Debatte Beginn der Tarifrunde: Acht Zylinder und ein Kind

Einst stand der Lohn der Versorgerväter im Zentrum gewerkschaftlicher Forderungen. Eine zeitgemäße Strategie braucht andere Konzepte.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kommt zu einem klaren Befund. In einer Studie haben die Berliner Wissenschaftler die "Ursachen der Diskrepanz zwischen Kinderwunsch und Kinderzahl" untersucht. Für fast alle der befragten Männer, so Gert Wagner vom DIW, ist "das klassische Ernährerprinzip nach wie vor von hoher Bedeutung". Bevor sie sich zutrauen, Vater zu werden, sei ihnen enorm wichtig, über eine stabile ökonomische Basis zu verfügen: "Der Kinderwunsch hängt am sicheren Einkommen."

Karriere, acht Zylinder, ein volles Bankkonto - und frühestens dann einen Apfelbaum pflanzen? Sind Männer erst bereit, sich auf verbindliche Beziehungen und Familiengründung einzulassen, wenn die Kasse stimmt? Trotz Emanzipation und weiblicher Erwerbstätigkeit, trotz neuer Angebote wie Elterngeld und Papamonaten definiert sich eine große Gruppe weiterhin als finanzieller Hauptversorger. Zwar pflegen (wachsende) Minderheiten "neuer Väter" einen monetären Pragmatismus, haben kein Problem mehr damit, zeitweise auch mal weniger zu verdienen als ihre Partnerin. Doch die grundsätzliche Orientierung an archaischen Rollenbildern verändert sich nur langsam. Vor allem in den Dörfern und Kleinstädten der (west)deutschen Provinz geht der Mann weiterhin ganz selbstverständlich hinaus ins "feindliche Leben", wie schon Friedrich Schiller in der "Glocke" dichtete. Und "drinnen waltet", wenn auch vielleicht nicht mehr "züchtig", die Hausfrau und Mutter, die bestenfalls als Teilzeitkraft oder Minijobberin hinzuverdient.

Staatliche Familienpolitik wie auch gewerkschaftliche Tarifpolitik trugen in der Vergangenheit dazu bei, dass sich diese Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern verfestigte. Steuervorteile wie das Ehegattensplitting und sozialpolitische Förderung wie die Mitversicherung nicht oder gering verdienender Ehepartnerinnen in der Krankenkasse lenkten Paare in die traditionelle Richtung. Die Tarifparteien hatten, wenn sie über Lohnprozente, Eingruppierungen oder Extras für körperlich anstrengende Tätigkeiten verhandelten, stets den väterlichen Ernährer im Blick. Das Einkommen des Mannes, so lautete das gewerkschaftliche Ziel seit dem 19. Jahrhundert, sollte ausreichen, Frau und Kinder zu versorgen - ein geschlechterhierarchisches Entgeltsystem nahm man dafür in Kauf. "Schafft Zustände, worin jeder herangereifte Mann ein Weib nehmen, eine durch Arbeit gesicherte Familie gründen kann", hieß es pathetisch 1866 in einem Aufruf der deutschen Abteilung der Internationalen Arbeiterassoziation.

Dieses bürgerliche Ideal konnte die Gewerkschaftsbewegung lange Zeit nicht einmal ansatzweise verwirklichen.

Bekanntlich mussten anfangs auch die Kinder in den Fabriken schuften. Dass Frauen "im feindlichen Leben" Geld verdienten und nicht züchtig zu Hause blieben, war im proletarischen Milieu stets schlichte Notwendigkeit. Erst der Wirtschaftsboom nach dem zweiten Weltkrieg eröffnete manchen Paaren und Familien neue Möglichkeiten. "Die Frau des Stahlarbeiters braucht nicht zu arbeiten", hieß es stolz zum Beispiel im Ruhrgebiet.

Männer und Väter betrachteten es als gute Tat, als Symbol ihrer finanziellen Potenz, ihren Partnerinnen die Erwerbsarbeit ersparen zu können. Ihre Interessenvertreter in den Gewerkschaften griffen diese Bedürfnisse auf. In zähen Verhandlungen mit den Arbeitgebern fixierten sie in den Tarifverträgen "Familienkomponenten". Typisch für manche dieser Zusatzleistungen war, dass sie weniger die Familien als das männliche Alleinversorgermodell stützten.

