Debatte "Kulturenkampf": Diskurs der Eigentlichkeit

Der Mord an Theo van Gogh vor drei Jahren hat die Debatte über den Islam verschärft. Doch wer die Aufklärung verteidigen will, darf sie nicht zum Kulturkampf missbrauchen.

Skepsis gegenüber dem Islam findet sich heute in allen politischen Lagern und allen Milieus der Gesellschaft; sie hat sich seit dem Mord an Theo van Gogh vor drei Jahren deutlich verstärkt. Hinter den Vorbehalten können unterschiedliche Motive stehen - von konservativen Ängsten um die kulturelle Identität dieser Gesellschaft über Sorgen um die innere Sicherheit bis zur Befürchtung, mühsam erkämpfte emanzipatorische Errungenschaften könnten verloren gehen.

Oft gehen die verschiedenen Motive ineinander über, wodurch ungewohnte Allianzen entstehen. Dies machte in den Niederlande etwa den Aufstieg des populistischen Politikers Pim Fortuyn möglich, der 2002 von einem fanatisierten Tierschützer ermordet wurde. Fortuyn wusste den niederländischen Stolz auf liberale Errungenschaften wie etwa die Gleichberechtigung der Geschlechter oder die Anerkennung sexueller Minderheiten für eine antiliberale, autoritäre Ausgrenzungsrhetorik gegen Muslime zu mobilisieren. Obwohl es Politiker mit dem Charisma eines Pim Fortuyn hierzulande nicht gibt, ist sein rhetorisches Muster auch in Deutschland bekannt. Der Anspruch der offenen, liberalen Gesellschaft gerät dabei paradoxerweise zu einem Topos scharfer, antiliberaler Grenzziehung gegenüber Menschen mit muslimischem Hintergrund.

Es wäre falsch zu behaupten, in der öffentlichen Diskussion bestünde generell keine Bereitschaft zu einer differenzierten Betrachtung des Islams. Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 wiesen viele Politikerinnen und Politiker auf die Notwendigkeit hin, zwischen Islam, Islamismus und Terrorismus zu unterscheiden. Dass die große Mehrheit der Muslime nicht mit religiösem Fanatismus oder gar Terrorismus in Verbindung gebracht werden darf, ist seitdem zum festen Bestandteil öffentlicher politischer Rede in Deutschland geworden.

In der öffentlichen Islamdebatte kann man jedoch den Eindruck gewinnen, dass solche Differenzierungen eigentümlich folgenlos bleiben. Erscheinungsformen eines religiösen Autoritarismus oder religiös motivierter Gewalt werden vielmehr oft als besonders symptomatisch für den Islam angesehen, dessen "wahres Wesen" sich darin zeige. Die Tatsache, dass eine große Mehrheit der Muslime nichts von erzwungenen Heiraten hält und keinerlei Sympathien mit religiös motiviertem Terror hegt, verblasst im Schatten eines vermeintlich "eigentlichen" Islams, der nach wie vor mit Fanatismus, Autoritarismus und Militanz assoziiert wird.

Eine solche Semantik der "Eigentlichkeit" bildet das größte Hindernis für eine differenzierte Wahrnehmung des Islams und der Muslime. Ironischerweise ist eine Semantik der "Eigentlichkeit" - allerdings mit umgekehrten Vorzeichen - auch unter Muslimen verbreitet, die den "wahren Islam" als friedlich, ökumenisch und menschenfreundlich beschreiben. Unter Muslimen findet eine kritische Auseinandersetzung mit der Realität eines islamischen Fundamentalismus und Autoritarismus deshalb zu wenig statt.

Deutschland versteht sich als Land, dessen öffentliche Kultur von Postulaten der Aufklärung geprägt ist. Eine Verteidigung der Aufklärung kann aber nur im Geiste der Aufklärung gelingen, also im Bemühen um sorgfältige Analyse, in der Kritik stereotyper Verallgemeinerungen und in der Bereitschaft zu kommunikativer Auseinandersetzung. Mit anderen Worten: Die Bewahrung der Aufklärung und ihrer Errungenschaften ist nur als Fortsetzung der Aufklärung möglich, die sich auf diese Weise einmal mehr als unvollendet erweist.

