Münchner Theaterfestival zu Flüchtlingspolitik: Mir san Murat

In München sendet ein Festival Signale und lässt für einige Nächte ein aufgeschlossenes München entstehen - und ringt dem Innenministerium eine Reaktion ab.

850 Flüchtlinge wollten die Münchner Kammerspiele der bayerischen Landeshauptstadt "schenken", zum 850. Stadtjubiläum. Auf grellbunten Flyern verbreiten sie den plakativen Schlachtruf ihrer Kampagne: "Eine Stadt sagt Ja!" Doch daraus wird nichts. Das bayerische Innenministerium erklärte der taz, dass der Jubilar dieses Päckchen nicht zu öffnen gedenke: "Es besteht keine Notwendigkeit für eine zusätzliche Aufnahme aus fernen Gebieten, nur um ein Stadtjubiläum zu begehen", heißt es in der Stellungnahme.

"Doing Identity" nennt sich das sechswöchige Projekt, Bastard-Festival das Rahmenprogramm, für das die Münchner Theaterwelt gemeinsame Sache mit namhaften Flüchtlingsorganisationen und mit Attac macht. Hinterfragt wird unter anderem die Instrumentalisierung der "Marke" Murat Kurnaz, den der Münchner Regisseur Bülent Kullukcu in "Mir san Murat" singen lässt: "Ich bin Murat, ich hätt so gern ein neues Motorrad." Wie ein Gegenstand wird die Rolle dabei zwischen den Schauspielern hin- und hergeworfen, jeder "darf" mal Murat sein und zeigen, wie er die Situation denn gelöst hätte. Der eine verzweifelt. Der andere verfällt in traditionalistische Ritualhandlungen, die jedoch nicht mehr mit individuellem Sinn zu füllen sind. Der Dritte bemüht sich gleich, aus der Qual noch Kapital zu schlagen.

Regelungen erdenken und durchsetzen, das mag der Politik obliegen. Identitätsfindung bedeutet Emotionalisierung, Fragen stellen, und dies wird hier zur Sache eines Theaters gemacht. Und worin, fragt jenes nun, gründet sich etwa die Identität von Zuwanderern, die noch Monate nach ihrer Einreise in Baracken an der Prager Straße 46 untergebracht sind, wo sie zweimal wöchentlich Pakete mit Überschussprodukten aus deutschen Supermärkten bekommen - weil ihr Status noch zu bestimmen bleibt? Die Politik hat mit der Art der Unterbringung ihre Antwort längst gegeben.

Auch die dokumentarische Performance "Fluchten" von Christine Umpfenbach verbreitet echte, bittere Traurigkeit. Menschen treffen sich auf einer Bühne, deren Wege sich bereits im realen Leben hätten kreuzen können. Auf der einen Seite: eine junge Sachbearbeiterin, die täglich Flüchtlings-Dossiers verfasst, und ein Polizist, der nach illegalen Einwanderern fahndet. Auf der anderen: ein Nigerianer, ein Serbe, eine Ugurin, eine Iranerin, eine Bosnierin mit unterschiedlichem Aufenthalts-Status. Alle sitzen Seite an Seite in einer Stuhlreihe. An vier Abenden spielen sie ihre eigenen Geschichten und die der anderen, sprechen eigene Texte und fremde - zu den verschiedenen Segmenten, aus denen sich ihre Identität in Deutschland nun zusammensetzt: Arbeit. Wohnen. Liebe. Bayern. Mehr als einmal fließen Tränen. Auf der Bühne wie im Publikum.

Keines der Projekte möchte mehr wissen, ob der Münchner Bürgermeisterkandidat der CSU, momentan im Wahlkampf befindlich, tatsächlich mit Bildern einer Überwachungskamera aus einem U-Bahnhof werben sollte, auf denen der bekannteste Rentner der Republik von zwei Männern, von jungen, ausländischen Männern zusammengetreten wird. Diese Debatten hat es bereits genug gegeben. Bei "Doing Identity" vertrauen die Kammerspiele auf die Wucht von schnell aneinander geschnittenen Irritationsmomenten.

Wer nach der Stadtbegehung "Inside Landwehrstraße" von Karnik Gregorian zu Hause seine Taschen lehrt, findet darin zwei Koran-Suren, die türkische Übersetzung eines Goethe-Gedichtes, christliches Liedgut und ein gebrauchsfertiges Spritzbesteck. Zwischenzeitlich hat er dampfenden Tee geschlürft, wurde in mehrere Welten geführt, einen schnellen Moment lang in jede integriert: in ein Suchtberatungszentrum, in eine von vierzig Münchner Hinterhofmoscheen, in ein christliches Jugendzentrum und in das türkisch geführte "Hotel Goethe", in dessen Speisesaal das Attatürk-Porträt harmonisch neben dem Goethe-Bildnis hängt.

Entsprechend groß ist das Interesse, die Uraufführungen sind überfüllt. Noch vor dem als Quizz-Show inszenierten Kampagnenstart von "Eine Stadt sagt Ja!", noch bevor ein Moderator im schillernden Sakko "Der Laden ist dicht, Freunde" ins Publikum brüllt und Rettungsringe für richtige Antworten zur deutschen Flüchtlingspolitik verteilt, unterstützten schon 121 Menschen das Anliegen, darunter die österreichische Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Alle erklären sich auf einer Website bereit, gegebenenfalls einem einreisenden Flüchtling bei der Orientierung in Deutschland zu helfen.

Eine Aufnahme von 850 Flüchtlingen in München zu erreichen, das wird den Kammerspielen nicht gelingen. Das Signal dagegen ist geglückt. Denn so vorhersehbar der Inhalt des dürren Ministeriumsbulletins auch war, das neugierigen Reportern in dieser Frage mürrisch weitergereicht wurde - so auffallend bleibt doch, wie schnell es überhaupt vorlag. Und so schaffen die Kammerspiele mit "Doing Identity" tatsächlich das Kunststück, der Ängstlichkeit der jüngeren Vergangenheit ein funktionierendes Label zu verpassen: Das einer weit überzogenen Feigheit vor dem Fremden. Die aber längst nicht alle Bürger ohne Migrationshintergrund ergriffen hat. Nicht mal im gewaltarmen, wohlstandsverwöhnten Kokon unter den deutschen Großstädten. Einige wenige Nächte lang darf hier ein neues, ein unbefangen aufgeschlossenes München entstehen. Und siehe: Bayern ist ein Bastard.

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