Wo Intellektualität richtig sexy wird

Schriften zu Zeitschriften: In „Mittelweg“ streitet man sich, in „Akzente“ bewundert man, etwa den Reaktionär Nicolás Gómez Dávila

Endlich erwärmt Sonne Herzen, Hirne und Hüften; die Jahreszeit von Flirt-SMS und scheu glühenden Blicken ist ausgebrochen. Da hat es der Geist schwer, wenn das willige Fleisch derart präokkupiert ist. Doch der Mensch ist nicht nur Mängelwesen, wie Arnold Gehlen meinte, sondern auch multitaskingfähig. Und wer zudem weiß, dass Intellekt sexy macht, der vermag souverän beides: sich auf der Liegewiese in das aktuelle Heft von „Mittelweg 36“ zu vertiefen, um dann und wann den Kopf zu heben und den Kontaktaufnahmeblick schweifen zu lassen.

Zunächst streiten die Soziologen Heinz Bude und Berthold Vogel über die Aussagekraft der Modebegriffe „Exklusion“ und „Prekariat“ für die Beschreibung sozialer Ungleichheit. Fürwahr kein sonniges Thema, aber es führt mitten hinein ins Herz der gesellschaftlichen Unsicherheiten. Über den anschließenden dreißig aufwühlenden Seiten allerdings vergisst man dann jede noch so verführerische Schönheit nebenan.

Denn Jan Philipp Reemtsma ist unter dem spröden Titel „Formen des Nihilismus, Nazismus und moderne Metaphysik“ ein großartiges Philosophen-Gespräch geglückt. Sein Gegenüber ist Dieter Henrich, Jahrgang 1927, Gadamer-Schüler und einer der maßgeblichen Subjektivitäts-Theoretiker der Gegenwart. Bei ihm wirkte generationstypisch die Kriegserfahrung nach; Max Weber befreite ihn intellektuell. Die Wertschätzung von „Distanznahme“ immunisierte Henrich gegen Heideggers „Wille zur Entschiedenheit“. Von dessen Flirten war der junge Philosoph „nicht angetan“: Beim Händedruck 1952 „schaute er mich an mit einem Blick, der der Blick eines Führers war, der einen Kandidaten endgültig als seinen Gefolgsmann gewinnen“ will. Gegen den Nihilismus des Nationalsozialismus setzt Henrich die „Nobilitierung des Subjekts“. Ironisch setzt er sich von der Ironie und der „unerträglichen Leichtigkeit“ des Liberalismus eines Richard Rorty ab: „Man muss sich doch fragen, welche Position man im Leben zuletzt einnehmen will.“ Letzte Fragen tauchen auf: Henrichs „nihilistische Erfahrung“ in die eigene „bloß faktische“ Existenz während einer unvergesslichen bösen Nacht; Reemtsmas während seiner Geiselnahme entstandene Idee, sich im womöglich drohenden Augenblick des Todes mit einem die Täter ewig quälenden Grinsen als Subjekt zu retten.

Ein anderer Nihilismus stammt aus Kolumbien. Lange schon ist der 1994 verstorbene Privatgelehrte Nicolás Gómez Dávila zum Lieblingsreaktionär des Feuilletons mutiert. Botho Strauß und Martin Mosebach sind eifrige Mentoren. Die „Akzente“ haben Texte über Gómez Dávila zusammengestellt, dessen Werk vor allem aus fünf Bänden „Scholien“ besteht: mehr als 10.000 prägnante Sentenzen gegen den Weltenlauf. Sein Reaktionär ist ein „Rebell“: „Linke und Rechte streiten sich lediglich um den Besitz der Industriegesellschaft. Der Reaktionär ersehnt deren Tod.“ Ökologische Bewegungen werden zu amüsanten Bundesgenossen: „Die Ökologie ist die Schäferspielfassung des strengen reaktionären Textes.“ Doch Revolution ist keine Lösung: „Die Rebellion ist Reaktion auf einen unerträglichen Zustand; die Revolution ist Technik eines bürgerlichen Projekts.“

Gómez Dávila, der das erotische Flirren kennt, ist liegewiesenkompatibel, „denn das Verlangen ist der Vater der Ideen“. Er hat ja recht: „Eine Hand, die nicht zu liebkosen versteht, kann nicht schreiben.“ Vielleicht sollte Hanser seine Scholien zum Herunterladen aufs Handy anbieten, damit Flirt-SMS noch besser gelingen: „Ein nackter Körper löst alle Probleme des Universums.“

ALEXANDER CAMMANN

Mittelweg 36, 17. Jg., Heft 2/2008 (April/Mai), 9,50 Euro, www.his-online.de Akzente, 55. Jg., Heft 2/2008 (April), 7,90 Euro, www.hanser.de