Sterbehilfe-Debatte: Selbsttötung als Gesellschaftskonzept?

Seit der Dignitas-Ankündigung, in Deutschland einen Kranken in den Tod begleiten zu wollen, reißt die Debatte über Sterbehilfe nicht mehr ab.

Ludwig A. Minelli, Generalsekretär der Sterbehilfe-Organisation «Dignitas» Bild: dpa

Die Pläne der Schweizer Sterbehilfeorganisation Dignitas, in Deutschland Schwerkranke bei der Selbsttötung zu begleiten, stoßen bei Ärztevertretern, der Hospizbewegung und Kirchen auf heftige Kritik. "Es ist inakzeptabel, dass sich Menschen selbst töten. Selbst wenn man das nur in Ausnahmen zulässt, ist ein moralischer Dammbruch zu befürchten", sagte Andreas Botzlar von der Ärztegewerkschaft Marburger Bund am Freitag der taz. Auch Stefan Vesper vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) sagte: "Es ist mit unserer Vorstellung von Menschenwürde nicht vereinbar, dass man ein Angebot macht zur geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung."

Dignitas hatte angekündigt, mit einem juristischen Präzedenzfall das Recht auf den begleiteten Selbstmord auch in Deutschland durchsetzen zu wollen. Nach Angaben der Organisation hat sich bereits ein pensionierter Arzt gefunden, der einen Schwerkranken beim Sterben betreuen würde. Dignitas-Vertreter sind der Auffassung, dass die Suizidbegleitung in Deutschland möglich sein sollte. "Die Menschen wollen beim Sterben nicht allein sein. Es sollte ein Fachmann dabei sein dürfen, der sich auskennt", sagte Uwe-Christian Arnold, Zweiter Vorsitzender des deutschen Ablegers Dignitate.

Seit dem Dignitas-Vorstoß reißt die Debatte nicht mehr ab: Unionspolitiker fordern ein Verbot von Sterbehilfeorganisationen. Auch SPD-Vertreter wollen Dignitas das Handeln untersagen. Die CDU-regierten Länder Thüringen, Hessen und Saarland hatten schon vor anderthalb Jahren einen Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht, dem zufolge auf die "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren stehen soll.

Andreas Botzlar vom Marburger Bund hat nichts dagegen, dass sich die Gerichte mit dem Thema Sterbehilfe befassen. "Man kann die Auffassung teilen, dass da ein juristischer Klärungsbedarf besteht." Mit einer neuen Rechtsprechung würde eine Argumentationsgrundlage geschaffen. Er selbst lehnt eine Ausweitung der Sterbehilfe aber ab. Patienten könnten sich unter Druck gesetzt fühlen, ihr Leben zu beenden, um die Familie nicht weiter zu belasten. Beim Sterben nachzuhelfen ist seiner Meinung nach auch nicht mit der Rolle des Arztes vereinbar. "Wir wollen keinesfalls in die Situation kommen, sozusagen zum Henker zu werden."

Eugen Brysch, Geschäftsführer der Deutschen Hospizstiftung, hält die gegenwärtige Diskussion über das Thema Sterbehilfe durchaus für sinnvoll. "Die Frage ist: Wollen wir die Selbsttötung als gesellschaftliches Konzept?" Wenn man das ablehne, müsse man Konsequenzen ziehen. "Dann sollten wir eine bessere Basisversorgung für Schwerkranke und Behinderte organisieren, die eine Pflege in Würde garantiert."

Dignitas wirft er vor, die ethische Diskussion nur deshalb zu führen, um von den eigenen geschäftsmäßigen Interessen abzulenken. Dignitas finanziere sich nicht nur über Mitgliedsbeiträge, sondern überwiegend über die begleitete Selbsttötung. "Wenn diese Maschinerie unterbrochen wird, hat der Verein ein wirtschaftliches Problem."

Dignitas hat zurzeit vor allem Ärger in der Schweiz. Nach Protesten von Nachbarn musste sich der Verein eine neue Wohnung suchen, doch mehrere Gemeinden stellten sich quer. Zuletzt geriet Dignitas in die Schlagzeilen, weil sich zwei Deutsche auf einem Parkplatz das Leben nahmen. Dazu sagte der Gründer Ludwig Minelli: Es sei die Entscheidung der Deutschen gewesen, im Auto zu sterben. Auch die Angehörigen sollen einverstanden gewesen sein.

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