Medienkunstfestival Transmediale: Müllkunst aus Ramallah

Kunstwerke aus Abfall: Künstler aus Palästina und Deutschland haben die Müllhalden im Westjordanland und Gaza untersucht.

Das ist echter Müll: Ministerpräsident Haniya am "Tag des Aufräumens" in Gaza. Bild: dpa

In der Mitte des kleinen Kuppelsaals im Zentrum der etwa 60.000 EinwohnerInnen zählenden Stadt Ramallah hängt ein Mann kopfüber von der Decke herab. Doch es gibt keinen Grund, sich zu ängstigen. Der Mann ist aus Müll, nicht aus Fleisch und Blut, und das Gebäude dient schon seit Jahren nicht mehr als Gerichtsgebäude, sondern als Kulturzentrum. Trotzdem erzählen der Müllmann und die anderen Exponate der Ausstellung "trans4m orchestra", von der schwierigen Situation der Menschen in den palästinensischen Autonomiegebieten. Im Zentrum des künstlerischen Projekts, das vom Goethe-Institut in Ramallah und der deutschen Künstlergruppe blackhole factory initiiert wurde, steht nichts anderes als Müll.

Wer einmal diese Region besucht hat, wundert sich über die Auswahl des Ausgangsmaterials nicht. Denn würde einem nicht ohnehin an jedem der unzähligen Checkpoints auf der Reise nach und durch die palästinensischen Gebiete deutlich werden, dass man durch ein Land im Ausnahmezustand reist, allein der Müll, der sich gleich hinter der Mauer, die Palästina von Israel teilt, zu stapeln beginnt, berichtet von schwer nachvollziehbaren Verhältnissen. Immer wieder lodern Feuer am Straßenrand. Es sind nicht die Spuren militärischer Konflikte, hier geht lediglich achtlos Weggeworfenes in meist giftigem Rauch auf. Zwar gibt es einen Erlass der palästinensischen Autonomiebehörde, dass die Gemeinden für die Entsorgung des Abfalls zuständig sind. Doch die Stabilisierung der Entsorgungsstrukturen läuft erst an und muss noch in das Bewusstsein der Bevölkerung gebracht werden.

Dies ist auch der Ansatz, den die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit des Auswärtigen Amtes, die GTZ, bei der Unterstützung von "trans4m orchestra" verfolgt. Deshalb ist es für die GTZ so interessant, dass die palästinensischen TeilnehmerInnen des Kunstprojekts aus besserverdienenden Familien kommen und wichtige Multiplikatoren sind. Die privilegierten Kinder berichten nun in ihren Schulen begeistert von ihren Ausflügen zu den Müllkippen und wollen ihre Bekanntenkreise für das Problem sensibilisieren. Trotzdem stellt Markus Lücke, Leiter des Programms für Abfallberatung der GTZ in den palästinensischen Gebieten, fest, dass nur Strafen die Menschen dazu bringen, den Müll nicht doch auf die nächste Freifläche zu werfen. "Das funktioniert in den palästinensischen Gebieten nicht anders als in Deutschland", fügt er hinzu.

Mit dem Wohlstand hinkt auch das Bewusstsein noch deutlich hinterher. Immerhin hatten einige Bürgermeister die Idee, Bauanträge erst dann offiziell zu genehmigen, wenn die Müllsteuer vom Antragsteller rückwirkend entrichtet wurde. Das ist immerhin ein Anfang in einem Staat, der keiner ist und bei dem niemand weiß, wie und mit welcher Regierung es zukünftig weitergeht.

Etwa 20 Interessierte hatten sich zu Beginn des Workshops zu einer ersten Vorbesprechung mit Elke Utermöhlen, Martin Slawig und Martin Kroll, den drei KünstlerInnen der blackhole factory, eingefunden. Doch die Aussicht, in den kommenden Tagen Müllhalden in Nablus, Hebron und Ramallah nach wiederverwertbaren Dingen abzusuchen und Interviews mit den Menschen zu führen, die auf den Kippen arbeiten, schreckte gut die Hälfte wieder ab. Die anderen, wie etwa der 17-jährige Schüler Imam al-Hasny oder der Grafiker und Fotograf Majdi Hadid, Sohn einer christlichen Familie aus Ramallah, erzählen von ihren Erlebnissen.

Die Ausflüge auf die Müllhalden waren nicht gerade angenehm. Der Gestank beißt noch Tage später in den Nasen. Der Kontakt zu den Ärmsten hat sie darin bestärkt, Vorurteile zu überwinden. Die "Müllmenschen", überwiegend Kinder und Jugendliche, traten ihnen zunächst keineswegs freundlich entgegen, sahen sie die BesucherInnen doch als Konkurrenz etwa um das rare, wiederverwertbare Metall.

Wem es möglich ist, die palästinensischen Gebiete zu verlassen, tut es. Junge Menschen aus christlichen Familien haben gute Chancen, Stipendien im Westen zu bekommen. Andere gehen zum Studieren und Arbeiten in arabische Länder wie Jordanien oder Ägypten. Allerdings ziehen wiederum junge Palästinenser aus Israel ins Westjordanland, um sich hier zu engagieren.

Die Journalistin und Autorin Diana Mardi lebt seit zwei Jahren in Ramallah, weil es ihrem Mann, der in den palästinensischen Gebieten geboren wurde, verboten ist, nach Israel zu reisen. Sie ist immer noch erregt, wenn sie ihr Werk aus gefundenen Materialien von der Müllkippe in Hebron erklärt. Den Ausflug hat sie maßgeblich mitorganisiert.

