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: Musial contra Borodziej

Fünfte Kolonne, Verräter, Deutschen- und Judenknechte – das müssen sich Historiker und Publizisten in Polen immer wieder sagen lassen, wenn sie für einen offenen internationalen Dialog eintreten.

Das neueste Opfer – nach dem Publizisten Marcel Reich-Ranicki, dem Soziologen Zygmunt Bauman und dem Zeithistoriker Jerzy Holzer – ist Włodzimierz Borodziej, auch er ein Zeithistoriker. In Deutschland ist er vor allem durch eine vierbändige Quellenedition zur Vertreibungsgeschichte, einem Standardwerk zum Warschauer Aufstand 1944 und einer Arbeit über Kollaboration und Widerstand im besetzten Polen bekannt geworden. Der 52-jährige Professor gilt europaweit als Koryphäe seines Faches. Er ist an der Erarbeitung eines Konzepts für das Museum der Europäischen Geschichte in Brüssel sowie eines deutsch-polnischen Schulbuches beteiligt.

Verzerrtes Geschichtsbild?

Nun aber schrieb der auf sowjetische Verbrechen spezialisierte Historiker Bogdan Musial in der konservativen Tageszeitung Rzeczpospolita: „Das Ansehen, das Włodzimierz Borodziej genießt, ist überaus rätselhaft, insbesondere wenn man bedenkt, dass er bisher keine auf Quellen gestützte Monografie veröffentlicht hat, der man einen nennenswerten wissenschaftlichen Wert zusprechen kann. Vielmehr wiederholt er Thesen und Fälschungen der kommunistischen Propaganda aus der Zeit der Volksrepublik Polen.“

Nach Musial habe Borodziej in dem fast 3.000 Seiten umfassenden Werk „Die Deutschen östlich von Oder und Neiße 1945–1950. Dokumente aus polnischen Archiven“ keine Dokumente aus Moskauer Archiven berücksichtigt. Dass die Herausgeber – neben Borodziej auch der renommierte Osteuropahistoriker Hans Lemberg – zum Schluss kamen, dass auch polnische Politiker von 1944 bis 1945 Mitschuld an der Vertreibung von Deutschen trügen, hält Musial für ein „verzerrtes Bild von der polnischen Geschichte“, das auch der „kommunistischen Propaganda“ in der Volksrepublik entspreche. In Wirklichkeit sei aber Stalin der eigentliche Urheber der Vertreibung gewesen. Borodziejs These vom „unschuldigen Stalin und den bösen Polen“ sei also grundfalsch.

Dass Borodziej nie behauptete, Stalin sei unschuldig an der Vertreibung, interessiert Musial nicht. Denn für ihn ist klar, dass Borodziej seine Karriere allein seinem Vater zu verdanken habe, der in den 60er- und 70er-Jahren erst in Berlin und dann in Wien für den polnischen Geheimdienst gearbeitet habe. Der Sohn Wiktor Borodziejs, schreibt Musial, „besuchte damals in Wien das Gymnasium (1970–1975). In diesem Zeitraum überwachte sein Vater unter anderem das Simon-Wiesenthal-Zentrum, in dem Włodzimierz Borodziej heute Vorträge hält.“

Daniel Passent, ein renommierter Publizist des Nachrichtenmagazins Polityka, fühlte sich besonders von dieser Passage abgestoßen. Der 1960 geborene Musial sei wohl zu jung, um sich an die 1968er-Denunziationen von Juden durch polnische Kommunisten zu erinnern, schreibt Passent: „Der Bruder ein Volksdeutscher, der Cousin ein Zionist, die Familie in Westdeutschland, Pakete aus den USA.“ Auf so absurde Vorwürfe könne man nur ebenso absurd antworten: „Heil Borodziej!“ GABRIELE LESSER