Zensur im Iran: Keine Küsse in Teheran

Einst klagten die Islamisten über die Zensur. Heute darf der frühere Staatspräsident Rafsandschani seine Memoiren nicht veröffentlichen. Frauen sind sowieso unter Druck.

Bild: dpa

Im Lehrbuch für Englisch wird iranischen Gymnasiasten erklärt, was ein Mini- und ein Maxirock ist. Schauen aber die Schüler auf die neben dem Text stehenden Fotos, können sie keinen Unterschied feststellen. Denn auch bei der jungen Frau, die nach der Beschreibung einen Minirock tragen soll, ist der Rock knöchellang. Bei genauer Betrachtung sieht man allerdings, dass der Rock, der islamischen Moralvorstellung folgend, durch schwarze Farbe verlängert worden ist. Auch die Brüste der Tennisspielerin Maria Sharapova auf dem Titelblatt einer in Teheran erscheinenden Sportzeitschrift wurden mit schwarzer Farbe überdeckt. Bei importierten Filmen werden grundsätzlich sämtliche Szenen, die dem von Islamisten aufgestellten Moralkodex nicht entsprechen, herausgeschnitten. Nicht selten sieht man zum Beispiel einen Liebhaber, der mit offenen Armen auf die Geliebte zugeht. Bevor es jedoch zu einer körperlichen Berührung kommt, wechselt die Szene. Zu einer Umarmung, gar einer sexuellen Handlung kommt es nie.

Nach Angaben von amnesty international (ai) werden im Iran immer noch vor allem Frauen öffentlich gesteinigt. Die Regierung in Teheran hatte 2002 die Einstellung solcher Hinrichtungsmethoden zugesichert. "Steinigungen sind besonders grausam", sagt Ruth Jüttner, Sprecherin von ai. Der Tod solle hierbei absichtlich langsam und qualvoll eintreten. Häufig wird sie an Ehebrecherinnen exekutiert. Die iranische Regierung wurde von ai aufgefordert, die Steinigungen von Verurteilten zu beenden und grundsätzlich auf die Abschaffung der Todesstrafe hinzuarbeiten. 2008 wurden bereits 21 Menschen im Iran gehängt.

Wie in jedem totalitären Staat gehört auch in der Islamischen Republik Iran die Zensur zum unzertrennlichem Bestandteil des herrschenden Systems. Mit dem Unterschied, dass hier der Staat bestrebt ist, das Leben der Menschen - wie Ajatollah Chomeini einmal sagte - von vor der Geburt bis nach dem Tod unter Kontrolle zu halten. Nach der Machtübernahme 1979 hatten sich die Islamisten zum Ziel gesetzt, die gesamte Gesellschaft, sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich, zu islamisieren. Das war kein leichtes Unterfangen. Denn unter dem Schah gab es zwar auch eine staatliche Zensur. Sie diente jedoch vorwiegend der politischen Gleichschaltung der Meinungsäußerung. Somit gab es für Menschen, die sich dem Regime gegenüber loyal verhielten, kaum Einschränkungen. Zudem hatte Revolutionsführer Chomeini in seinem Pariser Exil gerade noch die politische Zensur des Schah-Regimes scharf kritisiert und dem Volk versprochen, nach dem Sturz der Diktatur würde es keine staatliche Zensur geben, er werde die Freiheit der Presse und Meinungsäußerung garantieren.

Islamische Medizin?

Vor diesem Hintergrund war es nicht leicht, der Nation, die sich noch in revolutionärer Euphorie befand und gerade eine Diktatur gestürzt und die Freiheit errungen hatte, Zügel anzulegen. Den ersten schüchternen Versuch unternahm der heimgekehrte Revolutionsführer 1979 höchstpersönlich. Eines Tages erklärte er im staatlichen Fernsehen, er werde die Tageszeitung Ayandegan - damals die größte liberale Zeitung des Landes - nicht mehr lesen. Die Redaktion wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Ignorieren konnte sie die Äußerung nicht. Kapitulieren und das Erscheinen einstellen wollte sie auch nicht. In Reaktion auf Chomeinis Fernsehrede erschien die Zeitung mit vier leeren Seiten, auf denen nur der Kopf der Zeitung gedruckt war. Die Leser begriffen, worum es ging. Die Zeitung erlebte an diesem Tag ihre größte Auflage.

