Türkischer Unirektor weiter für Kopftuchverbot: Kopftuchstudentinnen fordern Einlass

Das Kopftuchverbot an türkischen Unis wurde aufgehoben. Aber Rektor Parlak verweigert verhüllten Studentinnen weiterhin den Zutritt. Studentin Ayse fordert Einlass.

Protest vor der Universität in Istanbul: Studentinnen mit Kopftuch müssen draußen bleiben. Bild: ap

ISTANBUL taz "Noch nie waren wir der Morgenröte so nahe", sagt Ayse. Ihre Wangen glühen, die rechte Faust streckt sie gen Himmel. Das hausinterne Verbot, an der Istanbuler Universität ein Kopftuch zu tragen, "landet bald auf den Müllhaufen der Geschichte!", ruft die 22-jährige Literaturstudentin. Vor dem großen Portal der Lehranstalt demonstriert sie "für die Freiheit, sich zu verhüllen" - eine Formulierung, die modernen, säkularen Türkinnen unvereinbar scheint: Schleier und Freiheit.

An türkischen Unis ist seit kurzem das Tragen von Kopftüchern erlaubt. Staatspräsident Abdullah Gül hatte die Parlamentsentscheidung bekanntgegeben.

Politiker der islamisch-konservativen Partei AKP von Ministerpräsident Tayyip Erdogan verteidigen das Kopftuch als persönliches religiöses Freiheitsrecht. Die oppositionelle Republikanische Volkspartei hingegen legte Beschwerde beim Verfassungsgericht ein.

Verfechter des Kopftuchverbots werfen der Regierung vor, eine schleichende Islamisierung der Türkei zu betreiben und die von Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk verfügte Trennung von Staat und Religion aufzuweichen.

Das Kopftuchverbot war nach dem Militärputsch 1980 mit einer Verwaltungsverordnung erlassen und später höchstrichterlich bestätigt worden.

Die Universität ist mit 55.000 Studierenden nicht nur die größte des Landes, sondern auch eine wichtige Bastion des säkularen Bildungsbürgertums. "Wenn du deine Uni vermisst, schau in die Abendnachrichten", witzeln die Studenten. Denn hier vor dem Campus, wo tausende Tauben flattern, wo sonntags Russen ihre Devotionalien und Afrikaner Second-Hand-Handys verscherbeln, wird häufig demonstriert. Auch am vergangenen Freitag.

Dutzende streng gläubiger Studentinnen sind an diesem Vorfrühlingstag gekommen. Auch Männer. Es sind Funktionäre der islamistischen Vereine, die seit 20 Jahren im "Staat Atatürks" für die Abschaffung der streng laizistischen Grundsätze kämpfen. Man könnte meinen, die Männer in ihren dunklen Anzügen seien zufällig in der Nähe gewesen, auf dem benachbarten Basar oder in der Beyazit-Moschee, die einen Steinwurf entfernt thront. Aber so ist es nicht. Die bärtigen "Brüder und Onkel" postieren sich mit einem Megafon vor den Studentinnen, die keinen Zutritt zur Uni haben. Denn zwar hat die islamistische Erdogan-Regierung das Verhüllungsverbot in den Hörsälen vor einer Woche aufgehoben, aber die jungen Frauen dürfen nicht auf das Gelände. Rektor Mesut Parlak ist entschlossen, das zu verhindern: "Ein ideologisch derartig festgelegter Kopf hat in der Universität nichts zu suchen." Ayse schüttelt ihren bedeckten Kopf: "Pure Diskriminierung!"

Flüssig gehen den Demonstrierenden die Wörter Freiheit, Demokratie und Menschenrechten über die Lippen. "Weg mit Verboten!", rufen sie über den Platz, Tauben flattern erschreckt auf. Wer wollte im 21. Jahrhundert für Verbote plädieren? Die dringende Bitte türkischer Akademiker, wenigstens gesetzlich zu garantieren, das Kopftuch nicht auch noch auf den öffentlichen Dienst und weiterführende Schulen auszuweiten, ignoriert Erdogan.

Die Islamisten missbrauchten die Demokratie zur Errichtung ihrer totalitären Herrschaft, kritisiert die sozialdemokratisch-kemalistische Opposition in Ankara und hat das Verfassungsgericht angerufen. Bis das Urteil fällt, muss Ayse am Uni-Tor eine Perücke über ihr Kopftuch stülpen - ein beschämender Anblick. "Dieser Rektor ist ein Tyrann!", ruft sie. So haben auch die ägyptischen Muslimbrüder in den Siebzigern den laizistischen Präsidenten Sadat bezeichnet. Das war, bevor fast alle Ägypterinnen sich verhüllten.

