US- Vorwahlen in South Carolina: Es ist Zeit für den jungen Mann

In South Carolina entscheidet sich Barack Obamas politische Zukunft. Der Senator aus Illinois hat sehr gute Chancen, zu gewinnen. In dem früheren Sklavenstaat zählt die Hautfarbe.

"Ein universaler Typ, ebenso wie Hillary" Bild: rtr

COLUMBIA, SOUTH CAROLINA, taz Genau genommen gibt es zwei South Carolina. In dem einen inszenieren sie verbissen das Gestern. Als Zeichen für den Stolz des alten weißen Südens gegenüber dem verhassten Yankee-Norden haben sie vor dem Kapitol in der Hauptstadt Columbia die Konföderiertenflagge gehisst. In dem anderen, dem schwarzen South Carolina, gilt dieselbe Flagge als Symbol der Sklaverei. Hier ist die Erinnerung geprägt von Trauer und Schmerz und die Gegenwart noch längst nicht frei vom Echo dieser Vergangenheit.

South Carolina, das ist Schwarz gegen Weiß, oben gegen unten, zwei Welten, zwischen denen es trotz ihrer Verschlungenheit kaum Berührungen gibt. Ausgerechnet hier entscheidet sich an diesem Samstag die politische Zukunft von Barack Obama. Nach seinen jüngsten Vorwahlniederlagen gegen Hillary Clinton braucht der Senator dringend einen Sieg. Andernfalls ist der Traum vom ersten schwarzen US-Präsidenten ausgeträumt.

Der Staat: South Carolina liegt an der Ostküste der USA, in dem Südstaat leben 4,4 Millionen Menschen. Gouverneur ist seit 2003 der Republikaner Mark Sanford. Zwischen 1960 und 2004 konnten die Demokraten nur einmal, 1976, einen Sieg verbuchen.

Die Menschen: Im Vergleich zum US-Durchschnitt ist der Anteil der Schwarzen mit 29 Prozent höher und der der Hispanics mit 3,5 niedriger. Die Bevölkerung wächst mit 9,9 Prozent im Jahr schneller als in den übrigen USA. Da es außer Charleston und Columbia keine größeren Städte gibt, fehlt den Demokraten hier die so wichtige Wählerstruktur der Ballungszentren.

Die Wirtschaft: South Carolina verliert Arbeitsplätze im Industriesektor, insbesondere wegen der Konkurrenz aus China.

Die Arbeitslosenquote liegt mit 5,8 Prozent über dem US-Durchschnitt von 5 Prozent. An der Küste gibt es viele gering bezahlte Stellen im Tourismusbereich. Themen wie ein höherer gesetzlicher Mindestlohn sind daher im Wahlkampf von besonderer Bedeutung. RTR

Auf dem Platz mit der Konföderiertenflagge demonstriert an diesem kalten Januarmorgen eine Gruppe Schwarzer. Gemeinsam mit ihrem Anführer, Reverend Joseph Branson, schimpfen sie auf die Justiz: Der Staatsanwalt, ein Weißer natürlich, hat ohne für sie überzeugende Gründe ihren kirchlichen Spekulationsfonds einkassiert und das Geld konfisziert. Branson, 46, ist sauer: "Die wollen einfach nicht, dass es den falschen Leuten auch mal gut geht." Wütend weist er auf die Flagge: "Eine Schande, diese Fahne sagt mir jeden Tag, dass sich unter dieser Regierung nie etwas ändern wird." Der Pfarrer einer Pfingstlergemeinde in Columbia ist überzeugt: "Wir brauchen jemanden wie Barack Obama, er ist genau der Richtige."

Dann hebt er an, von der Ehrlichkeit und Frische des demokratischen Senators aus Illinois zu schwärmen, als sei dieser eine Lichtgestalt aus einer der Bibelgeschichten, die er jeden Sonntag predigt. Mit seiner Meinung steht Branson nicht allein. "Wir sind froh, so gute Bewerber zu haben", sagt er, und die Mitdemonstranten stimmen sofort zu. "Das ist ein Segen, denn jeder von ihnen wäre an sich ein guter Präsident." Einer ruft: "Deshalb wollen wir den Besten, wir wollen Obama!"