Diese Klarstellung richtet sich gegen die verbreitete Vorstellung, die westlichen Gesellschaften hätten die Aufklärung bereits hinter sich, während "der Islam" den Prozess der Aufklärung noch kaum begonnen habe. Dass die Berufung auf die Aufklärung eine solch ausgrenzende Funktion annehmen solle, hatte bereits 1994 der Philosoph Hans Ebeling formuliert. Seine Streitschrift "Der multikulturelle Traum" kulminiert in der Forderung, "dass heute die Aufklärung eine Funktion übernehmen muss, die spätestens seit Karl Martell und der Schlacht zwischen Tours und Poitiers (732) auf der Länge eines nicht unbedeutenden Jahrtausends gerade das Christentum wahrgenommen hatte".

Oft wird dem Islam eine gleichsam wesenhafte Aufklärungsresistenz entgegengehalten. Dazu gehört der Hinweis, im Islam gelte - anders als im Judentum und Christentum - die heilige Schrift wortwörtlich als von Gott diktiert und als menschlicher Interpretation nicht zugänglich. Damit wird gläubigen Muslimen generell abgesprochen, überhaupt Lernfortschritte in Richtung Liberalisierung und Aufklärung leisten zu können. Andere wiederum plädieren für einen "aufgeklärten" Islam, definieren seine Kriterien jedoch so eng, dass ein Erfolg von vornherein unwahrscheinlich ist. Man mag es beispielsweise attraktiv finden, dass in Moscheen irgendwann einmal öffentliche Lesungen von Salman Rushdies "Satanischen Verse" stattfinden könnten. Wer solche Lesungen aber hier und heute zum Testfall von Integrationsbereitschaft erklärt, legt die Hürden so hoch, dass sie selbst dezidiert liberale Muslime zum Stolpern bringen müssen.

Wer in dieser zunehmend polarisierten Debatte auf wissenschaftliche oder journalistische Sorgfalt pocht, wird schnell verdächtigt, verflossenen Multikulti-Illusionen nachzuhängen. Vielfach dient die Berufung auf die Aufklärung sogar dazu, erarbeitete Sensibilitäten im Umgang mit religiös-kulturellen Minderheiten als vermeintliche Tabus der sogenannten Political Correctness zu entlarven und einer provokativen Klartextsemantik die Bahn zu brechen, die selbst das Spiel mit Ressentiments nicht scheut. Eine "Aufklärung" aber, die sich vom Anspruch analytischer Präzision und von Fairnessgeboten im Umgang mit Minderheiten dispensiert sieht, hat jedoch nichts mehr gemein mit jener aufgeklärt-humanistischen Tradition, auf der die Menschenrechte sowie die Normen und Institutionen des demokratischen Rechtsstaats ruhen. Wer die Aufklärung zur Grenzmarkierung im Kulturkampf gegen Muslime einsetzt, verkehrt ihren Anspruch, indem er daraus einen Vorwand für mentale Abschottung macht.

Natürlich sind Zwangsverheiratungen, Fundamentalismus und Gewaltverherrlichung mit dem Anspruch von Aufklärung unvereinbar. Diese Phänomene müssen, auch wenn es um eine Minderheit geht, offen angesprochen werden. Produktiv sein kann eine solche Kritik aber nur dann, wenn sie Pauschalisierungen und vorschnelle Erklärungen vermeidet. Diese notwendige Kritik mit der Bereitschaft zur gesellschaftlichen Selbstkritik zu verbinden und auf Selbstgerechtigkeit zu verzichten, hat nichts mit einer in Europa verbreiteten "Lust am Einknicken" zu tun, wie Henryk M. Broder uns weismachen will. Sie entspricht vielmehr einem Verständnis von Aufklärung als Lernprozess, der für niemanden als abgeschlossen gelten kann.

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