Zehn Jahre American Jewish Committee in Berlin: "Antisemitismus tritt heute offener auf"

Zwar sei die Sensibilität für Antisemitismus gestiegen, so die Leiterin der Berliner American Jewish Committee, aber die wachsende USA-Feindlichkeit werde jetzt zum Problem.

Die USA machen sich in Deutschland unbeliebt. Das erschwert die Arbeit der Organisation. Bild: dpa

taz: Frau Berger, zehn Jahre ist das American Jewish Committee (AJC) nun schon in Deutschland, als erste amerikanisch-jüdische Organisation überhaupt - wie viele antisemitische Briefe, E-Mails und Anrufe erhalten Sie pro Woche?

Deidre Berger: Wir sind da nicht direkt in der Frontlinie, weil wir keine deutsche Organisation sind. Wir kriegen es aber hautnah mit, weil wir eng verbunden sind mit deutschen jüdischen Organisationen und mit betroffenen Politikern. Man muss nicht jüdisch sein, um antisemitische Schmähbriefe zu bekommen.

Es gibt Hinweise, dass der Antisemitismus hierzulande offener auftritt als vor zehn Jahren, gar steigen soll. Entspricht das Ihrer Erfahrung?

Wir haben schon das Gefühl, dass antisemitische Vorurteile offener geäußert werden als früher. Ob es mehr sind als früher, ist schwer zu sagen, da die Instrumente, dies zu messen, sehr begrenzt sind. Und es gibt unterschiedliche Definitionen von Antisemitismus je nach Bundesland. Auch die Sensibilität zum Thema variiert. Was wir merken, ist, dass in der jüdischen Umgebung die Angst in den vergangenen zehn Jahren größer geworden ist. Gestiegen ist die Zahl antisemitischer Vorfälle, von denen wir hören: ob in der rechten Szene, in der Mitte der Gesellschaft oder in linken, globalisierungskritischen Gruppen.

Fühlen Sie sich in Sachen Antisemitismus manchmal wie Don Quichotte im Kampf gegen Windmühlen?

Nein. Der Antisemitismus ist zwar offener als früher. Aber das öffentliche Bewusstsein ist auch ganz anders als noch vor zehn Jahren. Ein Beispiel: Heute gibt es einen Beauftragten im Auswärtigen Amt, der sich mit dem Thema Antisemitismus beschäftigt.

Eine der Aufgaben des AJC-Büros in Deutschland ist das direkte, nicht-öffentliche Gespräch mit Entscheidungsträgern vor allem in der Politik. Ist der Zugang leichter als früher?

Wir sind sehr dankbar, dass wir einen sehr guten Zugang zu Entscheidungsträgern von Anfang an bekommen haben. Was leichter klappt: Wir sind besser etabliert, wir müssen nicht mehr so viel erklären, wer wir sind und was wir machen. Unser Zugang hat sich aber auch verbessert, weil wir enge Partner haben - etwa bei den politischen Stiftungen, bei den NGOs, bei deutsch-jüdischen Organisationen, im Parlament, in der Regierung und in den Medien.

Bei der Zwangsarbeiterentschädigungsfrage haben Sie eine Liste zahlungsunwilliger Firmen veröffentlicht. Zehn Tage später wurde der Fonds Realität. Ihr größter Erfolg?

Das war sicherlich ein großer Erfolg. Wichtig war auch, dass wir vor der Berliner OSZE-Antisemitismus-Konferenz 2004 ein NGO-Forum ins Leben gerufen haben, das die Konferenz beeinflussen sollte - und solche Foren sind jetzt Standard bei allen OSZE-Foren zu diesem Thema geworden. Am Herzen liegt uns neben Kooperationen mit deutsch-türkischen Organisationen auch unser Demokratie-Bildungsprogramm "Hands across the Campus", an dem 18 Schulen, auch Grundschulen, in Berlin und Brandenburg teilnehmen. Auch das Interesse in anderen Bundesländern daran ist sehr groß.

Vergangenes Jahr machte auch in Deutschland das Buch zweier amerikanischer Politologen über die "Israel Lobby" Furore. Hat diese Diskussion Ihrer Arbeit geschadet?

Ja und nein. Das Buch wurde wahrgenommen und wurde zum Teil positiv in der Presse rezensiert. Aber es hatte nicht die große Resonanz, die es in den USA hatte, weil es keine so großen jüdischen Organisationen in Deutschland gibt. Diese Art von Israel-Lobby-Arbeit ist nicht so direkt in Deutschland. Der Boden war hier weniger fruchtbar. Aber der Begriff "Israel-Lobby" ist nun fest etabliert, was sehr problematisch ist, weil es in dieser Form keine "Israel-Lobby" gibt, auch nicht in den USA. Aber diese Feinheiten hier zu erläutern, ist nicht immer leicht. Das Buch hat uns jedenfalls in Situationen gebracht, in denen wir die Arbeit jüdischer Organisationen sehr ausführlich erklären mussten - so hat es nur bedingt mit jüdischen Organisationen zu tun, dass die USA traditionell gute Beziehungen zu Israel haben.

Auch wenn es unlogisch ist, so erschwert es Ihre Arbeit stets, wenn es Kritik an Washingtons Israel-Politik gibt. Glauben Sie, dass Ihre Arbeit nach dem baldigen Ende der Regierung Bush leichter wird?

Es war nicht immer leicht in den vergangenen Jahren, die amerikanische Regierungspolitik darzustellen - egal, ob wir ihr zugestimmt haben oder nicht. Aber gleichgültig, wer am Ende in den USA das Rennen macht: Wir haben die Hoffnung, dass sich etwas Entspannung in der deutsch-amerikanischen Wahrnehmung einstellt. Die deutsch-amerikanischen Beziehungen auf Regierungsebene sind gut. Aber das ist etwas anderes als die öffentliche Wahrnehmung. Und die betrifft uns.

INTERVIEW: PHLIPP GESSLER

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.