Für die Machthaber bedeutete dies, dass sie härtere Mittel einsetzen müssten. Der neue Staatsapparat war längst nicht so weit etabliert, um kritische Stimmen durch den Einsatz von Ordnungskräften zum Schweigen zu bringen. Es gab aber den Mob, der auf einen Wink von oben sich im Namen des Volkes und Gottes in Bewegung setzte und gleich mehrere Zeitungs- und Verlagshäuser in Brand steckte. Eine Massendemonstration gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit im Sommer 1979, an der rund eine Million Menschen teilnahmen, beeindruckte die neuen Machthaber nicht. Sie bastelten an ihrem Gottesstaat und an einem "Ministerium für islamische Führung". Dieses Ministerium übernahm die schier unmögliche Aufgabe, die gesamte Gesellschaft zu islamisieren. In diesem Rahmen wurde auch die Zensurbehörde eingerichtet.

Wie absurd und zugleich schwierig diese Aufgabe war, zeigte sich am Beispiel der Universitäten. Zunächst erhielten alle Lehrkräfte ein Rundschreiben, in dem sie aufgefordert wurden, ihren Lehrplan zu islamisieren. Die Professoren rätselten, was damit gemeint sein könnte. Wie sollten etwa naturwissenschaftliche Fächer, Medizin, Geschichte, Literatur oder auch Fremdsprachen islamisiert werden? Selbst das Ministerium hatte kein Konzept. Es brauchte mehr als zwei Jahre, um halbwegs realisierbare Richtlinien auszuarbeiten. Während dieser Zeit blieben sämtliche Universitäten des Landes geschlossen. Ohnehin wurden junge Männer und Frauen eher an der Front im Krieg gegen den Nachbarstaat Irak gebraucht als an den Stätten für Bildung und Forschung.

Der achtjährige Krieg lieferte dem Staat der Islamisten in den Achtzigerjahren die Handhabe, dem Volk immer mehr Einschränkungen aufzuerlegen. Politische Widersacher wurden zu Zehntausenden hingerichtet, Frauen zu islamischer Kleidung gezwungen, Schul- und Lehrbücher neu geschrieben. Es gab keinen Bereich, in den sich der Staat nicht einmischte. Ständige unangemeldete Hausdurchsuchungen führten dazu, dass niemand sich mehr - auch im Privatleben - vor staatlichen Eingriffen sicher fühlen konnte.

Ein wichtiger Teil der Islamisierung bestand darin, die islamische Gemeinschaft vor "verderblichen Einflüssen von außen", insbesondere westlicher Dekadenz, zu schützen. Aber wie lange würde sich ein Land wie der Iran, eine bislang offene und traditionsreiche Gesellschaft, einkapseln lassen? Wie die Geschichte zeigt, nicht sehr lange. Als der Krieg 1988 zu Ende war und wenige Monate später Chomeini starb, öffneten sich allmählich die Pforten. Mit der Regierungsübernahme der Reformer unter Mohammad Chatami begann sich dann das Blatt zu wenden, nicht radikal, auch nicht grundsätzlich, aber atmosphärisch ließ sich die Ära Chatami (1997-2005) mit den Jahren davor nicht vergleichen. Die Presse erlebte eine neue Blüte, die Verbote lockerten sich, die Zivilgesellschaft begann sich rasch zu entwickeln. Zwar versuchten die Radikalislamisten durch Mordanschläge den Prozess aufzuhalten, die Justiz, die dem Revolutionsführer Ali Chamenei unterstand, ließ über hundert Zeitungen und Zeitschriften verbieten und zahlreiche Journalisten einkerkern, aber gleichzeitig öffnete sich das Land immer weiter nach innen und nach außen. Die neuen Kommunikationstechniken leisteten dem Prozess Vorschub. Obwohl offiziell verboten, besorgten sich Millionen Familien Parabolantennen, die ihnen den Zugang zu Fernsehprogrammen in aller Welt ermöglichten. Das Internet machte praktisch die Zensur der Informationen und Nachrichten unmöglich. 1999 existierten allein in der Hauptstadt Teheran etwa 4.000 Internet-Cafés. Im letzten Jahr der Chatami-Regierung, 2005, nahmen Iraner mit mehr als 100.000 Websites an der Blogszene teil. Unter den Bloggern gehörte Persisch zu den am häufigsten benutzten Sprachen, häufiger als Deutsch, Chinesisch, Russisch oder Spanisch. Es gab rund 8 Millionen Nutzer des Internets.

