Nick Cave lernt Gitarre spielen: "Klavier ist nicht sexy"

Auf seinem neuen Album kehrt Nick Cave zum rohen Rock'n'Roll zurück, die Milde des Alters überlässt er lieber Sting. Cave über die Entdeckung der E-Gitarre, Sex, Tod und Marketing.

Mit 50 Jahren "erlebt der Sexualtrieb eine Renaissance": Nick Cave. Bild: promo

taz: Mister Cave, in den letzten beiden Jahren haben Sie das Grinderman-Album herausgebracht, zwei Soundtracks geschrieben und aufgenommen, Filmrollen übernommen, ein Drehbuch verfasst und nun noch das neue Bad-Seeds-Album "Dig, Lazarus, Dig!!!" aufgenommen. Es scheint, als würden Sie mit dem Alter immer produktiver. Wie kommt das?

Nick Cave: Ich habe keine Ahnung. (lacht) Aber es fühlt sich gut an.

Liegts vielleicht daran, dass Sie als Familienvater konzentrierter arbeiten können?

Oder daran, dass das Bedürfnis größer wird, von Zuhause wegzukommen. (lacht schon wieder) Im Ernst: Ich glaube, es liegt vor allem an der Effektivität. Sie als Deutscher sollten das verstehen. Ihr geltet doch als effektiv, oder ist das nur ein Klischee? Aber um ehrlich zu sein: Ich finde uns gar nicht so wahnsinnig produktiv. Ich glaube, es liegt nur daran, dass wir anders arbeiten als andere Bands. Plattenfirmen wünschen sich, dass Bands eine Platte aufnehmen, auf Tour gehen und dann eine Weile verschwinden, um dann zwei Jahre später eine neue Platte zu machen. So sind wir einfach nicht gebaut: Wir fangen sofort was Neues an, wenn wir etwas beendet haben. Dass man sich nach einem schöpferischen Akt erst mal regenerieren muss, das halte ich für einen Mythos. Tatsächlich will die Musikindustrie, dass du dir mal einen Urlaub gönnst, damit sie dich besser vermarkten können, wenn du wieder aus der Versenkung auftauchst.

Ist das nicht ohnehin ein Geschäftsmodell, das im Aussterben begriffen ist, angesichts des Internet?

Finanziell ist es weiterhin gar nicht schlecht für einen Künstler, mal eine Weile zu verschwinden. Aber ich will einfach so viele Songs wie möglich schreiben und so viele Platten rausbringen, wie ich schaffe. Das ist meine Agenda. Außerdem erinnert es mich an die Sixties und Seventies, als jeder seine Platten einfach rausgehauen hat. Bob Dylan hat drei Platten pro Jahr herausgebracht. Man muss doch nur ein paar Songs schreiben und sie aufnehmen, so wahnsinnig kompliziert ist das nicht. Das Problem ist das Marketing und ihr Typen, ihr Journalisten. Denn sobald die neue Nick-Cave-Platte durch ist, kommt schon wieder Grinderman und dann sofort die Bad Seeds, und dafür jedes Mal Platz und neues Interesse in den Medien zu finden, ist nicht ganz einfach. Ich bin ein Marketing-Albtraum. Aber das kümmert mich nicht allzu sehr.

Stattdessen kümmern Sie sich auch auf Ihrem neuen Album um Sex und Tod, Verdammnis und Besessenheit. Warum kommen Sie von diesen Themen nicht los?

Ganz einfach: Es ist amüsant, über diese Themen zu schreiben. Warum sollte ich das Interesse an ihnen verlieren?

Geschieht das nicht automatisch? Lässt das Interesse am Thema Sex nicht notgedrungen nach mit den Jahren?

Wie alt sind Sie?

Ich? 42.

Ach so. Ich verspreche Ihnen, mit 50 Jahren ändert sich das noch einmal dramatisch. Fragen Sie mal ein paar fünfzigjährige Männer, die können kaum über was anderes reden. Dein Kopf wird zu einer beschissenen Kloake. (lacht) Ich habe feststellen dürfen, dass mein Interesse an Sex in den vergangenen Jahren geradezu explodiert ist. Zuerst dachte ich, ich wäre damit allein. Aber dann habe ich mich mit anderen Fünfzigjährigen unterhalten und weiß jetzt, dass das einer der großen, kosmischen Witze über Männer ist: Wenn der Körper verfällt, die Haare auszufallen beginnen und die Attraktivität schwindet, erlebt der Sexualtrieb eine Renaissance. Das ist Gottes großer Witz.

Ist das auch der Grund, warum Sie mit Ihren letzten Platten, ob nun mit den Bad Seeds oder mit Grinderman, zu Ihren Wurzeln zurückkehren, zu einem roheren, unbehaueneren Rock n Roll?

Dieses Album ist auf jeden Fall spartanischer als bisherige Bad-Seeds-Alben. Mit weniger Instrumenten. Und es ist definitiv eher improvisiert, spontaner aufgenommen.

Sollte man mit dem Alter nicht eher zum Milderen neigen, zur Ausdifferenzierung?

Das überlasse ich lieber Sting. Aber um ehrlich zu sein, fühle ich mich einfach nicht milder als früher. Die Altersweisheit will sich einfach nicht einstellen. Ich fände das großartig, wenn ich entspannter sein könnte, die Scheiße leichter akzeptieren könnte. Aber es ist einfach nicht so. Ich hab eher das Gefühl, ich werde mit jedem neuen Jahr noch wütender.

Wie kommt das?

Ich glaube, das liegt daran, dass ich inzwischen bemerkt habe, dass mir die Hände als Bürger gebunden sind, dass ich nichts werde ändern können am Lauf dieser Welt. Ich fühle mich wie ein kleines Rädchen, ein völlig überflüssiges Teilchen im Universum. Es macht mich wütend, dass ich zumindest in Teilen mein Leben so leben muss, wie ich es eigentlich nie tun wollte.

