Jugendstrafrecht: Erziehung statt Strafe

Welche Maßnahmen greifen, wenn Jugendliche straffällig geworden sind? In den Knast soll nur der kommen, bei dem alle anderen erzieherischen Mittel nicht mehr greifen.

Lieblings-Besserungsanstalt der Union: das Boxcamp von Lothar Kannenberg. Bild: ap

FREIBURG taz Die Debatte um das Jugendstrafrecht nimmt kein Ende. Doch viel zu wenig ist bekannt, welche Ziele das gegenwärtige Recht hat und wie es funktioniert. Die von der CDU angeheizte Diskussion um härtere Strafen übersieht, dass das Jugendgerichtsgesetz einen ganz anderen Ansatz hat. Sanktionen wie Haft, die oft noch die Verankerung in kriminellen Subkulturen stärken, sollen möglichst vermieden werden. Jugendliche sollen vielmehr ihre Einstellung ändern, glauben Jugendrichter, nur so sei auch eine Änderung des strafbaren Verhaltens zu erreichen.

CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla hat die Kritik des Zentralrats der Juden zurückgewiesen, die von der Union angeheizte Debatte über junge ausländische Gewalttäter nutze den Rechtsextremisten. Die angestrebte Verschärfung des Jugendstrafrechts "gilt für alle Jugendlichen in Deutschland", sagte Pofalla am Dienstag im RBB-Inforadio. Der SPD warf er eine Blockadehaltung vor. Sie sei bei dem Thema "stur wie immer". Noch markigere Worte fand Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) für SPD-Altkanzler Schröders Kritik, in der Gewaltdebatte seien Kanzlerin Merkel und Hessens Ministerpräsident Roland Koch "auf dem rechten Auge blind". "Ich halte die Äußerungen fast für eine Grenzüberschreitung zur Flegelhaftigkeit", sagte Glos gestern in Kreuth. Für die SPD konterte Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) mit einem scharfen Angriff auf Koch. Es sei ein "Treppenwitz", dass sich der CDU-Politiker derzeit "mit schneidigen Parolen" gegen Jugendkriminalität ins Bild setze, während er doch selber "durch Privatisierungen und Mittelkürzungen dieses Problem in seinem Bundesland noch verschärft" habe, so Zypries gestern auf einer Tagung des Deutschen Beamtenbundes in Köln. Erneut lehnte sie Gesetzesänderungen ab. Der beste Schutz vor Gewalt sei die Vorbeugung von Straftaten.

Zunächst versuchen die Richter mit erzieherischen Mitteln auf straffällige Jugendliche einzuwirken. Als Weisung können sie den Besuch bestimmter Orte oder den Kontakt zu bestimmten Personen verbieten, die einen schlechten Einfluss ausüben. Sie können die Wiedergutmachung des Schadens im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs auferlegen oder die Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs verlangen.

Für gewalttätige Jugendliche gibt es dabei spezielle Anti-Gewalt-Trainings. So ein Kurs von insgesamt rund 60 Stunden wird von einer Handvoll Jugendlicher gemeinsam besucht. In Einzel- und Gruppengesprächen soll herausgefunden werden, was das aggressive Verhalten auslöst und wie es kontrolliert werden kann. Den Tätern wird die Opferperspektive verdeutlicht und "einmassiert", wie der Anti-Gewalt-Trainer Helmut Kuhfuss erläutert. Am Ende müssen die Jugendlichen einen Provokationstest bestehen und ihrer gewaltbereiten Jugendclique einen "Distanzierungsbrief" schreiben.

Als Sanktion verhängen viele Jugendrichter auch die Ableistung von Arbeitsstunden, meist zwischen zehn und fünfzig, in Einzelfällen auch mehrere hundert Stunden. Die Jugendlichen müssen dann zum Beispiel Gehwege fegen, Küchendienst im Pflegeheim verrichten oder Krankenwagen reinigen.

Im Wiederholungsfall oder wenn eine Weisung missachtet wurde, kann auch Jugendarrest verhängt werden. Dieser wird in der Freizeit, am Wochenende oder als Dauerarrest von bis zu vier Wochen verbüßt. Dafür gibt es spezielle Jugendarrestanstalten, damit die Arrestanten nicht mit den ganz schweren Jungs in den Haftanstalten in Berührung kommen.

Nur wenn ein Jugendlicher "schädliche Neigungen" hat oder eine wirklich schwere Straftat - wie eine schwere Körperverletzung - beging, wird eine Jugendstrafe verhängt. Doch auch diese wird in aller Regel zunächst auf Bewährung ausgesetzt. Der Jugendliche muss dann zwar nicht in die Haftanstalt, bekommt aber auch Auflagen und Weisungen sowie einen Bewährungshelfer, der ihn betreut. Wird er rückfällig, wird die Bewährung widerrufen.

Derzeit sitzen bundesweit rund 7.500 junge Menschen in 27 Jugendhaftanstalten. Eine Jugendstrafe dauert zwischen sechs Monaten und zehn Jahren. In dieser Zeit soll mit den jungen Straftätern intensiv pädagogisch gearbeitet werden, manche machen auch Schulabschlüsse oder eine Lehre. Für die Abwicklung des Vollzugs haben die Länder im Vorjahr auf Druck des Bundesverfassungsgerichts spezielle Jugendstrafvollzugsgesetze beschlossen.

Auf Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren wird das Jugendstrafrecht nur angewandt, wenn diese Reifedefizite haben. Ob dies der Fall ist, entscheiden Richter im Einzelfall.

Kinder unter 14 Jahren sind noch nicht strafmündig. Begehen sie Straftaten, ist dies nur ein Fall fürs Jugendamt. Sozialarbeiter versuchen dann, auf die Kinder und bei Bedarf auch auf die Familien einzuwirken. Im Extremfall kann es auch zur Einweisung in ein Heim kommen.

Hauptproblem des Jugendstrafrechts sind mangelnde Kapazitäten. Jugendliche müssen monatelang auf einen Arrest warten, weil es zu wenig Arrestplätze gibt. Richter können an manchen Orten keine Anti-Gewalt-Trainings anordnen, weil sie nicht überall angeboten werden.

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