zwischen den rillen
: Nichts für Schlaumeier

Im neuen F.S.K.-Album entfalten Zitat, Selbstzitat und Zitat früher verwendeter Zitate echte musikalische Dynamik

Binnenverweise, Binnenverweise, Binnenverweise. „Freiwillige Selbstkontrolle“ heißt das neue Album von F.S.K., F.S.K. aber heißt ebenfalls Freiwillige Selbstkontrolle. Die Namensgeberin wiederum sorgt dafür, dass Kinofilme hui und nicht pfui sind, vor allem aber sorgt die deutsche Filmindustrie via Selbstzensur („freiwillige“) für eine Ein- und Beschränkung des Subversiven im Mainstream und im Fernsehprogramm. Schon bevor die FSK über einen Film befindet, hat ihn der Verleiher primetimegerecht zurechtgemodelt. Denn freiwillige Selbstkontrolle ist das, was das Individuum, aber auch ein juristischer Körper im Kapitalismus leisten muss, allem geforderten Hedonismus zum Trotz.

Freiwillige Selbstkontrolle allerdings hieß auch die Band zu Beginn ihrer Karriere und Antikarriere, also vor nunmehr 27 Jahren. Erst später kürzelte man F.S.K. Kehrt die Band also zu ihren Anfängen zurück? Zumindest wurde die Platte in Hamburg aufgenommen, dort also, wo der Wahlmünchener Thomas Meinecke, der für die meisten Texte verantwortlich zeichnet, herkommt, dort, wo die ersten Platten auf Alfred Hilsbergs berühmten ZickZack-Label erschienen, dort, wo, vor dem Aufbruch in die weite Welt des Techno, die einzige Best Of, die DoCD-Compilation „Bei Alfred“ erschien. Und dort, wo nun erneut das Label ist, auf dem die Platte erscheint: es heißt Buback, auch dies ein traditionsreiches Haus.

Querverweise, Querverweise, Querverweise: Das Studio, in dem die Platte aufgenommen wurde, heißt Art Blakey Studio, nach dem berühmten Jazzschlagzeuger, die Aufnehmenden waren Mense Reents und Ted Gaier, also je eine neue und eine alte Goldene Zitrone, die beide wiederum, sagen wir es kulturwissenschaftsseminargerecht, für die Verarbeitung von Einflüssen von Jazz, Elektro und Gitarrenrock stehen, so wie es F.S.K. ja auch tun. Und die Goldenen Zitronen wiederum haben seinerzeit ein F.S.K.-Stück gecovert, „Munich“, beide Bands pflegen eine langjährige Freundschaft.

Außerdem arbeiten die F.S.K.-Musiker auch anderen und anverwandten Künsten zu, Thomas Meinecke ist als Schriftsteller und DJ tätig, Michaela Melián ist bildende Künstlerin und hat zwei sehr gute Soloplatten vorgelegt, Wilfried Petzi arbeitet als Fotograf, Justin Hoffmann wiederum ist Direktor des Kunstvereins Wolfsburg. Carl Oesterhelt, der erst 1990 als Drummer zur Band stieß, trommelt auch für das Tied & Tickle Trio und wandelt auf Solopfaden.

Und überdies, reden wir ruhig weiter über die Binnenverweise, kehrt die Band nach Ausflügen in die Blechmusikszene, in der sie das Spiel zwischen Authentisch und Unauthentisch untersuchte, und in die Dancewelt, nun wieder zum Song zurück. Allerdings hat die Band aus allen musikalischen Weltmeeren, die sie je durchschwommen hat, noch Tropfen auf der Haut und in den Haaren.

Folglich findet sich auf „Freiwillige Selbstkontrolle“ eine Mischung aus Clap-Clap-Pop, Wave, Beat, Elektrosongarbeit, etwas windschiefer Gruppengesang und Schlagerparodie: „Gib mir einen Scheck für Herrengedeck / Schick mich jetzt nicht weg.“ Es wird Madonna gehuldigt und ebenso dem 1988 an Aids verstorbenen Sylvester James, in dessen Hit „You make me feel (mighty real)“ die Band eine sehr schöne Aufdenkopfstellung des üblichen Identitätsgehabes entdeckte. Dementsprechend heißt es: „Ich zoll dir / meinen Respekt / im diskursiven Affekt“. Und im ersten Song, der von einem hart getwängten Bass lebt, wird sich auf sehr hübsche Weise halbehrlich gegen das Ausgehen gewehrt („Ich habe doch Angst vor der nächtlichen Menschenschar“), im letzten Song, „A taste of honey“, heißt es dagegen, diesmal zu herzhaft gehauener Pauke und verzerrter Gitarre: „Geh du schon mal vor.“

Aber was heißt das? Ist dies eine Platte für Schlauköpfe, die steif so in der Ecke stehen, wie nicht mal mehr ein Stuckrad-Barre glaubt, dass Spex-Redakteure es tun? Nein, merkwürdigerweise ist „Freiwillige Selbstkontrolle“ zugleich und aller zigtausend Binnenverweise zum Trotz ein überaus dynamisches Album geworden, das zeigt, dass in Zitat, Selbstzitat und auch Zitat der früher verwendeten Zitate sogar eine Art Verzicht liegen kann. Denn alles steht sich selbst im Weg und löst sich daher auf, in diesem Fall sogar aufs Schönste. F.S.K. ist eine Band, die machen kann, was sie will, da sie knapp drei Dekaden Zeit hatte, an ihrer Methode zu arbeiten. Entstanden ist eine Platte, die Pop bietet, weil sie unterhält, obschon sie zugleich ein Meisterwerk für Semiotiker ist. Gibt es überhaupt noch Semiotiker? F.S.K. kann es egal sein. Sie spielen für die Vergangenheit und die Gegenwart, und der Letzteren ist es ja eh immer wurscht, ob sie die Vergangenheit nun erkennt oder nicht. Hauptsache, es funzt.

JÖRG SUNDERMEIER

F.S.K.: „Freiwillige Selbstkontrolle“ (Buback/Indigo)