Kulturtheoretiker über Obama: "Rhetorik von der einen Nation"

Der Kulturtheoretiker Homi K. Bhaba über Barack Obamas utopisches Potenzial und die Verdrossenheit gegenüber klassischen amerikanischen Helden.

Profitiert laut Bhaba von der Klischeeverdrossenheit der Amerikaner: Barack Obama. Bild: dpa

Homi K. Bhaba wurde Mitte der 90er-Jahre berühmt, als er in die Kulturwissenschaften einen neuen Gedanken einführte: den der Hybridisierung. Damit liefert er das Gegenkonzept zur Unversöhnlichkeit der Kulturen, wie sie etwa von Samuel P. Huntington im "Kampf der Kulturen" gefeiert wird - und die Frage ist, wie der amerikanische Präsidentschaftskandidat Barack Obama in dieses Bild hineinpasst. Für Huntington führen Konflikte zur Konsequenz, dass unterschiedliche Kulturen getrennt voneinander leben müssen, wobei eine Gruppe notwendig ihre Überlegenheit über die andere behaupten muss. Für Homi K. Bhabas dagegen öffnet sich, sobald unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen und sich mit den Differenzen konfrontieren, eine dritte Ebene - und damit die Möglichkeit, dass es zu produktiven Veränderungen der Kultur kommt. Wir trafen den Kulturtheoretiker in Berlin, wo er an einer Konferenz teilnahm.

taz: Herr Bhaba, verkörpert Barack Obama die von Ihnen geforderte Überschreitung von kulturellen Grenzen?

Homi K. Bhaba: Ja und nein. In vieler Hinsicht hat er Menschen aus unterschiedlichen Klassen und Kulturen gezeigt, dass man eine beweglichere, transformativere Identität leben kann. Und er hat damit eine ganze neue Gruppe politisiert: die jungen Leute. Auf der anderen Seite konfrontiert Obama die Probleme der Trennung und Widersprüche der Rassentrennung in den USA nicht adäquat. Ich sage das als Unterstützer von Obama.

Wo weicht Obama denn aus?

Seine ganze Rhetorik verkündet die Botschaft: Ob Weiß oder Schwarz, wir gehören alle zusammen. Diese Rhetorik von der einen Nation ist problematisch in einer Gesellschaft, in der diese eine Nation nicht existiert. Jeder, der in die USA kommt, sieht sofort verschiedene Formen der Segregation. Das utopische Potenzial von Obamas Verve für die eine Welt und die eine Nation ist sehr attraktiv. Aber sie kann zu großer Enttäuschung führen.

Enttäuschung worüber?

Wenn man in den USA etwas verändern möchte, muss man auch die riesigen internen Verzweiflungen ansprechen. Indem Obama keine Konflikte benennt, läuft er Gefahr, Erwartungen zu schüren, die er - sollte er zum Präsidenten gewählt werden - schwer einzulösen imstande sein dürfte. Harmonieversprechen sind immer problematisch, das zeigt auch der Multikulturalismus. Der nämlich verheißt: Wenn wir nur mehr von einander wissen, dann werden wir uns schon verstehen. Aber bekanntlich können die gebildetsten Menschen Rassisten sein.

Welche Alternative hätte Obama?

Ich weiß nicht, ob er eine hat. Aber sehen Sie, egal ob Hillary Clinton oder Barack Obama gewinnen sollte, jeder von ihnen wird irre viel damit zu tun haben, diese riesige Schweinerei, die Bush hinterlassen hat, aufzuwischen. Und meine Sorge ist, dass wenn Obama die Hoffnung auf allzu viel Optimismus und Harmonie nährt, sich hinterher die Ernüchterung darüber, dass sich die Probleme so schnell nicht werden lösen lassen, gegen ihn richtet. Dabei liegt die Verantwortung für die Vertiefung der Gräben zwischen Arm und Reich, Schwarz und Weiß bei der Bush-Regierung. Und es wäre so schade, wenn ein Präsident, der die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft überwinden möchte, letztlich für sie verantwortlich gemacht würde.

Obama hat sich in der vergangenen Woche erstmals direkt zum Rassismus in den USA geäußert, ebenso wie zu seiner Herkunft und zu den umstrittenen Äußerungen seines Pfarrers Jeremiah Wright, der gegen eine Herrschaft der "reichen Weißen" wetterte. Die Medien adelten diese Rede umgehend als "historisch". Was halten Sie von ihr?

Sie zeugte von emotionaler und politischer Reife. Mit großer Sensibilität hat Obama die Probleme der amerikanischen Geschichte angesprochen.

Die Sklaverei als Fundament der amerikanischen Gesellschaft?

Und ihr Erbe, das bis in die Gegenwart hineinreicht. Er hat von der Wut und auch der Angst gesprochen, die das Leben der Schwestern und Brüder noch immer zu einem Teil bestimmt. Für mich war das die bewegendste Rede der gesamten Kampagne.

Sie plädieren in Ihren Schriften dafür, Gefühle systematisch in die Politik einzubeziehen. Obama kam dem ziemlich nahe?

Der Politik der Affekte und der Gefühle - ja. Denn in jeder politischen Situation muss man auch mit der Bitterkeit umgehen, die entsteht, wenn in einer Gesellschaft etwas zutiefst problematisch verläuft.