Welche Teile meinen Sie?

Dass ich zwangsweise teilnehme an den kapitalistischen Verwertungszusammenhängen. Man kommt da einfach nicht raus.

Immerhin wird Ihnen das Schicksal eines erfolgreichen Musikers aufgezwungen. Die meisten Menschen dürften Sie beneiden.

Ja, sicher, ich führe das, was man ein Leben auf der Sonnenseite nennt. Aber (ringt nach Worten) aber wenn es ums Musikmachen geht, dann gibt es immer wieder halt auch die Sehnsucht, da auszubrechen. Sicherlich, wenn man 50 wird, erhält man eigentlich die Lizenz zur Kontemplation, dann ist es plötzlich in Ordnung, sich ein paar warme Gedanken über die Welt und den lieben Gott zu machen. Aber mir geht es da anders, meine Wut will einfach nicht verrauchen.

Haben Sie jemals darüber nachgedacht, sich aus den regulären Verwertungszusammenhängen zurückzuziehen?

Und damit aufzuhören, meine Musik zu verkaufen?

Nein, aber sie aktiv zu bewerben. Mit Ihrem Status könnten Sie Ihre Platten problemlos ohne Plattenfirma übers Internet verkaufen.

Ja, vielleicht. Irgendwann wird das vielleicht sogar nötig sein. Einfach weil ich mit der Werbung nicht mehr hinterherkomme. Schlussendlich ist es ein Deal: Ich mache ein bisschen Pressearbeit und ansonsten erlaubt mir meine Plattenfirma, zu tun und zu lassen, was ich will. Aber ich weiß nicht, ob das, was Radiohead gemacht haben, wirklich die Zukunft sein kann. Radiohead können sich das erlauben, weil sie eh Millionäre sind. Im Endeffekt geben sie einfach den Kids, die die Musik sowieso geklaut hätten, die Erlaubnis, das offiziell zu tun. Aber damit setzen sie einen gefährlichen Standard für Bands, die es sich nicht leisten können, ihre Musik übers Internet zu verschenken. Ich halte das für eine große Scheiße. Aber um ehrlich zu sein, interessiert mich das alles nicht so sehr.

Dafür scheint Sie neuerdings die Gitarre sehr zu interessieren. Bei Grinderman spielten Sie das Instrument zum ersten Mal, und "Dig, Lazarus, Dig!!!" ist nun die erste Platte der Bad Seeds, auf der Sie viel Gitarre spielen.

Tatsächlich habe ich noch viel, viel mehr Gitarre gespielt, aber das meiste wurde leider nicht verwendet. (lacht)

Dafür spielen Sie kaum noch Klavier.

Das Klavier haben wir für diese Platte fast vollständig abgeschafft. Dafür spiele ich aber Orgel. Ich wollte endlich eine Bad-Seeds-Platte machen, die nicht nach den Bad Seeds klingt. Und der Sound der Bad Seeds wurde bestimmt vom Klavier.

Wie kam es, dass Sie die Gitarre erst so spät entdeckt haben.

Als wir mit der ersten Grinderman-Platte anfingen, habe ich gefragt: Wer soll Gitarre spielen? Und Warren (Ellis, Multiinstrumentalist und engster Partner von Cave bei Grinderman und den Bad Seeds, Anm. d. Red.) sagte: Du solltest Gitarre spielen! Ich sagte: Ich kann aber gar nicht Gitarre spielen. Worauf Warren entgegnete: Das ist doch nur ein vernachlässigenswertes Detail. Also hab ich mir eine elektrische Gitarre gekauft, mir so ein Buch mit den Akkorden besorgt, hab mir ein paar Velvet-Underground-Songs angehört und dann hatte ich noch einen Monat Zeit, bis wir ins Studio gegangen sind. Um ehrlich zu sein: Gitarrespielen ist nicht allzu schwer. (allgemeines Gelächter)

War es leicht, das Klavier aufzugeben?

Es ist ein völlig anderes Gefühl als Klavierspielen, schon allein weil man eine größere Macht im Bandgefüge hat. Früher hatte ich immer das Gefühl, ich würde als Sänger mit dem Gitarristen in einer Dauerauseinandersetzung um Raum liegen. Jetzt kann ich, wenn ich will, die Gitarre stilllegen, wenn ich singe, und dann die Gitarre wieder zurückbringen, wenn mir danach ist. Außerdem ist die Gitarre natürlich auch das männlichere Instrument. Das Klavier ist nicht wirklich sexy.

Kommt darauf an, wer es spielt.

Mir fällt da niemand ein, der Klavier so sexy spielen kann wie eine Gitarre. Eine Gitarre nimmt man in den Arm, ein Klavier schiebt man von sich weg.

Sie haben insgesamt vier Kinder. Wäre es nicht an der Zeit, mal ein paar Kinderlieder zu schreiben?

Ich habe zahllose Lieder für meine Kinder geschrieben. Aber ich werde sie nicht auf einer verfickten Schallplatte veröffentlichen. Es gibt viele Leute, die das besser können als ich.

Leider nicht. Es gibt nur wenig gute Musik für Kinder.

Okay, vielleicht auch nicht. Tatsächlich sind die Songs, die ich meinen Kindern vorsinge, unglaublich unterhaltsam. Finden jedenfalls meine Kinder. (denkt lange nach) Aber ich muss die nicht herausbringen. Meine Karriere hat schon allerhand überlebt, aber ich weiß nicht, ob sie eine Platte mit Kinderliedern überleben würde.

INTERVIEW: THOMAS WINKLER

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