"Mefisto forever" im Gorki-Theater: Süffige Doku-Collage

Die Variation von Klaus Manns "Mephisto" will mehr, als die Person Gustav Gründgens abbilden. Sie überschüttet Zuschauer mit Assoziationen und entlässt sie nicht schlauer.

Schauspieler und Romanstoff Gustav Gründgens, hier 1941. Bild: dpa

Am Ende ist sie wieder da, die exilierte einstige Theaterdiva Rebecca Füchs. Statt extravaganter Robe trägt sie Uniform, das Haar ist von grauen Strähnen durchzogen, weshalb der niedergeschlagene Theaterintendant Kurt Köpler sie nicht gleich erkennt. Theaterspielen kann sie selbst nicht mehr. "Manche Katastrophen sind zu groß für Kunst", sagt sie schlicht.

Aber solche wie Kurt können immer, das eben ist das Drama, weshalb der belgische Dramatiker Tom Lanoye seine Adaption des Mephisto-Romans von Klaus Mann denn auch "Mefisto forever" benennt. Auch, weil Lanoye am Fall seines Helden das Verhältnis von Kunst und Korruption auch jenseits der Causa Gründgens einmal durchspielen wollte. Gustav Gründgens war jener ebenso berühmte wie berüchtigte Großschauspieler und Generalintendant von Görings Gnaden, der 1936 das Vorbild für Klaus Manns Romanfigur "Mephisto" Henrik Höfgen war und dem Lanoye in seinem Drama nun den Namen Kurt Köpler gab. Vor zwei Jahren wurde "Mefisto forever" in Antwerpen uraufgeführt. Die deutschsprachige Erstaufführung (in Rainer Kerstens Übersetzung) besorgte Armin Petras jetzt am Berliner Maxim Gorki Theater.

Dem illustren Schauspielerpaar Kurt (Paul Herwig) und Rebecca (Fritzi Haberlandt) gehörte auch die erste Szene des Abends vor dem Hintergrund eines Machtwechsels. Eine brutale rechte Partei war an die Macht gekommen, während man auf der Bühne gerade Shakespeares "Hamlet" probierte. Rebecca, die Jüdin, geht ins Exil. Kurt steigt zum Intendanten auf. "Wir bleiben, wir bekämpfen das System von innen. Radikaler Widerstand!" tönt er noch zu seinem jungen Vorgänger Viktor (Max Simonischek). Dabei verdankt er seine Position schon dem "Dicken" (Peter Kurth), dessen Geliebte Lina Lindenhoff (Anja Schneider) als Schauspielerin Rebeccas Platz einnimmt - ein Paar, dessen historische Vorbilder Hermann Göring und seine Frau Emmy Sonnemann sind.

Vorne auf einem Fernseher laufen historische Aufnahmen von Naziaufmärschen. Später wird man hier auch Eva Braun und ihren Herrn Hitler auf dem Obersalzberg bei freizeitlichem Treiben beobachten können. Mitunter kann man sehen, was Rebecca inzwischen in Amerika macht.

Auch auf die Rückwand der Bühne wird großflächig projiziert: rasende Stummfilmbilder von asiatischen Horden, brennenden Städten oder ein Revuefilm mit Gustaf Gründgens. Überlebensgroße, von Jan Speckenbach manchmal auf offener Bühne aufgenommene Bilder von Fritzi Haberlandts tragischer Diva Rebecca, mit der sie einmal als reale Figur auf der Bühne in einen Wettbewerb um Präsenz tritt.

Life auf der Bühne spielen die Schauspieler Lanoyes Stück, in dem sich Intendant Kurt Köpler immer stärker verrenkt und verbiegt. Zwei Schauspieler landen im KZ, nur einer wird wiederkommen. Und dazwischen werden immer die großen bürgerlichen Klassiker probiert, was natürlich auch Teil von Lanoyes Drama ist: Shakespeares "Hamlet", Goethes "Faust", Lessings "Minna von Barnhelm" oder Tschechows "Kirschgarten". Politiker werden selber zu Schauspielern: Der Dicke (Peter Kurth) alias Hermann Göring tritt an die Rampe, um Goethes Faust zu spielen. Dafür verwandelt sich der im KZ geschundene Schauspieler Niklas Weber (Peter Moltzen) erst in Shakespeares hinkendes königliches Monster Richard III., um bald darauf als Goebbels in gepflegtem Schauspielerton die berüchtigte Sportpalast-Rede "Wollt ihr den totalen Krieg?" an das Theaterpublikum im Saal zu richten.

Schicht um Schicht türmt Armin Petras die Assoziationen aufeinander. Lässt Bilder, Zitate, Kunst, Fiktion und Dokumentation zur hochsuggestiven Musik von Sascha Hargesheimer zu einer süffigen Collage verschmelzen, in der man als Zuschauer am eigenen Leibe die demagogischen Kräfte der Kunst spüren kann.

Trotzdem ist man am Ende nicht schlauer. Im Grunde fallen Petras und Lanoye hinter Klaus Mann zurück. "Ich bin doch nur ein ganz gewöhnlich Schauspieler", lässt der am Ende seinen Helden Höfgen sagen und damit alle Verantwortung von sich weisen - aus der ihn Mann selbst jedoch nicht entlässt. Lanoyes Köpler dagegen wirkt am Schluss deutlich gebrochen und stammelt nur noch "Ich ". Zwar lässt so viel sichtliche Demoralisierung den Schluss zu, dass selbst der biegsamste Opportunist irgendwann zerbricht. Gelernt wäre hier trotzdem wenig: Dem Charakterlosen wird fast noch eine Art Mitleid zuteil und die Korruption aller Kunst durch die Macht fast als eine Art Naturgesetz behauptet.

ESTHER SLEVOGT

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