Also hat Obama dazugelernt?

Was heißt dazugelernt - jede politische Kampagne basiert auf einem Kalkül. Wenn man zu früh mit seiner politischen Agenda herausrückt, wird man auf sie festgenagelt werden. Insofern, nein, es geht nicht um dazulernen. Die Äußerungen des Chicagoer Predigers haben Obama gezwungen, Stellung zu beziehen. Denn niemand sollte diese Hassgefühle, denen Wright Ausdruck verliehen hat, unterstützen. Egal, welche Bedingungen zu ihrer Entstehung geführt haben. Obama hat sich von ihnen distanziert, aber auf etwas Wichtiges hingewiesen: Es gibt Leute, denen man verbunden ist und auch etwas schuldet, obwohl man bestimmte ihrer Sichtweisen überhaupt nicht teilt. Diesem Konflikt hat Obama sich gestellt. Er ist hier endlich komplex geworden.

Apropos Komplexität: Die New York Times schrieb, dass Obama der einzige Kandidat sei, der begriffen habe, dass die Zeiten der US-Hegemonie vorbei sind. Weswegen er mit allen Gespräche führen möchte. Also die Außenpolitik radikal zu verändern beabsichtigt.

Obama scheint tatsächlich der Offenste zu sein. Offensichtlich hat er verstanden, dass die USA nicht länger für ihre Ausnahmeposition streiten sollten. Ebenso wie er begriffen hat, dass auch das Fundament der US-amerikanischen Außenpolitik, der Präventivschlag, zutiefst fragwürdig, da kurzsichtig ist. Diese Einsicht macht ihn aufgeschlossen gegenüber bilateralen Verhandlungen.

Wird Obamas Offenheit reichen, um die Verhärtung der Fronten zwischen dem Westen und der so genannten arabischen Welt aufzuweichen?

Sie haben natürlich recht: Insbesondere die stereotype Darstellung bestimmter Elemente der islamischen Kultur hat sich nach dem 11. September verschärft.

Umgekehrt ja auch: Der "Westen" ist zum beliebten Feindbild in arabischen Diktaturen avanciert.

Stimmt. Trotzdem glaube ich nicht, dass sich der allgemeine Diskurs in der Welt auf Muselmanen als Selbstmordattentäter und Amerikaner als morallose Konsumtrottel reduzieren lässt. Das ist zwar der spektakulärste Blick auf eine Polarisierung, insofern bei den Medien beliebt, aber er ist nicht repräsentativ.

Was lässt Sie so optimistisch sein?

Ich bin nicht optimistisch. Aber der Protektionismus, den manche Fundamentalisten versuchen, funktioniert nicht. Es gelingt ihnen nicht, ihre Kultur gegen internationale Einflüsse abzuschotten. Auf keiner Seite. Das ist noch kein Grund zum Optimismus, lenkt aber den Blick auf ein anderes Problem: Unser Problem ist, dass wir Transformation, also den Übergang von einem gesellschaftlichen Zustand in einen nächsten, nicht verstehen. Und wenn wir etwas nicht verstehen, greifen wir in unserer Unsicherheit auf Stereotypen zurück.

Also hat Obama doch keine Chance?

Abwarten! In jedem Fall sind viele Amerikaner der Stereotype müde. Gucken Sie nur, welche Filme dieses Jahr die Oscars gewonnen haben. Nirgends finden Sie dort einen klassischen amerikanischen Helden. Diese Klischeeverdrossenheit ist das Ticket, auf dem Obama reist.

Der Kandidat der Republikaner, John McCain, repräsentiert nicht das Stereotyp des weißen hegemonialen Amerikas?

Selbst McCain ist ein Außenseiter, auch wenn er natürlich im Prinzip die Werteordnung der Republikaner unterstützt. Aber es gab Zeiten, in denen er im offenen Streit mit Bush lag.

Sie sagten, dass Obama die Jungen politisiert hat. Aber das wird ihn nicht zum Präsidenten machen.

Ja, aber ich merke das auch an mir selbst. Ich lebe in den Staaten seit 1994. Und ich war zuvor noch nie so involviert. Was nicht allein mit Obama, sondern natürlich auch mit Hillary Clinton zu tun hat. Ein Afroamerikaner und eine Frau - das sind ganz neue Optionen. Natürlich repräsentiert ein Schwarzer nie nur Schwarzsein, ebenso wie eine Frau niemals nur Frausein repräsentiert. Hillary steht genauso für Intelligenz und Effizienz und eine ganze Riege anderer Werte.

Etwa fürs weiße Politik-Establishment.

Sicher. Aber das Wichtige ist: In diesem Wahlkampf spielt die Polarisierung zwischen den Geschlechtern, zwischen gebürtigen Amerikanern und Immigranten, zwischen Schwarz und Weiß, eine viel geringere Rolle als bisher. Die Grenzen sind durchlässiger geworden.

Weil mit Georg W. Bush die Hegemonie des weißen heterosexuellen Macho-Mannes beschädigt wurde? Offenheit als Phänomen der Krise?

Weil die Leute begriffen haben, dass die Politik der Polarisierung die USA weder intern noch international auch nur einen Schritt weitergebracht hat. Nicht einen.

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