Branson weiß, was die Leute bewegt. Jeden Tag ist er in seinem Viertel in Columbia unterwegs, schaut bei den schwarzen Familien vorbei, spricht die Kids auf der Straße an, tröstet, hilft und redet schon mal Klartext, auch politisch. "Natürlich spreche ich im Gottesdienst über die Wahlen", sagt er. "Die Leute sollen selbst entscheiden, aber ich mache kein Geheimnis daraus, was ich für das Richtige halte." Er kennt die Nöte seiner Nachbarn, die Angst um die Söhne, die von rassistischen Polizisten wegen Kleinigkeiten ins Gefängnis gesteckt werden, die Sorge um die Töchter, die mit 15 schwanger sind, die Sorgen wegen Rechnungen, die nicht bezahlt werden können. "Wenn ich die Flagge da sehe, weiß ich, was anders werden muss. Das ganze System dieser weißen alten Jungs hier muss sich ändern. Wir sehnen uns nach Veränderung, und einer wie Obama kann es schaffen."

Vier Kreuzungen weiter, im Wahlkampfbüro der Obama-Kampagne, wird an diesem Vormittag ebenfalls die Zukunft beschworen. In dem neonbeleuchteten Erdgeschossbüro ist es gerade Zeit für mentale Aufbauarbeit. Die Telefone klingeln beharrlich, aber niemand der etwa vierzig jungen Weißen nimmt ab. Alle hören aufmerksam einem alten schwarzen Mann zu. Otis Moss geht weit zurück zu den Anfängen des Staates South Carolina. Hier ist Politik immer Geschichte, und die Geschichte ist ein endloser Kampf gegen Vorurteile und Arroganz. Moss, 78, ist ein Weggefährte Martin Luther Kings und einer der einflussreichsten Theologen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Groß gewachsen und weißhaarig, ist er eine beeindruckende Erscheinung.

"Ihr ermöglicht etwas Historisches", sagt er zu den Wahlkampfhelfern. Keiner möge sich von dem Argument beirren lassen, Obama sei noch nicht reif für das Amt des Präsidenten. "So wie Roosevelt den Boden für Kennedy bereitet hat und Carter den für Clinton, so hat Jesse Jackson, der berühmte Sohn South Carolinas, Barack Obama den Weg geebnet." Moss weiß, was er sagt, sein Sohn ist Obamas Pfarrer und bekannt für seine umstrittene Nähe zur Black-Panther-Bewegung.

Virginia Brow braucht derlei mentales Marschgepäck nicht mehr. Die 67-Jährige wird Obama ihre Stimme geben. "Es ist Zeit, dass wir einem jungen Mann eine Chance geben," sagt sie. Die frühere Krankenschwester ist in Columbia mit einer Freundin unterwegs zu einem Rentnerkaffeeklatsch. "Ich bin aus dem alten Süden", sagt sie freundlich, als erkläre das ihre Wahl. Um sicherzugehen, richtig verstanden zu werden, ergänzt sie: "Hier weht immer noch diese Flagge, wissen Sie. Als Kinder gab man uns Schwarzen die zerfledderten Schulbücher der Weißen, und als Krankenschwester in den 60er-Jahren durfte ich mich in Anwesenheit weißer Kolleginnen nicht hinsetzen, um meine Krankenberichte zu schreiben." Sie lacht vergnügt: "Und jetzt kommen diese Wahlen!"

Brow ist eine wiedergeborene Christin, eine ihrer Visionen hat ihr schon vor Monaten gesagt, dass Obama der Richtige ist. "Wir haben gar nichts gegen Clinton", erklärt sie. "Ich persönlich finde sie ein bisschen falsch, aber unser Pfarrer ist sehr für sie." Die Frage nach dem richtigen demokratischen Kandidaten spaltet ihre ganze Kirchengemeinde, deshalb macht sie ihre eigene kleine Kampagne. "Diejenigen, die nicht für den Wandel, also für den jungen Mann sind, die sind einfach ängstlich. Sie haben Angst, weil sie kein Selbstvertrauen haben, ich mache ihnen ein bisschen Mut."

Bei den letzten Wahlen hat sie noch Bush gewählt, "um ihm eine Chance zu geben, uns aus diesem schändlichen Krieg herauszuholen". Beim diesem Thema wird Virginia Brow richtig sauer: "Und jetzt verkauft er den Saudis auch noch Waffen, und wir töten all diese unschuldigen Iraker. Nein, es ist furchtbar!" Sie habe 2004 für den Texaner gestimmt, weil er stramm gegen Abtreibung sei, erzählt sie, aber das sei natürlich dumm gewesen, der Mann habe Amerika völlig in den Sand gesetzt. Und Obama? Der habe doch noch gar nicht genau gesagt, wie er zu Abtreibungen steht. "Kann sein," sagt Brow und lächelt, "aber er ist ein Christ, das ist das Wichtigste."

