Narrenschifffahrt

Jan Hoet, derzeit noch Leiter des MARTa Herford, und sein Nachfolger Rudolf Nachtigäller führen die Kunst gleich doppelt ad absurdum

Der Begriff des Absurden dehnt sich so weit aus, bis er als Grundzug der Kunst, als deren Möglichkeitsbedingung erscheint

VON DOMINIKUS MÜLLER

Da steht man vor dem imposanten Museumsbau von Frank Gehry – und was sieht man zuerst? Eine Holzhütte. Eine Holzhütte, von Via Lewandowsky ineinander gefaltet und geschoben und dadurch unbegehbar geworden. Innen dann, mitten im Hauptraum: ein Posterstapel – Faksimiles eines Briefes der Museumsverwaltung an ihren künstlerischen Leiter, in dem dieser unmissverständlich aufgefordert wird, Ankäufe mangels Budget-Deckung rückgängig zu machen. Kunst aber, scheint die Botschaft dieser ironischen Verwandlung eines bürokratischen Schriftstücks in ein Ausstellungsexponat zu sein, hat keinen Preis. Kunst lässt sich nicht budgetieren, sondern lebt gerade vom Exzess, von seiner Absurdität. Zigtausende Euro für einen arrangierten Müllhaufen hinzublättern, ist ja nicht das Alltäglichste, was man sich so vorstellen kann.

Und schon befindet man sich mitten in der von Jan Hoet kuratierten Ausstellung „Ad Absurdum. Energien des Absurden von der klassischen Moderne bis zur Gegenwart“, für die der ehemalige Chef der documenta 9 an seiner momentanen Wirkungsstätte, dem MARTa Herford, eine erschlagende Menge Künstler und noch mehr Arbeiten aus den unterschiedlichsten Epochen und den unterschiedlichsten Ecken der Kunstgeschichte zusammengetragen hat. Dieser Parcours des Absurden ist kein pädagogisch konzipierter Überblick, sondern basiert vielmehr auf einer intuitiv wirkenden, auf ein assoziatives Prinzip bauenden Hängung, die sich mehr von formalen Kriterien leiten lässt als von oft genug selbst schon absurden kunstgeschichtlichen Periodisierungen oder kulturwissenschaftlichen Kategorienbildungen.

Zunächst irritiert das ohrenbetäubende Geräusch des Föns, den Michael Sailstorfer in ein Mikrofon blasen lässt, und die Kofferwand, mit der Fabio Mauris abrupt den Eingang in den Hauptraum versperrt. Die Holzkisten von Elmgreen & Dragset, die ineinander verkeilt der Schwerkraft trotzen, berühren eher komisch als eingefrorenes und scheinbar unmögliches Arrangement, das die Kunst an ihre Slapstick-Qualitäten erinnert. Wenn dann im nächsten Raum Wim Delvoyes ratternde Maschine zur Produktion von Scheiße auf die gleißende Reinheit von Thomas Rentmeisters tonnenschwerem Berg aus schneeweißem Zucker trifft, löst die Ausstellung ihr Motto ein und verschränkt verschiedene Momente der Betrachteradressierung zu einem unentwirrbaren Knäuel, das man irgendwie „absurd“ nennen könnte.

Das ist nun alles schön und gut, das hat hier zweifellos alles seinen Platz und macht Sinn – aber, fragt man sich allmählich, was macht hier eigentlich nicht Sinn? Denn letztlich könnte man unter diesem Titel den Großteil der modernen Kunst subsumieren – zumindest den gelungenen. Und so entzieht sich diese Ausstellung immer mehr der Vereinheitlichung und Greifbarkeit. Stattdessen wird der Begriff des Absurden selbst zunehmend flüchtiger und dehnt sich so weit aus, bis er als Grundzug der Kunst, als deren Möglichkeitsbedingung erscheint: das Absurde als der ursprüngliche Spaltpilz zwischen Kunst und Leben, als Movens und Produkt eines anderen Blickwinkels.

