Erfahrungsbericht einer Arabien-Reisenden: Softpornos im Taxi

Andere Länder, andere Sitten: Wer als Frau durch Arabien reist, der macht Grenzerfahrungen. Zwischen knielangen Röcken, Hinrichtungen und Bauchtanzfolklore.

Der Präsident ist überall -Staatswerbung statt Produktwerbung in arabischen Städten. Bild: AP

Ob es in Jordaniens Hauptstadt Amman einen urbanen, öffentlichen Raum gibt, mag Ansichtssache sein, der erste Eindruck ist jedoch schlagend. Am ersten Abend meiner Reise in den "Nahen Osten" besuche ich "Downtown" Amman, nachdem die Mitarbeiterin des Goethe-Instituts meinen knielangen Rock anschaut und beschließt, dass der kein Problem darstelle. In männlicher Begleitung begeben wir uns also auf die einzige Straße der Stadt, die so etwas Ähnliches wie ein öffentlicher Raum sein könnte. Dies ist er aber allenfalls für Männer, denn Frauen fallen auf. Unsere männliche Begleitung macht die Fotos, die ich machen würde, wenn ich mich nicht so unwohl fühlen würde - trotz knielangen Rocks. Ich versuche, möglichst nicht noch mehr in den Blick zu geraten und lasse die Kamera lieber in der Tasche.

Ich bin keine Fotografin, und dennoch kehre ich von meinem Arbeitsstipendium des Goethe-Instituts mit einer Reihe von Fotos im Kopf zurück. Ich arbeite über Fotografie, und der Aufenthalt gibt mir einen Einblick in die zeitgenössische Kunstszene. Einige der Künstler, die ich in den arabischen Ländern treffe, interessieren sich für den Alltagsgebrauch von Bildern. Dies können persönliche Bilder sein: Knipseraufnahmen oder Porträts von Studiofotografen, wie sie etwa die jordanische Künstlerin Oraib Toukan in den Taschen der palästinensischen Flüchtlinge in den Flüchtlingscamps im Norden ihres Landes fand und dokumentierte. Oder Bilder aus Familienalben und Tonaufnahmen, die als "gesprochene Briefe" zwischen Ägypten und Kanada ausgetauscht wurden und der ägyptischen Künstlerin Heba Farid zum Material ihrer Kunst werden. Die Künstler interessieren sich für die Bilder als Speicher persönlicher Familiengeschichte und kultureller Erinnerungen.

Mit diesem Fokus auf die sozialen Gebrauchsweisen der Fotografie wuchs auch mein Interesse daran, was für Bilder ich als Reisende zu sehen bekam und welche eben nicht; welche Bilder ich selber machte oder nicht machte.

Wenn schon nicht flanieren, dann Taxi fahren, dachte ich. Der junge Fahrer, der mich von Amman nach Damaskus fährt, trägt einen fetten Ring an einem Finger und einen überlangen kleinen Fingernagel. Die Hand legt er stets dekorativ auf dem Lenkrad ab. Die Fahrt, die etwa zweieinhalb Stunden dauert, hat neben Ausblicken auf die karge Landschaft und einzelne Universitäten, die man in Jordanien mit Vorliebe mitten in der Wüste baut, ihren Höhepunkt im Grenzübergang zu Syrien. Ich habe nicht mehr recht im Kopf, ob man fotografieren darf oder nicht. Ich verzichte also auf ein Foto der überdimensionalen Porträts, die alle Grenzgebäude zieren und die vor dem Einreiseschalter wartenden Reisenden in ihrer sozialistischen Ästhetik begrüßen.

Wie die ewige Wiederholung einer verpassten Chance wird mir das Bild des jungen Präsidenten in den kommenden zehn Tagen noch hunderte Male vor Augen treten. Denn das Konterfei Baschar al-Assads ist in jedem Geschäft, jedem Hotel, auf fast jeder Hauswand, in Autofenstern oder als riesenhaftes Propagandaplakat auf den Ringmauern der historischen Festung von Aleppo zu sehen. Und erst nach einer Weile in Syrien wird mir klar, dass ich mich für kurze Zeit von der Allgegenwart von Produktwerbung in Stadtbild verabschiedet habe und stattdessen umgeben bin von Staatswerbung.

Die Fahrt im Taxi durch die Wüste geht weiter: Unterhalten kann ich mich mit dem Fahrer nicht. Die Vorführung der neuesten Technik seines Taxis, einer DVD-Anlage, kommt mir also gerade recht. Ein ägyptischen Sänger "moderiert" singend eine Art Fernsehshow, hin und wieder springen ihm Frauen aus dem Publikum zur Seite und umtanzen ihn. Ich überlege noch aus welchem Land die Musik wohl kommen könnte, schon sind wir bei der nächsten DVD angelangt, die eine Bauchtänzerinnen zeigt, begleitet von orientalischer Musik. Ich bin ein wenig irritiert und frage mich gerade, was seine verschleierte Frau wohl darüber denken könnte. Die nächste DVD ist gar keine Musik-DVD, und ich wundere mich noch, was er mir nun vorspielt, als mir klar wird, dass es ein Pornofilm ist. Auch hiervon mache ich kein Foto. Die Abfolge von Filmen, die der Taxifahrer mir vorführt, suggeriert eine direkte Linie von nackter Haut westlich gekleideter Frauen in Musikvideos über den Softporno, der noch als Bauchtanz-Folklore getarnt wird, zum sexuellen Akt. Ich repräsentiere für ihn als alleinreisende, unverschleierte Frau, die neben ihm auf dem Beifahrersitz Platz nimmt, wahrscheinlich das Fehlen jeglicher Tabus. Vermutlich bin ich die Inkarnation aller westlichen Frauen, die er aus Filmen mit entsprechenden Kuss- und Sexszenen kennt, aus der Wäschereklame oder eben aus Pornofilmen. Das Fehlen einer gemeinsamen Sprache, weder verstehe ich ein Wort Arabisch, noch spricht er ein Wort englisch, bringt ihn dazu, Bilder zu zeigen. Sein Filmprogramm, das er an mich richtet, könnte Provokation sein oder Suche nach sexuellem Genuss, der vielleicht schon darin liegt, zu sehen, wie ich zuschaue, oder vielleicht ist das Video auch eine Art bewegtes "Point it!" -Bildwörterbuch, in dem man auf den Gegenstand weist, den man haben möchte.