Das Einkommensgefälle zwischen den Geschlechtern hat hier seinen Ursprung. Die Lohnarbeit des Mannes wurde schon deshalb höher bewertet, weil er zu Hause zahlreiche hungrige Mäuler zu stopfen hatte. Die weibliche Erwerbstätigkeit hingegen galt (und das gilt teilweise bis heute) als eine Art Luxus, der der Familie vielleicht den Zweitwagen oder die Urlaubsreise, nicht aber das Notwendigste sichert. Es schien deshalb weniger wichtig, Frauenarbeit gut zu bezahlen.

Familienförderung, die sich im Kern als Ernährerförderung versteht, hat an Bedeutung verloren. Im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst zum Beispiel, der seit Oktober 2005 den früheren Bundesangestelltentarif abgelöst hat, spielt sie keine große Rolle mehr. Arbeitgeber wie Gewerkschaften argumentieren nun mit dem Grundsatz: gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit. Immerhin hat diese Maxime dazu beigetragen, dass die Schere zwischen Männer- und Frauenlöhnen weniger weit geöffnet ist als vor vier oder fünf Jahrzehnten.

Steuersystem und Sozialstaat fördern weiterhin den männlichen Hauptverdiener. Die Debatten um Unterhaltsrecht, Splittingprivileg oder Witwenrente zeigen aber, wie umstritten die Subventionierung der Hausfrauenehe mittlerweile ist. Eltern fühlen sich nicht mehr passend unterstützt- vor allem wenn sie sich berufliche und private Aufgaben tatsächlich teilen wollen. Die Instrumente, die Konrad Adenauers Familienminister Franz-Josef Wuermeling vor fünfzig Jahren als Fortschritt verkaufte, gehören abgeschafft, weil sie der Vielfalt der Lebensformen nicht mehr entsprechen. Gewerkschaften, deren Mitglieder wie bei Ver.di zur Hälfte weiblich sind, können nicht mehr als Lobbyvereinigung männlicher Facharbeiter auftreten. Sie haben dazugelernt, ihre Strategien kreisen heute nicht mehr ausschließlich um den männlichen Alleinversorger. In dem Bemühen, diskriminierende Leistungen aus den Tarifverträgen zu verbannen, sind sie aber weit über das Ziel hinausgeschossen. Denn es ist weiterhin sinnvoll, "Familienkomponenten" in die Verhandlungen einzubringen - wenn diese nicht mehr dazu dienen, alte Geschlechterhierarchien aufrechtzuerhalten.

Zu den gesetzlichen Aufgaben der Betriebs- und Personalräte gehört seit 2001 auch, sich für eine familienbewusste Arbeitsgestaltung einzusetzen. Ein besonderes Anliegen gewerkschaftlicher Interessenvertreter könnte die Unterstützung von Müttern wie Vätern sein, die Elternzeit genommen haben. Warum wird in Dienstvereinbarungen nicht häufiger fixiert, dass der Betrieb während der Babypause regelmäßige Fortbildungen anbietet, um den Kontakt zum Unternehmen nicht abreißen zu lassen? Warum kann nicht vertraglich festgeschrieben sein, mit welchen Sach- oder Geldleistungen Firmen zur frühzeitigen Rückkehr von Eltern beitragen?

Wirtschaftsforscher Gert Wagner zieht aus seinen Befragungen den Schluss, erfolgreiche Familienpolitik müsse "Unsicherheit reduzieren". Um mehr Männer zum Kinderkriegen zu motivieren, sollten es "die Arbeitgeber mit Zeitverträgen nicht übertreiben". Die Empfehlung des Wissenschaftlers klingt gut - aber seit wann hören Firmenbosse und Personalchefs auf moralische Appelle? Schriftliche Abmachungen, wie sie die Tarifparteien abschließen, dürften da mehr bewirken.

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