Autor Markaris über sein Land: "Griechen sitzen gerne im Freien"

Petros Markaris ist einer der bekanntesten griechischen Krimi-Schriftsteller. Sein Kommissar ermittelt jetzt an der Seite eines deutschtürkischen Ermittlers.

Petros Markaris begann mit 69 Jahren, Krimis zu schreiben Bild: dpa

taz: Herr Markaris, haben die Griechen bei der Fußballeuropameisterschaft eine Chance, ihren Titel zu verteidigen?

Petros Markaris: Wenn man eine ganz logische Prognose abgibt: Nein. Wunder geschehen nicht alle vier Jahre.

In ihrem letzten Roman spielten die Olympischen Spiele von 2004 eine bedeutsame Rolle, warum?

Vielleicht, weil ich immer gegen diese Spiele in Athen war.

Warum?

Weil sie mir den Aufwand nicht wert schienen. Sie sind zu kostspielig, für ein kleines Land wie Griechenland. Die Ausgaben für die Bauten - all die Schulden werden jetzt die nächsten 20 Jahre abbezahlt. Größere Länder sind von ihrer Infrastruktur für solche Ereignisse besser geeignet als das kleine Griechenland.

Die Olympiade hat Athen überhaupt nicht zum Positiven verändert?

Sie haben sehr wenig in die Infrastruktur der Stadt investiert. Das meiste ging in diese Riesenbauten, die jetzt vor sich hin rosten. Kein Mensch braucht sie oder will sie haben. Für eine dauerhafte Nutzung sind sie im Unterhalt viel zu teuer.

In ihrem letzten Roman haben sie vor allem Leichen in diese brachliegenden Olympiastätten gelegt. Das war also realistisch gemeint?

Es scheint mir kaum übertrieben. Vieles verfällt und gammelt vor sich hin. An manchen Orten findet gelegentlich ein Kongress statt, die meisten Bauten stehen aber einfach leer.

Ihr Romanheld, Kriminalkommissar Kostas Charitos, kämpft sich durch den Verkehr, die Blechlawine ist das bestimmende Alltagsphänomen für das Leben in der griechischen Hauptstadt?

Das ist das Kreuz, das wir Athener tragen müssen: Diese total unregulierte, chaotische Verkehrssituation.

Sie scheinen ja trotzdem ganz gerne dort zu leben. Was hat Athen außer Chaos denn Angenehmes zu bieten?

Den Sonnenschein. Das schöne Wetter, das Draußensitzen. Alle Athener sitzen gerne im Freien. Sie genießen es.

Sonnenstrahl durch Smogwolke?

Na, auf den Smog legen sie natürlich keinen besonderen Wert. Aber er stört auch nicht wirklich. Mich selber auch nicht. Griechen sitzen einfach gerne im Freien, auch wenn es chaotisch und laut ist.

Sie leben in der Athener Innenstadt?

Ja, ich bin ein Zentrumsmensch. Ich kann in Vororten nicht leben, überhaupt nicht.

Ihre Romanfigur Kostas Charitos ist als Chef der Athener Mordkomission mit einem relativ konservativen Hintergrund ausgestattet. Er war schon während der Diktatur im Justizapparat tätig. Sie selber gelten als linker Humanist, wie passt das zusammen?

Ich hab mich mit der Figur sehr herumgeplagt. Sehen Sie: Ich bin in der Türkei geboren und aufgewachsen. 1965 bin ich nach Griechenland gekommen. Das war zwei Jahre bevor die Junta 1967 die Macht übernahm. Als Linker hatte ich für Polizistenbullen überhaupt keine Sympathie. Sie haben dafür zu viel gesehen und erlebt in diesen Staaten, für Polizisten haben Sie da einfach wenig übrig. Dennoch habe ich mich entschieden, den Bullen mehr oder weniger als sympathische Figur anzulegen. Ein typischer Kleinbürger: Seine Tochter studiert in Thessaloniki Jura, und er schwimmt nicht gerade im Geld.

Der Durchschnittsgrieche?

Der Durchschnittsgrieche in Uniform.

Und der war schon zu Juntazeiten und vor der Demokratie aktiv bei der Justiz?

So ist der Übergang in Griechenland. Von der Diktatur hat man ins andere System gewechselt. Nur die führenden Köpfe wurden in Pension geschickt, das andere blieb, wie es war.

Was sind Charitos herausragende Eigenschaften?

Neben dem Konservatismus seine kommentierende Sicht auf Athen. Aus der Perspektive eines tief konservativen Menschen kritisiert er die Missstände fast wie ein Progressiver. Diese widersprüchliche Haltung ist für Charitos typisch und darin ist er typisch für Griechenland.

Sie haben Brecht, Goethe oder Thomas Bernhard ins Neugriechische übersetzt. Warum haben sie sich als Autor für die Kriminalliteratur entschieden, was fasziniert Sie daran?

Ich bin eines Tage nach Hause gekommen, als ich gerade an einer Fernsehserie schrieb, und ganz plötzlich hatte ich diese dreiköpfige Familie vor mir: Kommissar, Frau und Tochter. Das war der Anfang. Ich lese gerne Kriminalromane, hatte aber nie daran gedacht, selber einen zu schreiben. In den letzten Jahrzehnten hat sich der Kriminalroman nach und nach in einen Gesellschaftsroman verwandelt. Und das ist natürlich interessant.

