Begleiteter Freitod: "Ich habe Verständnis"

Exbundesrichter Klaus Kutzer über die Gründe, die für eine Liberalisierung der Rechtslage sprechen.

In Beligen gibt es in Apotheken sogar so genannte Sterbehilfe-Kits zu kaufen Bild: dpa

taz: Herr Kutzer, die CDU/CSU will Dignitate sowie andere organisierte Selbstmordhelfer bestrafen und verbieten. Was halten Sie davon?

Klaus Kutzer: Die gewerbsmäßige Förderung des Selbstmords kann man ruhig untersagen. Problematisch ist aber, wenn - so wie es Hessen, Thüringen und das Saarland vorschlagen - bereits die geschäftsmäßige Förderung verboten werden soll.

Wo liegt der Unterschied?

Deutschland ist nicht die Schweiz. Zwar ist die Beihilfe zum Selbstmord in beiden Länder straffrei. In Deutschland muss ein Anwesender aber eingreifen, sobald der Lebensmüde nicht mehr bei Bewusstsein ist. Deshalb ist ein von Ärzten oder Angehörigen begleiteter Selbstmord in Deutschland strafbar, in der Schweiz aber möglich. Lebensmüde - wie etwa unheilbar kranke Personen mit hohem Leidensdruck -, die sich nicht vor einen Zug werfen wollen, sondern lieber mit einem schonenden Medikament im Beisein eines Betreuers aus dem Leben scheiden, reisen bisher oft in die Schweiz, wo sie vom umstrittenen Verein Dignitas betreut werden. Der deutsche Ableger Dignitate will jetzt auch die Rechtslage in Deutschland ändern - die nicht im Gesetz steht, sondern nur auf Gerichtsurteilen beruht. CHR

KLAUS KUTZER, 71, hat als Richter am Bundesgerichtshof die Rechtsprechung zur Sterbehilfe maßgeblich mitgeprägt. Bis 2001 war er 20 Jahre lang Richter am BGH.

Gewerbsmäßige Aktivitäten zielen auf Profite ab, geschäftsmäßig ist dagegen bereits alles, was regelmäßig gemacht werden soll.

Dignitate sagt, der Verein verfolge keinerlei kommerzielle Interessen

Das muss man natürlich streng kontrollieren. Aber wenn es stimmt, kann man so eine Vereinigung nicht einfach strafrechtlich ausgrenzen. Derartige Pläne halte ich sogar für verfassungswidrig.

Warum?

Wenn schon der Hinweis auf Möglichkeiten in der Schweiz verboten werden soll, wäre die Meinungsfreiheit verletzt. Und wenn es um die Hilfe zum Selbstmord in Deutschland geht, dann ist die allgemeine Handlungsfreiheit berührt.

Dignitate bereitet einen Präzedenzfall vor, um die Straflosigkeit des begleiteten Selbstmordes auch in Deutschland durchzusetzen. Die CDU/CSU findet das unerträglich. Sie auch?

Nein. Ich habe sogar gewisses Verständnis dafür. Die Rechtsprechung des BGH zum Selbstmord ist in einigen Fragen wirklich korrekturbedürftig.

So etwas sagen Sie als ehemaliger BGH-Richter?

Nicht nur ich, erst voriges Jahr hat auch der Deutsche Juristentag Korrekturen gefordert. Deshalb stört es mich auch, wenn manche so tun, als vertrete Dignitate völlig indiskutable Positionen.

Wo halten Sie Änderungen der BGH-Rechtsprechung für notwendig?

Heute ist es in Deutschland nicht möglich, dass ein Arzt oder Angehöriger einen frei verantwortlichen Selbstmord bis zum Tod begleitet. Hilfe zum Selbstmord ist zwar straflos, aber sobald die lebensmüde Person das Bewusstsein verliert, muss ein Anwesender doch eingreifen. Ärzte, Ehegatten und andere so genannte Garanten machen sich sonst wegen Tötung durch Unterlassen strafbar. Sonstige Personen, etwa Freunde und Bekannte, können wegen unterlassener Hilfeleistung bestraft werden. Das Selbstbestimmungsrecht des Menschen muss aber auch dann beachtet werden, wenn er das Bewusstsein verloren hat.