Auf dem Beyazit-Platz ziehen Polizisten auf. "Ein Toter liegt auf dem Boden", schrieb einst der Dichter Nazim Hikmet, "die Wunde auf seiner Stirn eine rote Nelke." Gemeint war der Student Taylan Özgür. Vergleichbar dem deutschen Studenten Benno Ohnesorg, wurde der junge Kommunist 1969 hier von "Unbekannten" erschossen. Mehrere Militärputsche haben seitdem die türkische Linke geschwächt, Arbeiterviertel in den Großstädten, in denen einst die Internationale gesungen wurde, verläuft das Leben heute im Takt der täglichen fünf Gebete. Und auf dem Beyazit-Platz, wo einst linke Studenten für die "Befreiung der Türkei vom US-Imperialismus" gekämpft haben, schimpfen von Kopf bis Fuß verhüllte Frauen auf den gottlosen Westen. Längst haben sie sich eine eigene Welt aufgebaut - mit einem strikten Glauben und strenger Moral, mit Symbolen, Büchern, Filmen, Liedern und in eigenen Vierteln. Sie sind bereit für den Marsch durch die Institutionen: längst hat die Erdogan-Regierung alle Posten im Staatsapparat mit Gesinnungsgenossen besetzt. Das Kopftuch wird dabei zum wichtigsten Symbol.

"Die verhüllte Frau ist ein verschlossener Brief", sagt die Islamistin Sule Yüksel Senler, die schon seit den 60er-Jahren Frauen zur Verhüllung anhält, "nur der Empfänger darf sie öffnen." Der Empfänger ist ihr Ehemann.

In den Augen linker, säkularer Frauen wie der Schriftstellerin Latife Tekin reden die Verhüllten zwar viel von Freiheit, lassen jedoch stillschweigend zu, dass ihre Moral die Nichtverhüllten quasi als Huren hinstellt. Nicht praktizierende Musliminnen fühlen sich provoziert: "Niemand soll mir sagen, ich sei ungläubig!", ruft eine ältere, unverhüllte Passantin den Demonstranten zu: "Ihr seid fanatisch! Ab in den Iran!" Ein Polizeibeamter schiebt sich dazwischen. Ayse lächelt.

Szenenwechsel. Zur privaten Maltepe-Universität haben Verhüllte Zugang. An diesem Abend diskutieren die Studierenden im überfüllten Konferenzsaal über das Kopftuch. Kanal-D überträgt die Veranstaltung live; nicht nur in Anatolien, auch in Köln und Stuttgart verfolgen Millionen Türkinnen und Türken die hitzige Debatte.

Zuerst werden die bekannten Argumente ausgetauscht: "Niemand hat das Recht, uns vom Studium auszuschließen." - "Warum nehmt ihr dann nicht einfach euer Tuch ab?" Dann sagt der Soziologe Ali Çarkoglu, der für die Soros-Stiftung Tesev arbeitet: "Die Türkei wird nicht konservativer, sondern moderner." Buhrufe im Saal. "Die Neoliberalen missbrauchen die Religion, um die Verarmung unseres Landes zu kaschieren!", ruft ein Zuhörer. - "Wir wollen nur Demokratie!", antwortet eine Frau. Eine Studentin mit roten Locken springt auf: "Passt mal auf! Wenn ihr uns mit Gewalt verhüllen wollt, werden wir euch dieses verdammte Tuch auch mit Gewalt vom Kopf reißen!"

Schließlich greift der Rektor zum Mikrofon: "Als ich in Anatolien gelehrt habe, fragte ich eine Studentin, weshalb sie sich verhüllt. Sie antwortete: Herr Professor, ohne Kopftuch fühle ich mich nackt und fürchte, dass ich in der Hölle schmoren werde." Der Rektor stockt, er kämpft mit den Tränen. "Bitte", sagt er weinend, "setzt den Kindern nicht solchen Unfug in den Kopf!"

Die verhüllten Studentinnen und ihre Unterstützer verlassen unter Protest den Saal, die Zurückgebliebenen stimmen die Nationalhymne an und skandieren: "Die Türkei ist laizistisch und wird es auch bleiben!" Der Abend endet im Fiasko.

Doch es gibt auch Türken, die nach einem für beide Seiten gangbaren Weg suchen. Der linke Medienwissenschaftler Haluk Sahin ist einer von ihnen. In seinem Buch "Die Anderen" schreibt er über die "Geiselnahme der Demokratie" durch die Islamisten und plädiert für eine Alternative zu sowohl strengem Kemalismus als auch zum Islamismus. Das Buch ist ein Bestseller. Millionen "Andere", die demokratischen Säkularen, wie sie sich nennen, wollen am 8. März gegen das Kopftuch auf die Straße.

Auf dem Istanbuler Beyazit-Platz sagt die junge Ayse: "Das ist doch nicht nur ein Stück Tuch, das ist meine Seinslehre". Sie träumt von einem neuen "islamischen Menschen". Die Armut soll durch die Muslime bekämpft, "200 Jahre Verwestlichung" durch die "Rückkehr zu unseren Wurzeln" wettgemacht werden. Dabei wird das Kopftuch den Türkinnen als "unschlagbares Angebot" nahegelegt. Der politische Islam und die europäische Aufklärung stehen sich an diesem schönen Frühlingstag vor dem Tor der Universität unversöhnlich gegenüber.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.