Gesammelte Werke von Clemens Eich: Abstoßende Romanhelden

Gesamtausgaben bergen die Gefahr, dass die öden Werke die brillanten "beschädigen". Die Bände von Clemens Eich bieten sehr Gelungenes, Ekliges und auch pathetisch Verunglücktes.

Knappe biografische Anmerkungen; bis 1982 arbeitete der 1954 in Rosenheim geborene Sohn von Ilse Aichinger und Günther Eich als Theaterschauspieler. Dann wurde Clemens Eich Schriftsteller. 1980 "debütierte" (was für ein bescheuertes Wort) er mit einem Gedichtband. 1987 erschien ein Band mit Erzählungen; 1995 sein einziger, vielbeachteter Roman "Das steinerne Meer", 1999 posthum ein Bändchen mit Reiseaufzeichnungen aus Georgien. Die zweibändige, knapp 800-seitige Gesamtausgabe seines Werks, die nun bei Fischer erschienen ist, enthält all die veröffentlichten Dinge sowie dies und das aus dem Nachlass; auch die Gedichte, die der damals 13-Jährige 1967 für seinen Papa schrieb, dessen Gedicht von dem Sand im Getriebe der Welt, das wir sein sollen, in den 70er-Jahren sehr beliebt war.

Begleitet wird die Gesamtausgabe von einem lobenden Nachwort von Ulrich Greiner, einem germanistischen Text, in dem leider kaum etwas über das Leben des Frühverstorbenen steht. Dass er etwa eine drei Jahre ältere Schwester hatte oder dass sein Vater starb, als der Sohn 17 war, wird nicht für erwähnenswert gehalten. Wenigstens in der FR steht, wie der Dichter zu Tode kam: Vor zehn Jahren stürzte er in der Wiener U-Bahn eine Treppe hinab und starb später an den Folgen dieses Unfalls.

Man könnte mit vielen Nichts beginnen, die die Lektüre oft anstrengend machen: Der Dichter besaß keinerlei Humor; Ironie oder doppelbödige Sätze sind ihm fremd, Gegenwarts-, also Popkultur gibt es kaum in seinem Werk.

Als jemand, "der im Begriff stand, in die erste Reihe der deutschen Autoren zu treten", wird Clemens Eich vom Zeit-Literaturchef Ulrich Greiner etwas diffus beschrieben. Keine Ahnung, wer damals in der ersten Reihe der deutschen Autoren gestanden hat, wer sie da hingestellt hatte. Beim Lesen der unveröffentlichten Dinge fragt man sich auch, ob es sinnvoll ist, die gesammelten Werke eines vor zehn Jahren verstorbenen Autors herauszubringen, von dem der Herausgeber meint, man könne sich vielleicht vorstellen, wie das Werk ausgesehen hätte, wenn es fertig geworden wäre.

Wenn man das Gelungene - den ländlich düsteren Roman "Das steinerne Meer" - neben soviel Uninteressantes, Maniriertes, Affektiertes stellt, kann das, was gelungen war, "beschädigt" werden, wie man so hochgestochen zu sagen pflegt.

In der FAZ hieß es, das schriftstellerische Ich des Autors entwerfe sich selbst "als ein Gegenüber, das Übelkeit verursacht, mit dem es zu kämpfen gilt". In dies Gefühl der Übelkeit gerät man manchmal auch selber beim Lesen; nicht weil das Werk nun schlecht wäre - "Das steinerne Meer" ist ein ziemlich guter Roman -, sondern weil die Menschen so abstoßend in ihrer Körperlichkeit beschrieben sind. Sie stinken, sind grob, oft dumm, bösartig und gewalttätig. Es ist 1963. Die Geschichte spielt in einem Dorf zwischen Österreich und Deutschland, in Rückblicken teils auch in Wien. Der Held im "Steinernen Meer", ein im Bett fiebernder Junge mit furchtbarem Ausschlag an den Füßen, fantasiert von den anstehenden Olympischen Spielen in Innsbruck, träumt davon, Erster im Abfahrtslauf zu werden. Die Eltern sind fort. Der Opa bringt eine Frau um. Die Leiche verfault im Keller.

Man gruselt sich körperlich vor den Helden des Romans. Es ist nicht schön zu lesen, wie sich diese geile, dicke, einsame Frau in einem Wiener Säuferlokal an diesen aus Angst und Geiz depressiven, traurigen Mann drängt, wie Misshandelte einander weiter misshandeln, wie ein besonders widerwärtiger alter Mann, eine Mischung aus Nazi und Landjunker, getrieben von Altmännergeilheit, die jungen, stumpfsinnigen Mädchen aus dem Dorf schwängert, wie der Junge im Fieber davon träumt, einer Frau ins Gehirn zu fassen und sie dabei stöhnt vor Lust … Solche Sachen.

Auch Clemens Eichs Erzählungen sind sehr in Moll. Manchmal klingen sie so sehr konstruiert und furchtbar nach Literatur, dass man an die Vorurteile denkt, die man automatisch gegen neue E-Musik hegt. Nepomuk Hummel etwa.

Lyrik ist vielleicht Geschmackssache. Tendenziell bin ich dagegen. Verse wie "Komm rüber, spring oder klettere, / aber komm! / Wir wollen durch die Hohlwege rennen." ("Märzfragmente") finde ich aufgesetzt, und diese beliebte Methode, sich selbst in Gedichten anzusprechen - "Nimm dein Gehn, / gib dir den Abschied / von dem Mädchen / mit dem weissen Hund" ("Aufstehn und gehn") -, kommt mir doch recht pathetisch vor. Die "Gedichte für Papa", die der 13-Jährige schrieb, sind wieder interessant in ihrer Tendenz zur Günter-Eich-Parodie.

Als ich einem Freund erzählte, dass ich es erstaunlich und seltsam fände, wie sehr die Lyrik des 13-jährigen Clemens Eich nach seinem Vater geklungen hatte, erzählte er von seinem Sohn. Der wäre zehnjährig auf einem Fest mit unserem bekanntesten Dichter gewesen und hätte den so sehr und überzeugend in Zungen redend plagiiert, dass der Dichter ganz seine Fassung verloren hätte.

Die "Aufzeichnungen über Georgien", Clemens Eichs letztes, unvollendetes Buch, das in Folge einer Dichterverschickung entstanden war, gefällt mir sehr gut. Einige Georgienkenner und -freunde verurteilten es wegen Subjektivismus. Das Fragmentarische dieses Sammelsuriums aus Tagebucheintragungen, Notizen, Aphorismen lässt einen aber vielleicht besser an einer Reise teilnehmen, als es eine geschlossenere, widerspruchsfreiere, politisch abwägende Schilderung vermögen könnte. Vor allem ist es nicht mehr so durchgehend in Moll. Gern zitiert man auch einen Satz, dem damals sicher viele westdeutsche Intellektuelle zugestimmt hätten: "Ich habe keine Angst, nach Georgien zu fahren, aber ich habe Angst, nach Ostdeutschland zu fahren."

Clemens Eich: Gesammelte Werke. Hrsg. von Elisabeth Eich und Ulrich Greiner. 2 Bände; Band 1: "Das steinerne Meer"/"Aufzeichnungen aus Georgien", Band 2: Prosa/Drama/Lyrik. Fischer, Frankfurt am Main 2008, zus. 768 Seiten, 29,90 Euro

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