Alte Technik, junge Meister

Nachtgeschöpfe, Fantasiegestalten: International Furore gemacht haben die Holzschnitte der Künstler Gert und Uwe Tobias längst. In Bonn startet jetzt ihre erste deutsche Museumsausstellung

„I was a Teenage Vampire“ – den Filmmythen über Transsilvanien setzen Gert und Uwe Tobias vermeintliche Folklore entgegen

VON MARION LÖHNDORF

Eigensinnig, gegenwärtig und zugleich wie aus der Zeit gefallen wirken die Arbeiten von Gert und Uwe Tobias. Ihre bevorzugte Technik ist der lange aus der Mode gekommene Holzschnitt, der in der frühen Moderne eine Blütezeit erlebte und mit deren Hang zu sogenannt primitiver Kunst und Volkskunst korrespondierte. Aus ihrem Fundus schöpfen auch die Zwillingsbrüder Gert und Uwe Tobias. Die von ihnen vielfach verwendeten Elemente osteuropäischer Folklore verweisen vor allem auf ihre rumänische Herkunft. 1973 in Brașov (Kronstadt) geboren, wanderten sie 1985 in Richtung Deutschland aus. Erst gegen Ende ihres Studiums bei Walter Dahn in Braunschweig entdeckten Gert und Uwe Tobias die – niemals ungebrochen oder naiv von ihnen verwendete – Volkskunst für sich, mit zunehmender zeitlicher Distanz zum Leben in einer anderen Welt.

Seither haben sie eine in den vergangenen vier Jahren zunehmend steile Karriere in der Kunstwelt angetreten, die im November 2007 in einer Schau im Flaggschiff der New Yorker Kunstszene, dem Museum of Modern Art, einen vorläufigen Höhepunkt erlebte. Bestechend sind die kraftvolle Farbigkeit ihrer Arbeiten, die Ornamentalität, die Verbindung von abstrakten und erzählerischen Momenten, auffallend die markant verwirklichte Neigung, Schrift als Formelement zu verwenden. Bemerkenswert sind das hervorragende Handwerk, die Stilsicherheit in der Verbindung von Pop und Folklore und die großen Formate, die konventionelle Vorstellungen der Bildgröße von Holzschnitten sprengen. Aber all dies reicht nicht, um die Faszination der ab heute im Kunstmuseum Bonn gezeigten Werke der Tobias-Brüder zu erklären.

Sie selbst nennen eine Reihe von Einflüssen aus der Kunstgeschichte auf ihr eigenes Werk, Art Brut, Baselitz und Ensor – und mühelos ließen sich weitere wie Malewitsch, Munch und Tatlin hinzufügen. Deutlich erkennbar wird ihre „Faszination für Phänomene der Kunst“ in jedem Fall – so sehen sie es im Gespräch auch selbst. Sie nehmen Vorhandenes an, um es für Gegenwärtiges und Eigenes nutzbar zu machen.

So spielt eine thematische Werkgruppe von Holzschnitten – so etwas wie das Herzstück der Bonner Schau – mit dem Thema der kulturellen Identität. Immer wieder seien sie auf ihre Herkunft aus Transsilvanien angesprochen worden, berichten die Brüder. „Siebenbürgen kannte niemand“, sagen sie. Jedem aber sei Transsilvanien als Heimat Draculas und der Vampirmythen ein Begriff gewesen. So begann der künstlerische Umgang mit dem Phänomen, der Außenwahrnehmung ihrer Herkunft, anstelle von nostalgischer Vergangenheitsbewältigung oder psychologischen Rückgriffen auf eine Kindheit im anderen kulturellen Kontext, Reaktionen, die ja ebenfalls denkbar gewesen wären. Nachtgeschöpfe und Fantasiegestalten wachsen aus ihren Bildern, Teufel, Eulen, Hexenwesen und Totenschädel – das ganze Motiv-Arsenal aus Vampirfilmen, deren Titel sie für ihre Werke verwenden. Dennoch haben die Farbholzschnitte mit Titeln wie „I was a Teenage Vampire“ und „The Addiction“ nichts mehr mit den Inhalten der Filme zu tun. Den außerhalb des Landes entstandenen (Film-)Mythen setzen Gert und Uwe Tobias eine vermeintlich authentische, folkloristische Formensprache entgegen, die aber wiederum durch ihren eigenen intellektuellen künstlerischen Zugriff zu etwas anderem wird.