Wer zu einem Selbstmord hinzukommt, weiß aber nicht, ob der Akt frei verantwortlich war oder nur Ausdruck eines Depressionsschubs.

Wenn die Situation unübersichtlich ist, sollte es bei der bisherigen Rechtsprechung bleiben. Besser einmal zu viel gerettet als einmal zu wenig. Aber wenn sich ein krebskranker Mann nach langen Gesprächen mit seiner Frau zum Selbstmord entschließt, weiß sie ja, dass dies keine Kurzschlussreaktion ist.

Es macht für Sie also einen Unterschied, ob jemand dabeibleibt oder hinzukommt?

Auf jeden Fall. Aber auch wenn ein Arzt zu seinem Patienten kommt und diesen sterbend mit einem Abschiedsbrief vorfindet, kann es sein, dass er vom frei verantwortlichen Todeswunsch weiß und deshalb nicht strafrechtlich gezwungen werden sollte, den Selbstmörder ins Krankenhaus zu bringen.

Ist es realistisch, dass der BGH seine Rechtsprechung ändern könnte?

Warum nicht? Das sind zum Teil jahrzehntealte Urteile. Ich bin in dieser Zeit auch liberaler geworden.

Warum braucht man einen Präzedenzfall? Gibt es sonst keine Verfahren, bei denen der BGH seine Rechtsprechung überprüfen könnte?

Ich vermute, dass es sogar ein riesiges Dunkelfeld gibt. Wo aber niemand Strafanzeige erstattet, wird auch die Polizei nicht eingeschaltet. Und selbst die Staatsanwaltschaften drücken vermutlich oft beide Augen zu.

Kann man dann nicht alles lassen, wie es ist?

Nein, im Rechtsstaat muss Rechtssicherheit herrschen. Man muss wissen, was verboten ist und was erlaubt.

Was halten Sie davon, wenn ein Arzt ein todbringendes Medikament besorgt, der sterbewillige Patient es selbst einnimmt und der Arzt dann bis zum Tod bei seinem Patienten bleibt?

Das wäre ein ärztlich assistierter Suizid, bei dem sich der Arzt möglicherweise auch wegen Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz, das Betäubungsmittelgesetz und das ärztliche Berufsrecht strafbar macht. Dabei handelt es sich um Vorgaben des Gesetzgebers und der ärztlichen Standesorganisationen, die der BGH nicht ändern kann.

Die von der Bundesärztekammer aufgestellten Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung sagen generell: Die "Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung verstößt gegen das ärztliche Ethos". Geht das nicht etwas weit?

Wenn man die Vorgabe absolut versteht, ist sie ein unerlaubt tiefer Eingriff in die ärztliche Berufsfreiheit. Es droht bei Verstößen gegen die Standespflicht ja immer der Entzug der Approbation. Aber da es sich um Grundsätze handelt, müssen auch Abweichungen möglich sein, vor allem bei einem frei verantwortlichen Suizid in medizinisch aussichtsloser Lage.

Sie sprechen immer von frei verantwortlichen Selbstmorden. Wie groß ist deren Anteil an allen Suiziden und Suizidversuchen?

Experten gehen von maximal zehn Prozent aus. Bei alten Menschen mit schweren Krankheiten dürfte der Anteil frei verantwortlicher Selbstmorde aber höher liegen.

Falls der BGH seine Selbstmordrechtsprechung liberalisiert, wäre das nicht ein Signal, dass bald auch das Verbot der aktiven Sterbehilfe fällt?

Überhaupt nicht. Man sieht ja, dass in Ländern mit liberaler Selbstmordrechtsprechung wie der Schweiz das Verbot der Sterbehilfe immer noch besteht. Strafrechtlich handelt es sich auch um zwei völlig unterschiedliche Tatbestände. Beim Selbstmord tötet sich ein Mensch selbst, eventuell mit Hilfe eines anderen. Bei der aktiven Sterbehilfe tötet der Täter einen anderen Menschen, wenn auch auf dessen Wunsch. Das Tabu, einen anderen Menschen zu töten, muss bestehen bleiben, schon wegen der Missbrauchsgefahr.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH

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