Kommentar Wirtschaftsprognose: Wanderkarte mit neuen Routen

Das Herbstgutachten zur Wirtschaft erlaubt alternative Deutungen. Aber die Ansätze zeigen, dass die deutsche Wirtschaftswissenschaft offener für neue Diskussionen wird.

Auf den ersten Blick sieht es nach ollen Kamellen aus, was die Wirtschaftsinstitute in ihrem Herbstgutachten anbieten. Ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum bewegt sich im Rahmen bereits veröffentlichter Vorhersagen, ihre wirtschaftspolitischen Empfehlungen hat man schon häufiger so oder so ähnlich gehört: Die Bundesregierung müsse am Reformkurs auf dem Arbeitsmarkt dranbleiben. Sie dürfe bei ihren Sparanstrengungen nicht nachlassen, könne aber über Steuersenkungen nachdenken. Die Tarifpartner hingegen sollten bei Lohnsteigerungen höchst vorsichtig sein.

Auf den zweiten Blick aber zeigt sich, dass der Eindruck eines Déjà-vus trügt. Denn das Gutachten ist diesmal immerhin ein wenig ehrlicher und ein wenig bunter geraten. Ehrlicher, weil es mit dem Mythos aufräumt, eine Konjunkturprognose könne eine Punktvoraussage sein: Die Vorhersage von 2,2 Prozent Wirtschaftswachstum bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass das Bruttoinlandsprodukt im nächsten Jahr mit großer Wahrscheinlichkeit zwischen 1,2 und 3,2 Prozent steigen wird. Das beziffern die Autoren ganz ungeniert.

Bunter ist das Gutachten, weil endlich wieder abweichende Stimmen zitiert werden. Zwar konnten sie sich nicht gegen den neoklassischen Mainstream durchsetzen. Aber drei Fußnoten reichen aus, um die wesentlichen Annahmen und Empfehlungen zu relativieren: Wieso soll sich der Boom bei den Exporten auf die private Nachfrage übertragen, wenn die Löhne bestenfalls moderat steigen? Bringen Investitionen in Bildung und Konjunkturprogramme den Arbeitsmarkt nicht besser in Schwung als die bisherige Niedriglohnpolitik?

Zugegeben, der große Knall ist ausgeblieben. Aber die zaghaften Ansätze machen deutlich, dass es in der deutschen Wirtschaftswissenschaft mehr gibt als den neoklassischen Ansatz. Um zu tatsächlich neuen Diskussionen zu kommen und künftige Déjà-vu-Eindrücke zu vermeiden, wird sich die Bundesregierung bei der nächsten Ausschreibung für das Herbstgutachten deutlich mutiger zeigen und den Kreis der Experten erweitern müssen: Gebt neuen, innovativen Wirtschaftsforschern eine Chance - und das nicht nur als Kooperationspartner der etablierten Institute!

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