Gibt es in Griechenland für diese Genre eine Tradition?

Nein. Es gibt sehr interessante Autoren wie Yannis Maris, der aber zur falschen Zeit im falschen Land gelebt hat.

Von Geburt aus gehören Sie zur griechischen Minderheit in Istanbul und studierten in Wien. Was bedeuten ihnen Begriffe wie Heimat oder Integration?

Heimat ist kein Begriff für mich.

Überhaupt keiner?

Ich kann mit dem Wort Heimat gar nichts anfangen.

Wenn man sagt, man kann gar nichts damit anfangen, kann man aber meistens schon was damit anfangen?

Ich bin in Istanbul geboren und aufgewachsen. Mein Vater war Armenier, meine Mutter war Griechin. Ich gehörte zu einer griechischen Familie armenischer Abstammung, und wir sprachen in der Türkei immer griechisch. Ich hab auch türkisch gesprochen, aber ein österreichisches Kolleg in Istanbul besucht. Ich machte Matura und dann ging ich nach Wien und von Wien kam ich nach Athen. Meine Heimatstadt ist also Istanbul.

Nicht Athen?

Nein, alle meine Kindheitserinnerungen sind bis heute mit Istanbul verknüpft. Griechenland ist meine sprachliche Heimat.

Haben Sie nicht einmal gesagt, Deutsch sei Ihre sprachliche Heimat?

Nein, ich schreibe ja griechisch. Meine ersten Träume waren griechisch. Nur, wenn ich über meine kulturelle Heimat rede, dann ist das der deutschsprachige Raum. Mit Begriffen wie Vaterland kann ich nichts anfangen.

War es Zufall, dass sie nicht in Österreich geblieben sind?

Entscheidend war mein Entschluss, auf Griechisch zu schreiben. Als mir das klar wurde, wusste ich auch, dass mein Ort in Griechenland sei. Die moderne griechische Sprache wurde in Athen und nicht in Istanbul gesprochen.

Begriffe wie Integration spielen in Deutschland seit einiger Zeit eine große Rolle.

Ich kann mich sehr leicht überall heimisch fühlen. Ich bin ein eher integrativer Mensch.

Muss man sich integrieren oder assimilieren?

Man muss sich integrieren. Ich betrachte mich nicht als assimiliert, auch in Griechenland nicht.

Das bedeutet?

Dass ich Griechenland immer aus einer Distanz betrachte. Wenn ich mit Freunden spreche, sage ich oft: "Ihr Griechen". Ich bin ein griechischer Staatsbürger, ein griechischer Autor, aber ein Grieche von der Mentalität bin ich nicht.

Das Verhältnis zwischen Griechenland und Türkei war oft schwierig.

Es war immer schwierig, zurzeit ist es entspannter. Ich habe auch selber schlechte Jahre erlebt in der Türkei. Aber, das war nicht allein Schuld der Türkei. Das Zypern-Problem war ein nationalistisches Problem von beiden Seiten. Nationalismus ist keine spezifisch türkische, es ist eine Balkankrankheit.

Xenophobie durchzieht als ein Thema all ihre Erzählungen. Griechenland stellt man sich eher als ein aufgeklärtes und gastfreundliches Land vor?

Gastfreundlich sind die Griechen zu Fremden, die das Land wieder verlassen. Sie haben ein gutes Verhältnis zu Gastarbeitern aus Bulgaren oder Rumänen. Was sie aber weniger gern sehen, sind diejenigen, die kommen, um zu bleiben. Wie viele der Albaner.

Weil die ärmer sind?

Die Griechen hatten historisch nie ein gutes Verhältnis zu den Albanern. Im Zweiten Weltkrieg war Albanien mit dem faschistischen Italien verbündet. Heute sind von den 10 Millionen Menschen in Griechenland eine Million Ausländer. Albaner bekamen in den letzten Jahren oft so genannte Greencards. Die Bauten für Olympia wurden größtenteils von Albanern errichtet. Viele wollen aber ganz in Griechenland bleiben.

Das Leben in Griechenland ist für sie attraktiver?

Das ist ungefähr so wie mit den Türken in Deutschland: Sie wollen nicht mehr zurück. Traditionell fühlen die Griechen sich aber den Serben sehr nahe. Beide waren gegen die Osmanen und beide sind katholisch-orthodox.

Die griechische Linke, Griechenland allgemein galten früher als sehr antiamerikanisch, wie ist das heute?

Griechenland ist immer noch sehr antiamerikanisch. Wenn etwas schiefgeht, dann heißt es: Das waren die Amerikaner. Andererseits war Griechenland während des Kalten Kriegs das einzige westlich orientierte Land auf dem Balkan.

In Ihrem nächsten Kostas-Charitos-Krimi soll ein deutschtürkischer Ermittler eine Rolle spielen. Können Sie uns schon etwas über dieses Buch verraten?

Es ist ein deutschtürkischer Ermittler aus der zweiten Generation in Deutschland, der bei der deutschen Polizei gearbeitet hat und zurück in die Türkei gegangen ist, um dort für die Polizei zu arbeiten. Der Krimi spielt in Istanbul, und Kostas Charitos ist wirklich auf seine Unterstützung angewiesen. Aber mehr verrate ich jetzt nicht.

INTERVIEW: ANDREAS FANIZADEH

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