Ein Museum im Museum variiert das Thema noch einmal: In einen Raum des Bonner Kunstmuseums haben die Zwillinge einen mit eigenen Werken als „Heimatmuseum“ ausgestatteten Kubus hineingebaut. Holzdrucke, Schreibmaschinenzeichnungen und skulpturale Elemente stehen und hängen hier dicht gedrängt unter Neonleuchten vor einem dunkel getünchten Hintergrund. Hier vor allem zeigt sich die Entschlossenheit, Räume umfassend zu bespielen: An den das „Heimatmuseum“ umfangenden Wänden des Bonner Kunstmuseums sollten keine ihrer eigenen Werke zu sehen sein, fanden Gert und Uwe Tobias. Stattdessen wählten sie selbst aus dem Depot Arbeiten von Künstlern, die sie schätzen, aber nicht zu ihren Einflüssen zählen: Bruno Goller, Stephen Shore und Hanne Darboven zum Beispiel.

Einladend geben sich die Arbeiten der Brüder. Sie sind im Dialog der Zwillinge miteinander als jeweilige Gemeinschaftswerke entstanden und wollen – so scheint es – durch die direkte Ansprache auch gleich mit dem Betrachter ins Gespräch kommen. So deutet ein Ausstellungstitel wie „Wohin der Hase läuft“ Welterklärendes an, während ein anderer beschwichtigt: „Nichts brennt an, nichts kocht über“. Zu ihrer ersten Einzelausstellung 2004 in der Kölner Galerie Michael Janssen, die sich naturgemäß mit dem Geheimnis Transsilvaniens beschäftigte, luden sie unter dem Motto „Come and see before the Tourists will do“ ein. Trotz der freundlichen Verheißungen verweigern sie den scheinbar so simplen Zugriff dann aber doch. Was die als jeweils integraler Bestandteil ihrer Schauen gedachten Ausstellungsplakate an Erzählerischem ankündigen, lösen sie nicht ein, ebenso wie die Vampirfilm-„Plakate“ nicht mehr für Filme werben und so als Mittel der Werbung ausgehebelt werden. So ambivalent wie das Verhältnis der Innen- und Außenschau der kulturellen Herkunft stellen sich die Einheit von Cover und Inhalt, von Sinnversprechen und Wirklichkeit dar. Identitätsfragen werden hier zurückgespielt, Verbindlichkeiten und einfache Lesarten in Frage gestellt.

Die Ausstellung im Kunstmuseum Bonn, von Kurator Stefan Gronert im Einvernehmen mit den Künstlern inszeniert, zeigt ein breites Werkspektrum, das über die dominierenden, bis zu acht Meter breiten Holzschnitte hinausreicht. Auch Schreibmaschinenarbeiten, Zeichnungen und zarte Gouachen haben die in Köln lebenden Künstler nach Bonn mitgebracht. Die Mythen- und Gespensterwelten der Brüder Tobias wirken im Kontext der kleinen Formate und der unmittelbarer zu handhabenden Technik noch weniger greifbar, noch flüchtiger und albtraumhafter. Lauert bei den großen Werken Beunruhigendes und Ungewisses noch unter der Oberfläche, so ist in den Zeichnungen und Gouachen das Eis auf den ersten Blick schon ziemlich dünn.

Bis 12. Mai, Kunstmuseum Bonn, Katalog (Snoeck Verlag) 48 €