Der Klimaforscher als Prophet der Zukunft: Die Zeit, die bleibt

Träge steuert die Klimakonferenz ihr Ende zu. Dabei mahnte schon Niccolò Machiavelli zur Eile: Entstehende Übel sind rasch zu beheben, will man nicht mit ihnen untergehen.

Prophet mit Power-Point-Präsentation: Al Gore. Bild: dpa

Vom Heil durch Hoffnung handelt die jüngste Enzyklika von Papst Benedikt XVI. Sie rechnet, wie es die römisch-katholische Kirche von Haus aus tut, mit Ewigkeiten und dass dieses Rechnen mit Ewigkeiten dem Menschen in seiner Gegenwart Heil verspricht: "Erst wenn Zukunft als positive Realität gewiss ist, wird auch die Gegenwart lebbar", heißt es in "Spe Salvi". Nur dass eine solche Zukunft keine mit unserem Zeitbegriff messbare, keine in dieser Welt lebbare sein soll. Das wäre utopisches Denken, das wäre das alte befreiungstheologische Missverständnis, und das ist ja nun gerade dem jetzigen Papst, weil es verdächtig sozialistischem Gedankengut ähnelt, ein Horror.

Der Titel der Ratzinger-Enzyklika "Spe Salvi" ist ein Zitat aus den Römerbriefen des Paulus (Rom 8:24). Diese hat jüngst der Philosoph Giorgio Agamben in seiner Vorlesung "Die Zeit, die bleibt" einer subtilen Analyse unterzogen. Es geht ihm darin justament um die Zeitverhältnisse des Menschen. Agamben stellt freilich in seinem Kommentar Ratzingers scharfe Trennung von irdischer Zeit und Zeit des Heils in radikal utopischer Absicht auf den Kopf. Mit Hilfe von Walter Benjamin liest er aus Paulus Römerbriefen den Begriff einer messianischen Zeit heraus, die nicht von selbst auf eine Heilsewigkeit zuläuft.

Er denkt einen "Bruch in der Zeit, durch den man - um Haaresbreite - die Zeit ergreifen und sie vollenden kann" und damit also in letzter Instanz den Begriff einer Zeit, die sich dem Tun und Zutun des Menschen öffnet. Dem sicheren Zugriff menschlichen Handelns - das heißt, grob gesagt: zuversichtlichem Politaktivismus - steht diese aufgebrochene, der Zukunft entwundene Gegenwartszeit jedoch keineswegs zur freien Verfügung. Die von Agamben angedeutete irdische Möglichkeit eines derart Utopischen begründet eher die Bedingung der Möglichkeit zukünftigen Heils.

Die Römer aber, an die Paulus sich damals wandte, rechnen anders. Nachzulesen ist das auch in einer anderen Art Enzyklika, dem am 5. November veröffentlichten Bericht des amerikanischen Instituts CSIS "Das Zeitalter der Konsequenzen: Die Implikationen des globalen Klimawandels für Außenpolitik und nationale Sicherheit". Das Motto des 124 Seiten langen Berichts ist Niccolò Machiavellis politstrategischem Klassiker "Der Fürst" (1532) entnommen und lautet übersetzt: "Denn die Römer taten in diesen Fällen, was jeder kluge Fürst tun sollte, der nicht nur die Schwierigkeiten der Gegenwart, sondern auch solche der Zukunft im Blick hat. Auf diese nämlich muss er sich mit aller Kraft vorbereiten, da ihnen, als vorausgesehenen, leicht zu begegnen ist; wenn man aber wartet, bis sie nahe sind, kommt die Medizin nicht mehr zur rechten Zeit, weil die Krankheit unheilbar geworden ist. Ebenso ist es bei Staatsangelegenheiten, denn wenn die Übel, die entstehen, vorausgesehen werden (dies ist nur Weisen gegeben), dann sind sie rasch zu beheben; sind sie jedoch, weil nicht vorausgesehen, erst einmal so sehr gewachsen, dass ein jeder sie sieht, dann gibt es keine Heilung mehr."

Statt Hoffnung auf ewiges Heil also Heilung durch Gegenwartshandeln, das sich weiser Zukunftsvoraussicht verdankt. Als Weltzukunftsexperten sind die Klimaforscher, auf deren Erkenntnisse der CSIS-Bericht baut, die Propheten der Zukunft von heute. Allerdings ist in ihrer Weisheit empirisch gut Abgesichertes immer auch mit nicht definitiv belegbaren Mutmaßungen untermischt - von 10 Prozent Zweifel spricht selbst der Weltklimarat IPCC. Wie die derzeitigen Debatten zwischen Klimawarnern und Erderwärmungsskeptikern zeigen, hat das Rechnen mit Zukunft seine heiklen Seiten. Einerseits sind die Warner auf die aufrüttelnde Wirkung eindrücklicher Horrorszenarien angewiesen, wie sie etwa Al Gore in seiner nobelpreisgekrönten Power-Point-Präsentation vorträgt. Andererseits gibt es zum Zweifel an der Plausibilität dieser Horroszenarien immer mal wieder auch einen guten Grund. Sie dürfen, um zu wirken, die gelegentliche Übertreibung nicht scheuen, die die Leugner und Skeptiker als Einfallstor für Generalabrechnungen nutzen.

Zum anderen ist die von Machiavelli genau erfasste Logik der Prävention, das heißt genauer gesagt: die Logik der Self-Preventing Prophecy, ja auch eine verdammt undankbare Sache: Die Prophezeiung wird sich, wenn sie Handeln bewirkt, als wahr erweisen genau dadurch, dass sie nicht eintritt. Daher das Gekläff von Populisten wie Kai Diekmann, der in seiner 68er-Abrechnung "Der große Selbstbetrug" schreibt: "Ein Katastrophenszenario jagt das nächste - die Religion des Ökologismus braucht neue Heilige. Waldsterben, Killerstürme, Feinstaub, CO2 - fast ist es ein Wunder, dass es uns noch gibt." Nein, es ist kein Wunder, sondern im glücklichen Fall der Erfolg, den tatkräftiges Handeln zeitigt, um das Schlimmste zu verhindern.

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