Anders dagegen das Bild in der Städtischen Galerie Nordhorn, die mit „Zeitgemäße Apparate“ die Partnerausstellung zum MARTa Herford organisiert: Hier ist ein ganz konkreter Fokus wahrnehmbar: Das Absurde wird hier in der Koppelung mit einem Maschinenbegriff gesucht. Das verbindende Element zu Herford ist auf Künstlerseite Michael Sailstorfer. Auch in Nordhorn hat er den Eingangsbereich zugeteilt bekommen und dort eine Popcornmaschine aufgestellt, die unter lautem Rattern und intensiver Geruchsentwicklung unentwegt Popcorn in den Vorraum spuckt. Das Absurde wird hier dingfest gemacht in der sich verselbstständigenden Maschine, als Irrationalisierung des durch und durch Rationalen des Apparats. Die autonome Maschine als Apparat, der sich emanzipiert hat und dem Menschen wie ein eigenständiger Mechanismus gegenübertritt. Im Inneren der Ausstellung wird dieses Prinzip dann in verschiedenen Spielarten und mit verschiedenen Techniken und Schwerpunktsetzungen mustergültig durchexerziert. Etwa bei den Boxhandschuhen Christian Schnurers, die zum einen, per Bewegungsmelder ausgelöst, den Besucher tatsächlich treffen können, die aber zum anderen, betrachtet man sie aus sicherer Distanz, relativ hilflos und verloren wirken, wie sie da an den Radius ihrer dürren Stahlarme gebunden sind und blind um sich schlagen. Eher über das Gefühl der Unentscheidbarkeit dank der Gleichzeitigkeit von Gegensätzen funktioniert Micol Assaëls betretbare Kühlkammer, in deren Innerem ein beheizbarer Stuhl den Besucher überrascht. Andreas Slominskis Arbeit „Adventskalender 2008“ dagegen, die aus nichts als einer Reihe alltäglicher Gegenstände besteht, spielt mit der Absurdität einer völlig arbiträren Zuordnung des Titels zum sichtbaren Material.

Anders als im MARTa zeigt die Galerie in Nordhorn ein Ensemble von Arbeiten, die zusammengenommen die Lust am Experiment verbindet und die den Referenzrahmen durch den Schwerpunkt auf die „Maschine“ so eng setzen, dass hier letztlich eine konkrete Definition des Absurden stehen kann: Absurd ist, was ein geschlossenes System subversiv an seine Grenzen treibt und diese Grenzen dabei in ihrer Willkürlichkeit und Paradoxität sichtbar macht. Hier also eher eine kultur- und kunstwissenschaftlich orientierte Annäherung an ein klar umrissenes Thema als eine frei übersetzte Anverwandlung an die Grundsätzlichkeiten der Kunst an sich. Der Vergleich beider Ausstellungen macht durchaus Sinn, auch als Blick in die Zukunft: denn Rudolf Nachtigäller, bisheriger Leiter der Städtischen Galerie Nordhorn und im Übrigen ein ehemaliger Mitarbeiter Hoets aus dem dokumenta-9-Team, wird ab Ende des Jahres die Nachfolge des abtretenden MARTa-Direktors antreten. Auch ein Generationenwechsel: mit dem ehemaligen Documenta-Chef Hoet verlässt eine der charismatischsten Kuratorenfiguren der letzten Jahrzehnte mit dem MARTa Herford eines der ehrgeizigsten neuen Museumsprojekte Deutschlands.

Nordhorn ist auf jeden Fall greifbarer, prägnanter formuliert, strukturierter aufgebaut und damit auch deutlich näher dran am Publikum. In Herford dagegen gewinnt die Ausstellung gerade durch ihre Offenheit, durch ihr vages und gewagtes Spiel mit der eigenen Unsicherheit, mit der eigenen Entwurzelung nicht zuletzt vom Ort ihres Stattfindens. Die eingangs erwähnte Hütte und der Briefwechsel legen Zeugnis von einer hintergründigen Auseinandersetzung mit dem Status eines solchen Museums in einer Stadt wie Herford ab. Das ist definitiv die persönliche Handschrift Jan Hoets. Nachtigäller dagegen hat eine prägnante, sehr durchdachte Ausstellung auf die Beine gestellt, die einen konzisen Einblick in eine konkrete Thematik erlaubt und daher auch gut dechiffrierbar und vermittelbar bleibt. Jan Hoet aber schert sich einen Dreck um die Lesbarkeit seiner radikal subjektiven Ausstellung, aus der vor allem eins spricht: ein unbedingter Wille, nicht von außen über jenes Narrenschiff namens Kunst zu richten, sondern auch als Kurator voll und ganz Kurs auf Narragonien zu nehmen.

Bis 8. Juni: „Ad Absurdum. Zeitgemäße Apparate“, Städtische Galerie Nordhorn; bis 27. Juli: „Ad Absurdum. Ener- gien des Absurden von der klassischen Moderne bis zur Gegenwart“, MARTa Herford