Fortan laufe ich etwas paranoid durch den "Nahen Osten", und jede Unterhaltung wird auf ihre Missverständlichkeit hin untersucht. Den jungen Mann, der mich in Aleppo fragt, ob ich eine "Tänzerin" sei, und auf meine Ballerinas schaut, die er nicht für das richtige Schuhwerk für die Straßen hier hält, verdächtige ich sogleich, mich gefragt zu haben, ob ich eine Prostituierte sei.

In Ägypten begegnet man dem Thema der Sexualität mit rigider Zensur. Auf einer Veranstaltung des Kunstfestival meeting points, in Alexandria, sehe ich einen Film von Akram Zaatari, "Her + Him Van Leo", 2001. In dem Film geht er dem Wandel der ägyptischen Gesellschaft in ihrem Verhältnis zur Aktfotografie nach. Der renommierte Porträtfotograf Van Leo aus Kairo hatte in den 1950er- und 1960er-Jahren tausende von Akten fotografiert. Heute sei es nicht mehr möglich, sie zu zeigen, und er berichtet in einem Interview, er habe alle Aufnahmen verbrannt. Als sei es nicht genug, dass Van Leo dies erzählt und als benötigte man noch einen Beleg, wird jedes Mal, wenn eine seiner Aktfotografien in der Projektion auftaucht, das Bild von dem Filmvorführer des Veranstaltungsortes unscharf gestellt. Man erklärt mir, dass lokale Veranstaltungsorte, die anders als die ausländischen Kulturinstitute der staatlichen Kontrolle unterliegen, sich durch diese Art von Selbstzensur vor Repressalien der Regierung schützen müssen.

Neben zensierten Fotos oder Bildern, die ich nicht gemacht habe, stoße ich auch auf Fotos, die man bei uns nicht zeigt. In Aleppo in Syrien entgehe ich nur knapp meinem ersten Besuch einer öffentlichen Hinrichtung. Etwa 300 Meter von meinem Hotel entfernt, auf einem Platz inmitten der Altstadt, werden an einem Morgen fünf junge Männer zwischen 18 und 23 Jahren wegen Raubmordes öffentlich gehängt und bleiben dort einige Stunden für jedermann sichtbar hängen. Ich mache mich am nächsten Tag auf die Suche nach Zeitungsberichten des Spektakels, und ich frage mich, was man hier wohl zeigt und nicht zeigt. Die internationale Presse von der Brisbane Times bis zur Herald Tribune bringt auf ihren Internetseiten keine Fotos der Gehängten von Aleppo, für sie wäre es wohl eine grausame Zurschaustellung und unnötige Zumutung für ihre Leser. Die syrische Zeitung Al Gamahir hingegen zeigt einen bebilderten Artikel, der noch Tage später als Fotokopie verkauft wird.

Auf meiner Zugfahrt nach Damaskus einige Tage später nehme ich zufällig neben einem jungen Mann Platz, der als einziges Gepäckstück eine Fotokopie des Zeitungsartikels aus der lokalen Zeitung vor sich auf den Tisch legt. Das Foto des syrischen Pressefotografen Georges Ourfalian ist anscheinend ein Medienerfolg. Für mich ist es erstaunlich, dass man die Schaulust auf den toten, nicht aber den nackten Körper in den Medien erlaubt. Während ich die Bilder, die mir der Taxifahrer zeigte, noch übersetzen kann, so macht mich das Foto der Gehängten ratlos. Der nackte Körper wird bei uns ohne Probleme gezeigt, der tote Körper meist aber nur mit erheblicher argumentativer Einbettung, die ihn vor dem voyeuristischen Blick schützen soll.

In dem Text "Das Leiden anderer betrachten" stellt Susan Sontag die Frage, welche Toten in unseren Zeitungen gezeigt werden, und kommt zu dem Schluss, dass nur die namenlosen "Feinde", die "Anderen" so schutzlos abgebildet werden. Das jedenfalls scheint hier ähnlich, auch in Aleppo sind die Gehängten entindividualisiert. Und statt ihrer Namen können wir auf ihren Körpern die Gerichtsurteile lesen, die in Banderolen um ihre Körper gewickelt sind. Das Foto eines Erhängten, schreibt Sontag, liefere keine Argumente für oder gegen eine Praxis und bestätige lediglich die Meinung, die wir mitbringen, sie seien ohne Kontext also gar nicht lesbar.

Was die Lesbarkeit von Bildern angeht, ist mein arabischer Sprachführer wesentlich optimistischer: "Ein Lächeln versteht man überall", lese ich da. Nun ist aber manches gar nicht sichtbar oder wird gar nicht gezeigt. An den Pyramiden von Gizeh beobachte ich ein Paar, das sich fotografieren lässt. Er trägt eine amerikanische Baseballkappe, sie trägt einen Schleier. Ob sie unter ihrem Schleier lächelt, kann niemand erkennen.

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