Intelligenter tanzen mit Autechre

Die Musik von Autechre gilt als schwierig. Das Duo kann auch anders, wie sein Auftritt im Berliner Berghain zeigte

Manche Musik passt zu bestimmten Orten, als sei sie für diese geschaffen. So ist die große Halle des Berghain, ein ehemaliges Heizkraftwerk in der Nähe des Berliner Ostbahnhofs, mit ihrer kathedralenhaft hohen Decke und ihrer schroffen Gestaltung in Stahl und Beton der ideale Resonanzraum für die spröde wirbelnde Musik von Autechre. Die Möglichkeiten des Raums wusste das Duo bei seinem Auftritt am Sonntag zu nutzen, einschließlich einer Ganzkörperbestrahlung des Publikums mit Infraschall, wie sie wohl nur wenige Verstärkeranlagen verkraften können.

Sean Booth und Rob Brown sind eines der erfolgreichsten und langlebigsten Elektronik-Duos, das die Techno-Szene hervorgebracht hat. Als Autechre prägten sie zu Beginn der Neunzigerjahre gemeinsam mit Projekten wie Aphex Twin, LFO oder Nightmares on Wax den Stil des britischen Warp-Labels, das wie kaum ein anderes für den Begriff IDM, sprich: Intelligent Dance Music, stand. Eine Musik wohlgemerkt, die eigentlich völlig ungeeignet ist, Tanzflächen zu füllen. Auch die Produktionen von Autechre sind nicht zum Tanzen gemacht. Seit ihrem Debüt „Incunabula“ aus dem Jahr 1993 verfolgen sie einen Weg, der vertrackte Rhythmen und filigrane Melodien in immer neun Variationen kombiniert. Diesem Ansatz, der ihre Musik sofort erkennbar macht, sind sie bis zu ihrem aktuellen neunten Album „Quaristice“ treu geblieben.

Auf den unmittelbar vorangegangenen Alben des Duos hatte der verstärkte Einsatz von Musiksoftware allerdings dazu geführt, dass ihr Klang zunehmend verfremdet und abstrakt wurde. Rhythmen wurden zerpflückt, gestaucht und bis zur Auflösung ihrer ursprünglichen Struktur getrieben. Die Musik hatte dadurch immer auch etwas von einer Leistungsschau der Programmiertechnik, die sich weitgehend selbst zu genügen schien. Autechre kultivierten sich so einerseits als Marke, andererseits stießen ihre Veröffentlichungen mehr und mehr auf Unverständnis oder Gleichgültigkeit.

Die ewige Programmiererei scheint schließlich auch Booth und Brown etwas sauer geworden zu sein, weshalb ihr jüngstes Album aus spontaneren Jams hervorgegangen ist. Die Musik ist immer noch sperrig und abstrakt, zugleich klingen die kurzen Stücke auf „Quaristice“ offener und weniger komprimiert. Ideen werden skizzenartig präsentiert, der Umgang mit den Klängen hat etwas Leichtes und Spielerisches. An einigen Stellen, die zu den schönsten des Albums gehören, gönnen Autechre sich und den Hörern sogar wieder etwas Entspannung mit ruhig fließendem Ambient.

Verschnaufpausen dieser Art gab es im Berghain keine. Fast schien es, als wollten Autechre mit ihrem Auftritt dem Ruf des Berghain als einem der besten Techno-Clubs der Welt gerecht werden und das Publikum um jeden Preis zum Tanzen bewegen. Mit einem brutal trockenen Electro-Rhythmus, einem der wenigen direkt erkennbaren Zitate des neuen Albums, begannen sie ihr Konzert und ließen für die folgende knappe Stunde ihres Programms keine Minute locker.

Die Besucher des Berghain nahmen die Aufforderung an und tanzten, wenn auch nicht so ekstatisch wie bei den üblichen Clubnächten. Das Duo ließ die Klänge ständig im Fluss, verdichtete den Rhythmus zu irrwitzig schnellen Drum-und-Bass-Figuren, brachte immer neue Melodieschnipsel ins Spiel oder attackierte die Tänzer mit Tiefstfrequenzen. Zum Schluss steigerten sie Dichte und Tempo noch einmal bis an die Schmerzgrenze. Das Publikum dankte es ihnen mit jubelndem Applaus. Verdienten Beifall gab es auch für den Auftritt von SND, die mit subtilen Rhythmusvariationen eine passende Vorband abgaben. Schön, dass Autechre bei aller Abstraktion auch direkt mit ihrem Publikum kommunizieren können. TIM CASPAR BOEHME