Postpunk-Veteran Mark Stewart: Radikalität von gestern

Was nicht passt, wird auch nicht passend gemacht: Mit "Edit" beendet der englische Postpunk-Veteran Mark Stewart seine Funkstille und besucht alte musikalische Tatorte.

Mann der Praxis: Mark Stewart Bild: crippled dick hot wax

Als der britische Musikjournalist Simon Reynolds vor ein paar Wochen in Berlin "Rip it up and start again" vorstellte, seine Chronik über die Postpunk-Ära Ende der Siebziger/Anfang der Achtziger, kündigte er am Ende der Lesung einen Überraschungsgast an: Ein großgewachsener, älterer Herr mit graumeliertem Haar betrat die Bühne, es war der in den Zeiten des Postpunk mit seiner Band Pop Group berühmt gewordene englische Musiker Mark Stewart.

Nach Reynolds theoretischen Abhandlungen erschien Stewart als Mann der Praxis und fühlte sich gleich wohl in seiner Rolle, dem unüberhörbaren "Früher war alles besser"-Tenor im theoretischen Teil des Abends seine erfrischende Ablehnung von Nostalgie entgegenzuhalten. Der Veteran wollte sich nicht nur erinnern, sondern bekundete vor allem auch Begeisterung für das Jetzt. Für all die aufregende Musik, die um ihn herum entsteht, überall in der Welt. Dank dem zunehmenden Clash der Kulturen, so Stewart, entstehe immer aufregendere Musik.

In der Rolle des Querulanten hat sich der aus der englischen Hafenstadt Bristol stammende Mark Stewart immer schon gefallen. In seinem Buch beschreibt Simon Reynolds The Pop Group als musikalisch und von der Haltung her revolutionäre Band. Die Pop Group war bis zur Groteske politisiert. Auf dem Cover der Single "We are all prostitutes" wurde sogar ein Report von amnesty international über Folterungen britischer Soldaten an irischen Gefangenen abgedruckt. Einfach nur mitzumachen und Teil einer Jugendbewegung zu sein, war nie das Ding von Mark Stewart. Sein Punk sollte eher wie Free Jazz und Dubreggae klingen. Seine späten Dubausflüge klangen dann wiederum wie Punk. In jedem Getriebe wollte Stewart Sand sein.

Inzwischen wird der Mann als Wegbereiter für den Hybrid-Gedanken in der Popultur angesehen. Er selbst sieht sich weniger als Musiker denn als Medium und Ideenverwalter, durch den die Inputs verschiedenster Produzenten fließen. Seit den frühen Neunzigern erlangten Musiker aus Bristol wie Portishead, Massive Attack oder Tricky Weltruhm. Letzlich haben sie alle das Verrühr-Prinzip Stewarts aufgegriffen und einfach zugänglicher gemacht. "Shake it, baby!", um es mit den Worten von Arnold Schwarzenegger zu sagen. Wenn der amerikanische Hiphop-Produzent Timbaland in seinen Beats Klänge indischer Tablas verwendet, die britische Sängerin MIA in der ganzen Welt nach Material für ihre verfremdeten Beats fahndet, dann kann Mark Stewart eben von sich sagen, Musik schon immer als melting pot begriffen zu haben, in den alles reinmuss, was gerade an Aufregendem zu finden ist.

Sein Comeback-Album "Edit", das eben erschienen ist, bevor demnächst sogar ein Dokumentarfilm über ihn in die Kinos kommen wird, ist somit eindeutig programmatisch zu sehen. Der Cut, der Loop, das Sample, die Möglichkeiten moderner Produktionstechnologie, die das wortwörtliche Aneinanderkleben verschiedenster Sounds erleichtert hat, wird hier gefeiert. "Ich mag es, Sachen zusammenbringen, die nicht zusammenpassen", so benennt Stewart selbst sein Arbeitskonzept und beruft sich auf den vor kurzem erst verstorbenen Produzent Teo Macero. Macero hatte Miles Davis in seiner elektrischen Phase stundenlang mit seinen Kollegen jammen lassen, um die besten Ergebnisse des freien Zusammenspiels hinterher neu am Mischpult zu ordnen. Auf "Edit" hören wir dann Public-Enemy-Sirenen, Radiostimmen, Grime-Bässe und Metalgitarren. Es scheppert und rumpelt an allen Ecken und Enden, und dazwischen vernuschelt Stewart seinen verfremdeten Sprechgesang. Was nicht passt, wird auch nicht passend gemacht, darum geht es hier. Das Album wurde in verschiedenen Orten auf der Welt aufgenommen und von den unterschiedlichsten Produzenten zusammengeschustert. Es klingt nicht wie aus einem Guss und das soll man auch hören.

Das Problem mit Stewart ist bloß, dass die Radikalität, die hier ständig behauptet wird, gar keine mehr ist. Teamwork, Vernetzung und Hybridisierung sind längst Schlagwörter, mit denen sich jeder Manager in einer globalisierten Welt auseinandersetzen muss. Und da ehemals undenkbare Kollaborationen, wie die des ehemaligen Boygroup-Sängers Justin Timberlake mit einem unzimperlichen Hiphop-Produzenten à la Timbaland, längst Standard in der modernen Popmusik ist, wirkt auch Stewarts manisches Networking heute nicht mehr besonders subversiv, sondern einfach nur zeitgemäß.

Er selbst sieht das freilich anders. Alles sei politisch, behauptet Stewart, der sich seinen Glauben an die Sprengkraft und die soziale und politische Bedeutung von Pop bewahrt hat. Deswegen agiert er wohl auch noch nach all den Jahren wie aufgezogen, begeisterungsfähig wie ein kleines Kind und erklärt jedem, der es hören möchte oder auch nicht, dass der heißeste Sound der Stunde nicht etwa Dupstep sei, sondern Desi, der rhythmusgetriebene Soundirrsinn indischer Migranten in London. Kennt halt bloß noch niemand.

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