Kommentar Einzelhandelsstreik: Das perfide Spiel der Arbeitgeber

Mit dem Einsatz von Leiharbeitern hebeln Supermarktketten den Streik im Einzelhandel aus. Damit machen sie sich deren Zwangslage zunutze.

Es mag überraschend klingen - der Einzelhandel streikt, und zwar seit Monaten. Während die Lokführer mit ihrem fulminanten und letztlich erfolgreichen Arbeitskampf die ganze Republik beschäftigten, ist die Bilanz des Verkäuferinnen-Streiks im Einzelhandel traurig. Kaum jemanden stört der Ausstand, ihr Streik bleibt unsichtbar. Die Strategie der Arbeitgeber, Leiharbeiterinnen anzuheuern und ersatzweise an die Supermarktkassen zu setzen, ist somit erfolgreich. Allerdings ist dieser organisierte Streikbruch juristisch fragwürdig und gleich in mehrfach Hinsicht perfide.

Wer bei einer Zeitarbeitsfirma anfängt, war zuvor oft arbeitslos, er nutzt gleichsam die letzte Chance, einen Arbeitsplatz zu ergattern. Notgedrungen flexibel, immer in Zugzwang, sich neu bewähren zu müssen, befinden sich Leiharbeiter auf dem Markt naturgemäß in einer schwachen Position. Die Firmen, die sie jetzt in die Supermärkte schicken, machen sich diese Zwangslage zunutze und schwächen dadurch auch die regulär Angestellten. Durchsetzen kann sich nur, wer schwer ersetzbar ist, siehe Lokführer. Diese Schwachen lassen sich trefflich gegeneinander ausspielen. So zielt die Arbeitgebertaktik ins Herz gewerkschaftlicher Macht. Eine Gewerkschaft, die monatelang weitgehend unbemerkt zum Streik aufruft, besitzt nicht die Kraft, die berechtigten Interessen ihrer Mitglieder durchzusetzen.

Hier kommt die große Koalition ins Spiel. Derzeit diskutiert sie Mindestlöhne, um die schlimmsten Auswüchse des Niedriglohnsektors zu korrigieren. Die Union verweist dabei gerne auf die Verantwortung der Tarifparteien. Doch ist mit angeblich modernen Beschäftigungsformen wie Minijobs oder Zeitarbeit die Machterosion des einen Tarifpartners - der Gewerkschaften - in den vergangenen Jahren massiv befördert worden. Die Folgen lassen sich im Einzelhandel, in dem vor allem Frauen tätig sind, besichtigen wie in kaum einer anderen Branche: Vollzeitarbeitsplätze mit Tarifgehalt gibt es immer weniger, ein Heer von 400-Euro-Jobberinnen und schlecht bezahlten Teilzeitkräften erledigt die Arbeit. Eine Tarifpartnerschaft besteht dort längst nicht mehr - und sie ist auch nicht politisch gewollt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.