"Das kalte Herz" - mit Witz und Bitterkeit: Party im Glasschrank

Wenn der Punk Regie führt: Schorsch Kamerun kombiniert frei nach Wilhelm Hauffs "Das kalte Herz" Glücksforschung und Kapitalismuskritik.

Uraufführung von "Das kalte Herz" in Hannover Bild: dpa

Peter Munk 2008, er hätte es besser wissen können. Er ist ja so, wie ihn Schorsch Kamerun auf die Bühne des schauspielhannover schickt, ein Urur()enkel jenes Märchenhelden Peter Munk, den Wilhelm Hauff vor 180 Jahren in der Geschichte "Das kalte Herz" an seinen eigenen Träumen scheitern ließ. Alles hatte jener arme Köhlersohn mit der Hilfe von guten und bösen Schwarzwaldgeistern erreicht: der beste Tänzer zu werden, von den Mädchen bewundert, der reichste Mann zu sein und das schönste Haus zu haben, und konnte doch nichts davon genießen, weil er sein fühlendes Herz dafür gab.

Peter Munk 2008 ist klüger als sein Urahn und macht doch die gleichen Fehler. Er hat die Berichte der Glücksforscher gelesen und weiß, dass Geld nicht glücklich macht. Mangel an Gefühl und Erlebnisdichte ist sein und das Defizit seiner Zeit: "Alles ist vorhanden, aber ich komme nicht näher heran", klagt dieser hübsche junge Mann, von der Schauspielerin Mila Dargies mit so viel androgyner Anmut ausgestattet, dass man ihm viele Fehler verzeiht. Und also begibt er sich in einer Art Selbstversuch noch einmal in das Märchen, in dem ein Glasmännchen und ein Holländermichel Wünsche erfüllen können.

Sexyness, Eloquenz und einen Tanzstil, der ihn immer in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit katapultiert, wünscht sich Munk von einem Glasmännchen, das noch immer so griesgrämig unwirsch wie beim romantischen Aufklärer Hauff auf diese Wünsche nach mehr Sozialprestige reagiert und Peter trotzdem ein Optimierungsteam an die Seite stellt. Die kleine Bühne im Ballhof 1 erweist sich in den nächsten knapp eineinviertel Stunden tatsächlich als ein Ort der Theatermagie.

Wo eben noch über einen dünnen Gazevorhang schwarzweiße Bilder schwebten, die Momente des Märchens in Stummfilmästhetik aufriefen, treten jetzt Figuren auf, die mit den Stilmitteln fantastischer Übertreibung die Fetische der Gegenwart karikieren.

Da kommt der Halbwissenpapst, der mit der Arroganz eines Showmoderators alles Licht auf sich lenkt und Peter in Rhetorik unterrichten will, allein seine Tricks erweisen sich als hochtrabendes Gefasel.

Der Tanzbodenkönig tritt auf als ein rosafarbener singender Tanzbär, dessen Körper in einem viel zu großen Kostüm versinkt. "Ich tanze keine Beats, ich tanze gefühlte Widersprüche", raunzt er Peter an, der bestaunt, wie man Unverschämtheit und Kaputtheit des Privaten in verkaufbare Werte ummünzen kann. Und hinkend illustriert der Tanzbär, wie der Mythos des Subversiven, den zu erfüllen die Kunst von ihm verlangt, ein Monstrum aus ihm gemacht hat. "Von der Gosse", er bückt sich, "zu den Sternen", er streckt sich und humpelt weiter zum nächsten "gefühlten Widerspruch".

Es steckt sehr viel Witz, aber auch einiges an Bitterkeit über die Erfahrungen im Geschäft mit popkulturellen Images in den Texten, die Schorsch Kamerun, der ja nicht nur Regisseur, sondern eben auch Musiker mit einer inzwischen zwei Jahrzehnte währenden Geschichte ist, für die Figuren des Optimierungsteams geschrieben hat. Die Sprache, in der dies passiert, hüpft zwischen verschiedenen Ebenen auf und ab, wechselt die Kodes und den Habitus, ist mal akademisch hochtrabend und theoriefixiert, dann wieder kalauernd und genau den Gestus des Besserwissens karikierend. In diesem Mäandern zwischen den Welten spiegelt sie eine tiefe Verunsicherung über die soziale Zugehörigkeit. Von diesem Problem wird auch Peter Munk infiziert: Nun hat er sich vom Halbwissenpapst und vom Oberflächensprecher alles angeeignet, was den Aufsteiger auszeichnet, aber keiner hört ihm mehr zu.

"Das kalte Herz" ist nach "Der kleine Muck ganz unten", den Schorsch Kamerun an der Berliner Volksbühne inszenierte, das zweite Märchen nach Hauff, das er für eine Erzählung über die Gegenwart nutzt. Diesmal ist die Sache runder geraten, vielleicht weil er nicht ganz so viele globale Perspektiven und universelle Fragen hineingepackt hat. Es gibt zwar auch in "Das kalte Herz" theoretische Exkurse (etwa über Humankapital), bei denen man bald den Faden verlieren kann, weil die Worte eben nur noch sehr vage an die Bilder, Figuren und Situationen auf der Bühne andocken und ins abstrakt Dozierende tendieren.

Manchmal scheint es, als wäre Schorsch Kamerun tatsächlich von einem pädagogischen Eros getrieben, den er aber zugleich beschämt verstecken möchte und darum in Persiflagen verbirgt. Die meisten seiner auf die Gegenwart bezogenen Figuren aber verbinden sich wieder mit dem Stoff des Märchens, das deshalb die Konstruktion bis ans Ende trägt.

Das Bühnenbild (Constanze Kümmel) und die Theatermusik (Carsten Meyer) tragen viel dazu bei, die Elemente der Collage aus Märchen und Revue zu verbinden. Ein gläserner Bauernschrank ist nicht nur der Ort, wo das Glasmännchen (Matthias Neukirch) wieder zum Leben erwacht und die Menschen 2008 noch von den gleichen Widersprüchen gequält sieht wie zuvor. Sondern hinter seinen Milchglasscheiben steigt auch die Party, deren Mittelpunkt Peter sein will: Das, was er sich als den Höhepunkt des Leben denkt, wirkt so gleichzeitig weggeschlossen und eingefroren.

Nicht nur in diesem Bild, sondern überhaupt bekommt das Gleiten zwischen den historischen Horizonten und das Ermessen des Abstands, der zwischen dem romantischen Märchen und seiner noch sehr moralisierenden Form der Kapitalismuskritik und der Gegenwart liegt, der Inszenierung gut.

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Geboren 1957 in Köln. Seit Mitte der 80er Jahre Autorin für die taz (über bildende Kunst, Tanz, Theater, Film), seit 2003 Redakteurin.

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