waren Genussmenschen, liebten Frauen, gutes Essen und Trinken."

Der Genussmensch und angesehene Jurist Dr. Hans Heinz Heldmann wird 1975 Vertrauensanwalt von Andreas Baader. Sein Antrag, die Verhandlung zu unterbrechen, um sich in die Materie einzuarbeiten, wird abgelehnt. Weder die Prozessakten noch die Anklageschrift werden ihm ausgehändigt. Begründung: Die Akten sind alle. Mit Croissant verbindet Heldmann nicht nur die Liebe zu den schönen Dingen und Menschen. Beide sind keine 68er-Linken, dafür sind sie zu alt, der antibürgerliche Furor der Bewegung ist ihnen unangenehm, schließlich sind sie selber Bürger durch und durch.

Der Grat ist schmal zwischen Bourgeois und Citoyen. Noch viel später, in der, igitt, Regenbogenfraktion des Europaparlaments sollte der stets elegant gekleidete Rollkragenpullover-Liebhaber Croissant unter den Geschmacksverbrechen seiner Parteikollegen leiden. Wie Heldmann ist Croissant nach Chotjewitz "ein bürgerlicher Verteidiger des Rechtsstaats". Deren vornehmste Aufgabe sieht er in der Verhinderung einer Neuauflage des Nationalsozialismus auf deutschem Boden. Beide Juristen erleben in Stammheim ein Verfahren, das ihr Vertrauen in den Rechtsstaat zutiefst erschüttert. Wie Horst Mahler (heute NPD), Otto Schily (heute SPD), Christian Ströbele (heute Grüne) und andere arrivierte Rechtsanwälte sehen sie sich plötzlich als Zielscheibe einer "innerstaatlichen Feinderklärung". Chotjewitz beschreibt, wie sich das Klima rapide verschärft, Anwälte werden kriminalisiert, einige werden tatsächlich zum Bestandteil der RAF-Logistik.

Die Feinderklärungslogik schaukelt sich hoch und ausgerechnet aus Frankreich kommt das ideologische Werkzeug, auf das der Antifaschist Croissant gewartet hat: Mit ihrem vielgelesenen Buch "Neuer Faschismus, neue Demokratie" lancieren die Star-Intellektuellen Michel Foucault und André Glucksmann die Theorie eines neuen Faschismus, der aus der Mitte des Rechtsstaats entstehe. Die passende Theorie zu den beschleunigten Erfahrungen des Rechtsstaatsverehrers Klaus Croissant. Aber nicht nur persönlich enttäuschte Citoyens und "wütende Jakobiner", wie Chotjewitz seinen Freund Klaus nennt, reden vom Neuen Faschismus in Deutschland. Viele 68er-Linke machen sich die Theorie zu eigen und sehen sich als Teil einer Widerstandsbewegung.

Und wer sich im Widerstand befindet, ist nicht mehr ans Gesetz gebunden. All das klingt heute ziemlich weit hergeholt. Und man muss Chotjewitz dafür dankbar sein, dass er es von so weit hergeholt hat. Dass er Erinnerungslücken schließt, also auch die Lücken zwischen Gewinnern und Verlierern der Geschichte. Und es gehört zur wiederum schlichten Logik, dass die Verlierer den Gewinnern nachtragen, was diese lieber vergessen möchten.

Viele Gespräche in diesem Buch schließen Lücken, dann wird das nachtragende Bohren produktiv. Gnadenlos wird auch die Larmoyanz des verbitterten linken Losers dokumentiert, der sein eigenes kleines Elend auf welthistorisches Niveau hochdrastikt: "Die heutige Form des KZs heißt Hartz IV."

Lieber vergessen möchte man den altertümlichen Jargon linker Eigentlichkeit, der sich durch das Buch zieht. Da wimmelt es von "Genossen", die "unerschrocken kämpfen", von "Draufgängern", "Wachteln" (Gefängniswärter), "Gorillas" (Leibwächter) und "Schlapphüten" (Agenten), Geld heißt "Knete", Zusammenhänge werden "verklickert" und "Der Grüne" ist nicht etwa der Vertreter einer ökoliberalen Partei. Er ist Polizist. Diesen linken Konversationssound aus habituellem Beleidigtsein, Selbstgerechtigkeit und Besserwisserpathos ruft Chotjewitz in Erinnerung, bis es wehtut. Wobei zu hoffen ist, dass er den Jargon nur vorführt. Oder redet er wirklich so?

Peter O. Chotjewitz: "Mein Freund Klaus". Verbrecher Verlag, Berlin 2007. 576 Seiten, 22 Euro

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