Die aneinandergereihten gelben Mappen, auf die sie eine Straße mit Checkpoints gezeichnet hat, sind die Umschläge für medizinische Unterlagen, die PalästinenserInnen erhalten, wenn sie zur Behandlung in Spezialkliniken nach Israel überführt werden müssen. Denn selbst in Ramallah, der wohl reichsten Stadt in den palästinensischen Gebieten, ist die medizinische Versorgung nicht ausreichend. Ein Stethoskop und andere Utensilien, die Diana gleich in der Nähe auf einer der Müllhalden fand, lassen vermuten, dass ein Krankenhaus oder eine Arztpraxis die Unterlagen achtlos wegschmissen hat. Und noch etwas anderes lässt sich von Dianas Installation ablesen: Kaputte Schuhe stapeln sich an den Checkpoints. Immer wieder passiert es, dass Patienten oder ihre Begleitungen bei den Kontrollen nicht durchgelassen werden oder die Wartezeit zu lang für sie wird. Dann sterben sie nur wenige Kilometer von den Spezialisten in Jerusalem oder Tel Aviv entfernt.

In Gaza ist die Katastrophe noch weiter fortgeschritten. Seit dem Putsch der Hamas im Sommer 2007 halten die israelischen Militärs die Grenzen nahezu dicht. Seit ein paar Wochen ist jeder Grenzverkehr unterbunden. Doch schon vor dieser totalen Blockade bekam die GTZ kein Baumaterial mehr über die Grenze. Im nächsten Jahr drohen die drei Müllkippen in Gaza überzulaufen. Ohnehin ist nur eine davon so weit abgedichtet, dass das Grundwasser nicht von schädlichen Stoffen belastet wird. Bei einer Bevölkerungsdichte, die etwa der von Berlin entspricht, mag man sich das Szenario nicht wirklich ausmalen: Der Müll bleibt in den Straßen liegen, das Wasser wird vergiftet, die Hygiene verschlechtert sich, Ratten und andere Krankheitsüberträger gewinnen die Oberhand. Ob der Bau einer neuen Halde bis 2008 sichergestellt werden kann, steht noch nicht fest. Niemand weiß, wie - und vor allem - wann es weitergeht.

Auch die vier KünstlerInnen aus Gaza, die an der Ausstellung teilnehmen, haben keine Chance, bei der Eröffnung anwesend zu sein. Ihre Werke, Fotografien und Videos, kamen mit der Diplomatenpost nach Ramallah und werden im Westjordanland in einem separaten Raum gezeigt. Auf Fotografien sind menschenleere Strände zu sehen mit rostenden Schiffswracks. Vorbesprechungen waren nur telefonisch möglich, da auch die deutschen KünstlerInnen trotz der guten Verbindungen der GTZ und des Goethe-Instituts an der Grenze abgewiesen wurden. Als Grund wurden fehlende Geburtsdaten in den Anträgen angegeben. Und ohne "Permission", ohne Sondergenehmigung geht nichts - weder rein noch raus. So stehen Elke Utermöhlen von der blackhole factory bei der Eröffnung der Ausstellung in Ramallah die Tränen in den Augen, als sie am Telefon mit Maha al-Daya, Mohammad Harb, Mohammad Musallam und Sharif Sarhan spricht. "Hoffentlich wird es bald möglich sein, euch zu treffen", sagt sie mit belegter Stimme.

Und während der Leiter des Vertretungsbüros der Bundesrepublik Deutschland - der sich nicht Botschafter nennen darf, weil er keiner ist, so wie Palästina kein Staat ist -, Jörg Ranau, betont, dass "Kunst die Normalität" darstelle, spricht der vierte oder fünfte palästinensische Kulturminister dieses Jahres - niemand kann sich an die genaue Zahl seiner Vorgänger erinnern - Ibrahim Ebrash von der "Kunst als Widerstand". Und irgendwie sagen beide dasselbe. Mit Hilfe einer interaktiven Projektion können die BesucherInnen der Ausstellung diesen Alltag, der gleichzeitig Ausnahmezustand ist, auf einer aus Googlemaps zusammengestückelten Karte nachvollziehen. So konstruiert die Übersicht aus Satellitenaufnahmen wirkt, so konstruiert erscheint auch die Aufteilung des Landes in die Zonen A (unter palästinensischer Regierung), B (unter israelischer Regierung) und C (ungeklärter Zustand). Zugleich erinnert das Bild an die israelischen Aufklärungsdrohnen, die in den Nächten über Ramallah fliegen sollen. Mit einem Mausklick auf rote Markierungspunkte können Bilder und Filme mit Interviews oder Klängen abgerufen werden. Etwa vierzig Meter tiefe Höhlen, gleich einer Science-Fiction-Kulisse, haben die Arbeiter in eine der Kippen gegraben, um Metall zu finden. In einem anderen Film fragt ein Junge: "Du willst eine Cola? Moment!" Er geht zu einem Lkw, der gerade entladen wird, wühlt ein wenig und hält eine Dose in die Kamera. Und auch das ist Alltag: Fareed Majari, Direktor des Goethe-Instituts Ramallah, probiert immer wieder, seine Projekte in Gaza zu zeigen. War es bereits in der Vergangenheit nahezu unmöglich, Werke nach Gaza zu bringen, ist die Situation inzwischen vollkommen aussichtslos: Der Bürgermeister von Gaza wurde entmachtet, und die Galerien unterstehen seitdem der Hamas.

"trans4m orchestra" ist vom 30. Januar bis 3. Februar auf dem Medienkunstfestival transmediale in Berlin zu Gast

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