Natürlich leben in Columbia auch Menschen, die nicht für Barack Obama stimmen werden. Diane Sumter zum Beispiel wird Hillary Clinton wählen, wegen Bill. An der Ex-First-Lady schätzt die schwarze Geschäftsfrau "ihre Fähigkeit, nicht lockerzulassen". Inhaltlich sieht Sumter, die eine Consultingfirma betreibt, keinen großen Unterschied zwischen Hillary und Obama. Das Land brauche aber keine Debatte darüber, ob es eine Veränderung benötigt, sondern jemanden, der vom ersten Tag an zupackt. "Ich brauche keine Inspiration um der Inspiration willen, ich bin eine toughe Geschäftsfrau. Ich will von konkreten Vorschlägen inspiriert werden", sagt die 55-Jährige streng.

Diane Sumter geht es bei dieser Wahl weder um Geschlecht noch um Rasse der Kandidaten - "Obama ist toll, ich mag ihn gar nicht kritisieren". Ihr geht es einzig um die Frage, wer als Präsident endlich etwas bewegen kann. In einem Punkt ist sie dem Senator aus Illinois sehr dankbar: "Er hat es geschafft, unsere Jugendlichen für Politik zu interessieren. Ich hoffe, das hält eine Weile an, das wäre wunderbar."

Als sie noch jung war, erzählt Diane Sumter, war sie selbst mal demokratische Delegierte und fuhr auf den Nominierungsparteitag nach Atlanta. "Damals, 1984, habe ich für Jesse Jackson gestimmt, jetzt bin ich eine Großmutter, ich will keine Zeit mehr verlieren." Wer Jung sei, habe noch Zeit für Hoffnungen, sie will das bessere Leben sofort. Dann steigt sie in ihren roten Sportwagen und düst davon.

Jimmie Edwards ist sich sicher, dass diesmal buchstäblich jeder zu den Primaries gehen wird. "In den letzten zwanzig Jahren", sagt er, "waren es nur Wahlen. Diesmal glauben viele, dass es darum geht, unser Land zu verbessern." Edwards ist Redakteur der Black News, einer in ganz South Carolina erscheinenden Wochenzeitung. Die Stimmung, erklärt der 65-Jährige, habe etwas von der Aufbruchstimmung der 60er-Jahre, als alle Schwarzen unbedingt wählen gehen wollten. Diesmal aber gehe es nicht vordergründig um die Rasse, Obama sei kein schwarzer Kandidat, sondern "ein universaler Typ, ebenso wie Hillary".

Sein Chef, der Herausgeber Isaac Washington, ist nicht ganz so optimistisch, wenn es um Obamas Chancen geht. "Ich befürchte, je mehr Schwarze zur Wahl gehen wollen, desto mehr Weiße werden auch hingehen, um ihn zu verhindern." Es ist eine alte Angst, gespeist aus der eigenen Lebenserfahrung, die ihn vorsichtig macht. "Ich bin selbst in einer Sozialwohnung aufgewachsen, ich weiß, was es heißt, ganz unten zu sein." Als er jung war, waren seine einzigen Vorbilder schwarze Lehrer, "höher konnten wir nicht kommen, nicht in der Realität, nicht in unseren Träumen", sagt er und schüttelt den Kopf.

"Der Gedanke, dass ein schwarzer Präsident für die Krankenversicherung für alle sorgen könnte, ist sehr aufregend für mich." Isaac Washington muss lachen. "Ich habe nie einen schwarzen Mann erlebt, der so legitim erschien wie dieser junge Senator", schwärmt Washington. Allein dass Obama politisch an diesem Punkt angelangt sei, "spricht Bände über die Veränderungen in diesem Land". Er hat auch nichts gegen Hillary - wenn Obama nicht wäre, bekäme sie die Stimmen der schwarzen Community. "Sie würden sie wählen, weil sie politikerfahren ist. Und weil sie Bill Clinton dankbar sind." Der sei schließlich der erste weiße Präsident gewesen, der ernsthafte Politik für Schwarze gemacht habe.

Aber jetzt ist ja Obama da.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.