Musik für hungrige Pferde

Das schönste Chamäleon Berlins? Der Club Transmediale! Hier wird Wagner durchs digitale Mischpult gezwängt, schaut man Cowboyturniere und demonstriert Könnerschaft, bis die Ohren klingen

Heute: Christian Marclay & Flo Kaufmann experimentieren mit leeren Schallplatten und einer Vinylschneidemaschine Mittwoch: Im Zeiss-Planetarium präsentiert Klimek sein neues Album, während russische Medienkünstler die Oberflächen von Seifenblasen an die Decke screenen und dann der Mexikaner Murcof sein grandioses, im eigentlichsten Sinn kosmisches Werk „Cosmos“ vorträgt. In der Maria findet mit Abominations, Utarm und Wolves in The Throne Room der berühmt-berüchtigte Metal-Derivat-Abend des CTM statt Donnerstag: Sphärisch Schönes in der Maria mit Islaja, Efterklang, Machinefabriek, Jan Jelinek, Andrew Pekler und Hanno Leichtmann Freitag: Herrlicher House mit Larry Heard und Efdemin sowie neue Vorstöße in Sachen Dub Techno mit Moritz von Oswald & Crew Samstag: Spagate zwischen Clubmusik und Experimentierfreude mit Mouse on Mars, Joakim, Vitalic, Andrea Sartori und DJ Phon.O Mehr Programm und Infos unter www.clubtransmediale.de

VON KIRSTEN RIESSELMANN

Der Club Transmediale hat begonnen. Und damit die Berliner Hauptsaison für supidupi grenzüberschreitende Musiken sowie ihre meist ebenso begeisternde wie kraftzehrende Rezeption. Zum neunten Mal bereits haben die Macher des traditionell besten Festivals der Stadt die Finanzierungshürden genommen, dutzendweise Anträge gestellt an öffentliche Töpfe, Stiftungen, Unternehmen und Botschaften und so ihr Budget zusammengekratzt. Ein knappes Siebtel steuert die Transmediale bei, das verschwesterte Medienkunstfestival, das morgen im Haus der Kulturen der Welt beginnt. Eine regelmäßige Förderung aber ist für Jan Rohlf, Oliver Baurhenn und Remco Schuurbiers trotz 12.500 Besuchern pro CTM-Ausgabe nicht in Sicht. Zu chamäleonhaft ist das Profil des Festivals, zu poppig für die Förderinstrumente der seriösen Neue-Musik-Nische, zu kunstvoll für Sponsoren, die an vermassten Jugendkulturevents interessiert sind.

Gut also, dass sich die Organisatoren Jahr um Jahr von diesem kulturpolitischen Trauerspiel nicht schrecken lassen und immer wieder „diesen Graubereich, diese brodelnde Zone zwischen E und U“ (Rohlf) durchkämmen und nach Berlin einladen. Den Anfang machte am Freitag in der Volksbühne der 81-jährige Pierre Henry, Musique-Concrète-Pionier und gleichzeitig Space-Trash-Komponist. Der weißbärtige Franzose dirigierte von seinem digitalen Mischpult inmitten der Zuschauerränge aus die Klänge auf die Boxen, die als einzige Konzertprotagonisten auf der Bühne standen und expressionistische Schatten warfen. War das Stück „Dracula“ als gewitztes Kondensat des Wagner’schen Rings eine große Überraschungsfreude, kam die Deutschland-Uraufführung von „Pulsations“ (2007) zu voll gepackt daher: Henry wollte wohl den Beweis für seine trotz Alter uneingeschränkte Wahrnehmungsfähigkeit erbringen. So hörte man über eineinviertel Stunden lang Industriegeräusche, Tierstimmen, Orgasmen, Gabba-Rhythmen, marschierende Heere und mexikanische Mariachis – in einer Vielfraßmusik, die leider nicht viel mehr war als eine im besten Fall gefällige Gimmickmontage.

Hernach wechselte man in die Maria am Ostbahnhof – und wartete auf den Anschluss in Form der 24-jährigen Londoner Screem Queen und letztjährigen MySpace-Entdeckung Ebony Bones. Die schlenkerte kurz die riesigen Glieder ihrer grünen Plüschkette und raste dann durch ihr fashionables Speed-Ska-Disco-Set. Derart ohne Aufwärmphase dem Hochdruckpartylärm und der manifesten Rampensauhaftigkeit der schönen Frau Bones ausgeliefert, reagierten viele im Publikum einigermaßen überfordert und schauten schnell im Nebenraum beim !wowow!-Kollektiv vorbei.

Angekündigt als aktionistisches Instant-Happening, enttäuschten aber auch die 66 angereisten sehr jugendlichen Londoner Szenemäuschen: Sie hüpften zu den Hits der Ewiggestrigen herum („My Sharona“), trugen selbst gebastelte Pappdiademe auf dem Kopf und verspritzten – so geht wohl New Rave – Bier auf dem Fußboden. Die da da an müde Stimmung wurde nicht mehr gerettet, als um halb vier die notdürftig wiederbelebten Detroit Grand Pubahs anfingen, Video-Loops von stark bewegten weiblichen Hinterbacken an die Wand zu werfen und dazu, gekleidet in Windeln und Camouflage-Jacken, ramschigen Haudrauf-Techno zu spielen.

Am Samstag dann saß man, beflissen zu früh gekommen, erst lange in den im Frontalcrash verkeilten hölzernen Geländewagen der Künstler Köbberling/Kaltwasser im Loungeraum herum (was sehr empfehlenswert ist) und bekam zwischen ein und fünf Uhr nachts Folgendes geboten: Zu sehr aufschlussreichen – und im Übrigen auch dem Tod von Heath Ledger sehr angemessenen – Dokumentarfilmen über Cowboyturniere (Wie schnell fesselst du ein Kalb? Wie bürstest du deine beste Milchkuh?) hörte man, wie Multisynchroninstrumentalist Konrad Wilde aka Kraftpost in eine Waschmitteltrommel jauchzte und wie der Schweizer Reverend Beatman ganz herrlichen Kehlkopfgesang mit weggeschreddeltem Hillbilly kreuzte.

Der einstige David-Bowie-Inspirator, The Legendary Stardust Cowboy, erschien schließlich als 60-jähriger Texaner mit Hörgerät, stieß wachsgesichtig ein paar kieksende Yeeeha-Jodler aus und stampfte mit seinen sporenbesetzten Stiefeln auf. Das gab viele Respektpunkte für authentische Crazyness.

Die Headliner des Abends, Chrome Hoof aus Großbritannien, kamen dagegen trotz größerer handwerklicher Kompetenz nicht an. Zu zehnt standen sie in silbrig schimmernden Kapuzenmänteln auf der Bühne und mühten sich mit Geigen und Fagotten redlich an ihrer Alles-und-nichts-Musik zwischen Funk, Postpunk, Durchdreh-Disco, Soul, Grunzmetal und Chumbawamba-Seligkeit. Freude kam da nur sehr punktuell auf, zurück blieb ein diffuses Ohrenklingeln und ein kleines Erschrecken ob des Ergebnisses eingebildeter Alleskönnerschaft.

Der Club Transmediale kann’s noch besser. Die nächsten sechs Tage werden es beweisen.