Wiener Aufführung von "Motortown": White Trash

Regisseurin Andrea Breth, eigentlich Klassikerspezialistin, inszeniert am Akademietheater in Wien ein junges, zorniges britisches Kriegsheimkehrerstück.

Helen (Andrea Clausen) saugt vehement an Dannys (Nicholas Ofczarek) Daumen. Bild: ap

In Dagenham stehen die Menschen still, wie sies von der Industrie gelernt haben. Hier ist alles zum Erliegen gekommen; nicht mal die Autoindustrie ist mehr mobil: Das Ford-Werk des Londoner Vororts hat dichtgemacht, entgegen allen Versprechungen. So ist die Wirtschaft, das ist der Markt: hart, aber ungerecht. Die Stagnation hat jeden hier erfasst. Die Prototypen, die Autor Simon Stephens in seinem 2006 uraufgeführten Stück "Motortown" beschreibt, kreisen verzweifelt um sich selbst, forschen ergebnislos nach irgendwelchen Lücken im System, die ihnen den Ausbruch, die Flucht vor dem existenziellen Aus doch noch ermöglichen könnten.

Jenen wütenden Stillstand, der in "Motortown" herrscht, fasst Regisseurin Andrea Breth in ihrer jüngsten Inszenierung in einfache, dennoch wirkungsvolle Bilder. Ihre Figuren, die in Stephens knappen Szenen in jeweils Zweier- oder Dreiergruppen herumstehen, treten nun im Wiener Akademietheater auf der Stelle und schlagen lustlos um sich, wie gegen die Gitterstäbe unsichtbarer Käfige, aus denen es so oder so kein Entrinnen gibt. So bleibt jeder für sich. Berührungen sind kaum zu bewerkstelligen, nur die Worte sind noch geblieben, die höhnischen, falschen und verletzenden Worte. Sie pfeifen einem um die Ohren wie Projektile, scharf gemacht vom Selbst- und Welthass einer vom Krieg nachhaltig beschädigten Gesellschaft.

Um den aus dem Irak ins elende Dagenham heimgekehrten Danny kreist die fragmentarische Erzählung des Dramas "Motortown". Danny war in Basra stationiert; Frieden findet er zu Hause nicht. In seiner ersten Szene liegt er am Boden, niedergestreckt zwischen Glassplittern, Autoreifen und einer Kiste Bier. Er wird zwar auf die Füße kommen, aber als Geschlagener, Besiegter durch den Rest des Stücks wandeln wie ein lebender Toter. Was er im Krieg genau erlebt hat, bleibt unklar, fest steht nur, dass er sich nicht zum Besseren verändert hat. Seiner Freundin, die sich von ihm längst abgewandt hat, macht er brüllend Vorhaltungen, seinen behinderten Bruder kann er nur ertragen, wenn er sich über ihn lustig macht. Er besorgt sich eine Waffe - und sucht nach einer Gelegenheit, sie an irgendeinem Körper zum Einsatz zu bringen.

Die Rückkehr Andrea Breths ans Burgtheater nach den Querelen um ihr geplantes, wegen Depression spät abgebrochenes Opus magnum, eine Neuinszenierung des integralen "Wallenstein", wurde in Wien mit gespannter Erwartung verfolgt. Als Regisseurin für "Motortown", jenes vieldeutigen, zornigen Stück, das Stephens 2005 an nur vier Tagen wie im Rausch verfasst hatte, gerade als die Bombenattentate auf die Londoner U-Bahn verübt wurden, schien die Klassikerspezialistin Breth, die grüblerische Textfeinmechanikerin, zudem alles andere als eine naheliegende Wahl.

Tatsächlich stehen Stephens packender Text und Breths sehr allgemeine Deutung in einem Missverhältnis. Sozialer Realismus ist ihre Sache nicht, aber für höhere Abstraktion fehlt ihr auch der Plan. So bleibt ihr wieder nur der Rückzug in die Klassik: Breth bezieht "Motortown" auf ihre Interpretation der "Minna von Barnhelm", auf Lessings Komödie vom Soldatenglück des Kriegsteilnehmers Tellheim. Wo aber dieser in eine unversehrte Gesellschaft heimkehrt, sieht sich Danny aus Dagenham jäh einer Welt der Täter ausgesetzt.

Unaufgelöst zwischen leicht überhöhtem Deklamationstheater und fein kalibriertem Minimalismus, gerät Breths "Motortown"-Variation zur halben Sache: Der aus dem Kino geliehene Angst-Soundtrack, der jedem Blackout zwischen den Szenen die Andeutung eines Schockers verleiht, erweist sich wie die subtile Licht- und Farbdramaturgie im kahlen White-Trash-Raum (Bühne: Annette Murschetz) als passable Mittel zur Erhaltung narrativer Spannung und zur Betonung ästhetischer Raffinesse. Leider erschöpft sich die Plakativität der Aufführung darin nicht. Dannys gehandicapter Bruder (Markus Meyer) wird mit künstlichem Vorbiss zum Supernerd stilisiert, Wolfgang Michael legt seinen Schwarzhändler mit ausgeprägter Junkie-Attitüde an, und das Swinger-Bürgerpärchen, das Danny aufs Hotelzimmer bittet, ist mit allen Insignien neurotischen Sozialdünkels ausgestattet: Mit blonder Perücke und tief dekolletierter Bluse saugt Andrea Clausen vehement an Dannys Daumen, während Udo Samel sich nervös die Pfeife in die hohle Hand klopft.

Schließlich gehört auch Nicholas Ofczarek, einer der jungen Stars des Burgtheaters, zu den Problemen dieser Inszenierung. Er legt Danny zu spielfreudig an, er zappelt, tänzelt und posiert, tobt am Stand und spielt seine nuancierteren Kollegen mit Überdruck an (besser: gegen) die Wand. Die Irritation dieses eitlen Übertreibungsspiels mag beabsichtigt sein, dem Verständnis der Figur hilft sie nicht. Stephens hat seinen Protagonisten gerade nicht als Soziopathen verstanden, sondern als banalen Vertreter eines nervlich und moralisch demolierten Proletariats.

Im zweiten Teil des Abends löst sich die Inszenierung ein wenig aus der selbstverordneten Starre. Erst mit dem Einbruch physischer Gewalt, mit der recht explizit inszenierten Folterung und Ermordung einer Minderjährigen, scheinen sich die Figuren den Raum, der um sie ist, zurückerobern zu können. Das immerhin ist eine ebenso mutige wie deprimierende Idee.

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