Rafsandschani ohne Buch

Seit dem Regierungswechsel im Sommer 2005 und der Machtübernahme der Radikal-Islamisten unter Mahmud Ahmadinedschad wird versucht, diesen Liberalisierungsprozess, der eine Bedrohung für die Existenz des islamischen Gottesstaates darstellt, rückgängig zu machen. Seitdem gibt es immer wieder Kampagnen zur strengeren Durchsetzung von Kleidungsvorschriften, es gibt häufiger Blitzaktionen zur Einsammlung von Parabolantennen, die allerdings am nächsten Tag von den Benutzern neu installiert werden. Dank der Technikentwicklung in den USA konnte die Regierung in Teheran in den Besitz von Geräten gelangen, mit denen kritische Internetzeitungen gefiltert werden. Selbst die stark rechtsorientierte Internetzeitung Baztab blieb von der Zensur nicht verschont. Letzten Dezember wurden 24 Internet-Cafés in Teheran geschlossen und 23 Betreiber festgenommen.

Weit rigoroser als bisher ist die Buchzensur. Tausende Manuskripte liegen in der Zensurbehörde. Es gibt drei Phasen der Buchzensur. In der ersten Phase werden die Manuskripte eingereicht. Die Zensurbehörde kann ein Manuskript ohne Begründung ablehnen oder den Verleger bzw. Autor zur Streichung einiger Stellen auffordern. Erhält ein Verleger die Druckgenehmigung, heißt das immer noch nicht, dass das Buch erscheinen darf. Das gedruckte Buch muss dann noch einmal der Behörde vorgelegt werden. Ist die Genehmigung zur Veröffentlichung erteilt, kann das Buch immer noch verboten und eingesammelt werden. Die ganze Prozedur dauert gewöhnlich mehr als ein Jahr, manchmal mehrere Jahre. Tatsächlich sind seit der Machtübernahme der Islamisten zahlreiche genehmigte Bücher wieder eingesammelt worden. Selbst der siebte Band der Memoiren von Ex-Staatspräsident Haschemi Rafsadschani, der immer noch zu den mächtigsten Männern des Gottesstaates gehört, wurde wenige Wochen nach der Veröffentlichung 2007 eingesammelt. Begründet wurde die Maßnahme mit der Äußerung Rafsandschanis, er sei bereits zwei Jahre nach dem Sieg der Revolution mit Chomeini übereingekommen, die Parole "Tod den USA" einzustellen! Welchen Schaden die Verzögerungen und Verbote anrichten, ist nicht hoch genug einzuschätzen, nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch. Bücher, die zu aktuellen Themen konzipiert sind, haben kaum eine Chance. Verlage, deren Bücher über längere Zeit liegen bleiben, müssen schließen und Autoren müssen das Schreiben aufgeben.

In der iranischen Medienlandschaft sieht es ziemlich öde aus. Private Fernseh- und Rundfunksender existieren nicht. Sämtliche liberale Zeitungen sind, bis auf wenige, die sich selbst zensierend leise Kritik üben, verboten. Der Druck auf Journalisten ist enorm. Viele üben Selbstzensur, um ihren Job nicht zu verlieren. Der iranische Film, der noch vor Jahren auch international ein relativ hohes Ansehen erlangt hatte, befindet sich zurzeit mehr oder weniger in einer Phase der Stagnation. Manche Filme, die die Genehmigung zur Vorführung im Ausland erhalten, sind im Inland nicht zugelassen. Importierte Filme werden gelegentlich bis zur völligen Sinnentstellung manipuliert.

An den Universitäten wurden zuletzt wieder über hundert Professoren als säkular eingestuft und in den Ruhestand geschickt. Zahlreiche studentische Aktivisten sitzen seit den letzten Monaten in Untersuchungshaft. Dennoch ist erstaunlich, wie die iranische Zivilgesellschaft sich trotz verschärfter Repressionen nicht kleinkriegen lässt. Mitte Dezember erklärte ein Sprecher bei einer Protestkundgebung vor rund 2.000 Studenten: "Heute zeigt sich der Faschismus im Gewand der Religion. Wir spüren die Stiefel auf unserer Kehle. Aber die Herrschenden täuschen sich. Es wird ihnen nicht gelingen, unseren Widerstand zu brechen."

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